Russische Oppositionsdemos: Wichtige Fakten zu Verhaftungen

[von Roland Bathon/Julia Dudnik] 866 Demonstranten wurden in Moskau und 658 in Sankt Petersburg (nach anderen Quellen: 548) bei den vom Oppositionspolitiker Nawalny gestern organisierten Antikorruptionsprotesten festgenommen, darunter viele junge Leute  – der Jüngste soll Jahrgang 1999 gewesen sein. Wie ist es zu diesem harten Zugriff der russischen Staatsmacht gekommen?

Abweichen von der Genehmigung

Genau diese Information findet sich sehr selten in deutschen Medien, die im übrigen sehr umfangreich über die Verhaftungswelle berichten. Die Mehrzahl der Verhaftungen lief nach der örtlichen Presse übrigens nicht so spektakulär ab, wie die immer gleichen Agenturfotos in deutschen Zeitungen suggerierten – fast alle Verhaftungen erfolgten kurzfristig. Aber dennoch war es ein gewaltiger Zugriff, einfach von der Anzahl her.

Eine grundlegende Information ist, dass die Demonstrationen auf der Twerskaja (Moskau) und der Dwortsowaja (Sankt Petersburg) nicht genehmigt waren – sondern eben woanders. Die Tagesschau kaschiert diese Information mit dem  Satz, Nawalny habe beschlossen, „auf einer anderen Straße zu marschieren“. Zitiert wird nur seine eigene offizielle Begründung, dass auf der vorgesehenen genehmigten Route Provokationen der Behörden zu erwarten gewesen seien.

Die gewollte Provokation

In der Tat wollte Nawalny jedoch genau mit dieser Routenabweichung provozieren. Denn diese machte aus seiner genehmigten Demonstration in der russischen Hauptstadt eine verbotene. Schon im Vorfeld rief er die Demonstranten in Moskau dazu auf, abweichend von der Genehmigung auf die Twerskaja zu kommen. Es war ihm klar, dass dies einen Abbruch der Veranstaltung und Verhaftungen durch die Polizei herausforderte. Vielen Demonstranten jedoch nicht, da sie nicht ausreichend aufgeklärt wurden, dass dadurch die Demonstration einen verbotenen Verlauf nahm. Doch Nawalny kamen öffentlichkeitswirksame Bilder von Verhaftungen junger Mädchen nicht nur gelegen, er führte sie geradezu herbei.

Das gleiche Bild – das Abweichen vom genehmigten Platz bot sich am Ort der zweiten Verhaftungswelle in Sankt Petersburg. Es ist auch kein Zufall, dass es nur in den beiden Metropolen solche Massenverhaftungen gab, während die Demonstrationen, die in zahlreichen weiteren russischen Städten (laut Tagesschau 200) stattfanden, ohne solche Massenfestnahmen verliefen – da die dort genehmigten Kundgebungen an den vorgesehenen Plätzen stattfenden. Einen ganz anderen Verlauf, gerade in Moskau, nahm Nawalny gerne in Kauf oder führte ihn grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich herbei. Denn welchen westlichen Journalisten interessiert schon Russland abseits von Moskau und Sankt Petersburg.

30 Tage Haft für einen berechtigten Vorwurf

Dass Nawalny nun 30 Tage in Haft sitzt und schon vor der Demo in Gewahrsam genommen wurde, ist wieder eine Information, die man auch im deutschsprachigen Raum häufig liest. Dass ihm aber als Intitiator einer Protestkundgebung vorgeworfen wurde, absichtlich von den behördlichen Auflagen abgewichen zu sein, hörte man selten. In der Tat ein Vorwurf, den er wohl selbst provoziert hat, der ihn aber nun in die Rolle manövriert, die er für sich selbst vorgesehen hat: Als Märtyrer und Anführer von verhafteten Helden. Deren Verhaftung er ebenso mit herbeigeführt hat, wie seine eigene. Echtes Heldentum funktioniert jedoch nicht dadurch, die Inhaftierung junger Leute in die Wege zu leiten, die sich für ein reales Problem von Russland engagieren.

[Aus St. Petersburg: Roland Bathon, aus Moskau: Julia Dudnik, russland.NEWS]

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