Yandex-Mitgründer: „Ich bin gegen den Krieg“

Yandex-Mitgründer: „Ich bin gegen den Krieg“

Ohne Yandex ist das Leben in Russland kaum vorstellbar. Der Tech-Gigant und das größte Internetunternehmen Russlands ist alles in einem – Suchmaschine, Marketplace, Carsharing-Plattform, elektronisches Zahlungssystem, Cloud-Dienst, Lebensmittel-Lieferdienst etc. Über die Apps Yandex bestellen die Russen quasi alles – von einem Taxi bis zu Medikamenten.

Eineinhalb Jahre nach Beginn des Krieges sprach der Mitbegründer von Yandex, Arkadi Wolosch, sich gegen die russische Militäroperation in der Ukraine aus. Eine entsprechende Erklärung schickte er an Journalisten. „Es gab viele Gründe, warum ich schweigen musste. Man kann über die Rechtzeitigkeit meiner Erklärung streiten, aber nicht über ihren Inhalt. Ich bin gegen den Krieg“, erklärte Wolosch.

Der Geschäftsmann berichtete, dass ihm im letzten Jahr viele Fragen zu seiner Meinung gestellt wurden, „und besonders viele tauchten diese Woche auf“. „Ich möchte meine Position klären. Es ist mir wichtig, von allen Seiten gehört zu werden“, sagte er. In Bezug auf die Arbeit bei Yandex sagte Wolosch, dass die Gründer des Unternehmens nicht nur über Technologie und Geschäft nachgedacht hätten, sondern auch daran glaubten, dass sie „ein neues Russland aufbauen“ – „offen, progressiv, in die globale Wirtschaft integriert“. Im Laufe der Zeit sei der Druck auf das Unternehmen gestiegen, aber das Team habe sich bemüht und „alles Mögliche getan, trotz äußerer Bedingungen“. „War es immer möglich, das richtige Gleichgewicht zu finden? Jetzt, wenn man zurückblickt, ist klar, dass manches anders hätte gemacht werden können“, sagte er.

Wolosch lebt seit 2014 nicht mehr in Russland. Er zog nach Israel und war seitdem mit der Entwicklung internationaler Yandex-Projekte beschäftigt. „Im Februar 2022 änderte sich die Welt, und ich verstand, dass meine Geschichte mit Yandex beendet ist“, teilte er mit.

Bereits im Dezember des vergangenen Jahres schrieb Wolosch einen Brief an seine Mitarbeiter, in dem er erklärte, dass er das Unternehmen verlassen werde und verabschiedete sich von ihnen. „Yandex ist das Projekt meines Lebens. Und nicht nur meines. All diese 30 Jahre haben wir es gemeinsam gemacht – von Grund auf, unter Bedingungen globaler Konkurrenz, mit dem Ziel, uns offen und ehrlich zu verhalten. Danke an alle, die das beste technologische Unternehmen des Landes aufgebaut haben und aufbauen. Ich liebe euch alle und umarme euch. Ihr fehlt mir sehr. Möge das neue Jahr allen Frieden bringen“, so Wolosch.

Das größte IT-Unternehmen Russlands bemühte sich darum, sich international zu positionieren und war in den Niederlanden registriert. Jedoch konnte der größte russische Digital-Konzern den politischen Herausforderungen nicht standhalten und spaltete sich in zwei Teile. Obwohl Wolosch bereits im Sommer 2022 den Verwaltungsrat von Yandex verließ, geriet er unter EU-Sanktionen. Dies wurde zu einem der Gründe für die Aufspaltung von Yandex. Die EU-Sanktionen wurden damit begründet, dass Yandex „Inhalte im Zusammenhang mit Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine“ entferne und „staatliche Medien und Narrative“ in seinen Suchergebnissen unterstütze. Der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin wechselte an die Spitze des russischen Teils von Yandex, um das operative Geschäft zu leiten.

Woloschs Äußerung löste eine lebhafte Diskussion unter liberalen Oppositionellen aus, von denen die meisten Russland verlassen haben. So sagte der Oppositionspolitiker und populäre Blogger Maxim Katz auf seinem YouTube-Kanal in einem Video, das er „Pakt mit der Teufel“ genannt hatte: „Yandex ist ein seltener Fall, in dem talentierte Unternehmer auf begabte Ingenieure und Programmierer getroffen sind. Yandex ist ein Symbol für unternehmerische Freiheit. Alle Erfolge von Yandex ereigneten sich ausschließlich deshalb, weil der Staat die Existenz des Internets eine Zeit lang ignoriert hatte. Sobald der Staat auf das Internet aufmerksam wurde, wurde alles, was Yandex tat – ein herausragendes Unternehmen –, gefährlich und ungeeignet für die Nutzung gemacht. So wurden die Yandex-Nachrichten, die ursprünglich eine bequeme Darstellung der realen Agenda waren, zu einer der giftigsten Quellen für Propaganda. Alle Yandex-Services, die auf die eine oder andere Weise mit persönlichen Daten arbeiten, wurden zu einer direkten Möglichkeit, sich selbst anzuzeigen. Die Frage, ob die Unternehmensführung für das Geschehene verantwortlich gemacht werden sollte oder nicht, ist komplex. Einerseits kann man sagen, dass sie keine Wahl hatten. Aber andererseits hat Yandex in den letzten Jahren seine Nähe zum Staat sehr aktiv monetarisiert. Insbesondere hat es den gesamten russischen Markt für Taxis und Lieferungen absorbiert und dabei alle Antimonopolbeschränkungen umgangen. Es wäre falsch, Yandex und seine Führung als reine Opfer darzustellen. Niemand hat Yandex gefragt, ob sie ein staatliches Unternehmen werden wollen. Aber offensichtlich hatten sie in dieser Eigenschaft keine Einwände und haben nichts dagegen unternommen. Gleichzeitig muss gesagt werden, dass weder Arkadi Wolosch noch andere Top-Manager von Yandex sich verpflichtet haben, sich mit Politik zu beschäftigen und gegen den russischen Staat zu kämpfen. Sie haben den Weg des geringsten Widerstands gewählt. Aber dass sie vor dieser Wahl standen, ist ein Problem des Staates. Daher kann man sie teilweise als Opfer bezeichnen.“

Israelischer Geschäftsmann aus Kasachstan

Woloschs Erklärung erschien drei Tage, nachdem Journalisten die persönliche Website des Unternehmers entdeckt hatten, auf der er sich als „in Kasachstan geborener israelischer Geschäftsmann“ vorstellte und Russland nur im Zusammenhang mit Woloschs erstem Unternehmen erwähnt wurde – dem Softwarevertrieb CompTek, den er Ende der 1980er Jahre gegründet hatte.

Daraufhin brach in den sozialen Netzwerken eine Welle der Kritik über den Geschäftsmann herein. Die Opposition machte Wolosch für seine Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, und für die zahlreichen Kompromisse verantwortlich, die Yandex in den letzten Jahren mit den russischen Behörden eingegangen war. Die regierungsnahen Medien brandmarkten ihn wegen seiner Abkehr von Russland, während Propagandisten wie Wladimir Solowjow vorschlugen, man solle sich daran erinnern, von wem er und andere „Bonzen“ „all das Geld“ bekommen hätten.

Tatsächlich ist die persönliche Website des Geschäftsmannes schon seit vielen Monaten online, wie ein Bekannter von Wolosch gegenüber The Bell erklärte. Und die Formulierungen über den in Kasachstan geborenen israelischen Unternehmer hätten diejenigen, die sie gesehen hätten, von Anfang an überrascht, sagte er. Aber niemand habe mit der Art von Skandal gerechnet, der sich schließlich entwickelt habe. „Nachdem Wolosch Yandex verlassen hatte, muss er irgendwo Kontakte hinterlassen haben, um seinen persönlichen Pressedienst zu kontaktieren“, erklärt ein anderer Bekannter des Unternehmers das Auftauchen der Seite. Die Wahl der Formulierung „israelischer Unternehmer“ statt „in Israel ansässiger Unternehmer“ bezeichnete er als „Fehler“. Auf der hebräischen Version der Website wird Kasachstan nicht erwähnt.

Wolosch selbst hatte eine harte Zeit mit der Welle der Kritik, die ihm wegen der Website entgegenschlug, sagten zwei seiner Gesprächspartner. Doch die Entscheidung des Unternehmers, sich endlich zum Krieg zu äußern, sei keine impulsive Reaktion auf Druck von außen gewesen, glauben sie. „Im vergangenen Jahr wollte Arkadi Dutzende Male eine Erklärung abgeben“, erklärt einer der Gesprächspartner. Aber jedes Mal gab es Dinge, die ihm schaden konnten.

In derselben Erklärung nannte Wolosch selbst als seine Hauptpriorität die Unterstützung von Ingenieuren, die sich entschlossen hatten, Russland zu verlassen und ein neues Leben zu beginnen. „Dies erwies sich als eine schwierige Aufgabe, die viel Mühe, Aufmerksamkeit und Vorsicht erforderte“, schrieb er. Jeder, der konnte und wollte, hat es bereits getan“, erklärt Wolosch seine Entscheidung, sich jetzt zu äußern.

Wolosch, der Russland verlassen hat, hätte auf jeden Fall eine Antikriegserklärung abgeben müssen, sagt ein anderer Gesprächspartner, der den Geschäftsmann gut kennt. Er hofft immer noch, im Ausland internationale Geschäfte zu entwickeln, die irgendwie Geld anziehen müssen. Außerdem hofft Wolosch, früher oder später aus den Sanktionen herauszukommen. Und auch wenn die öffentliche Verurteilung des Krieges an sich das Problem nicht automatisch lösen wird, so steigen doch die Chancen.

Viele liberale Aktivisten glauben, dass Wolosch dem Beispiel von Oleg Tinkow folgte, einem anderen russischen Milliardär und Gründer einer der größten russischen Banken, der Tinkoff-Bank, der gegen den Krieg Stellung bezog und dafür von Sanktionen befreit wurde. Wie das russische Exil-Medium Meduza feststellt, äußerten sich nur 22 Geschäftsleute aus der Liste der 200 reichsten Unternehmer Russlands zum Ukraine-Krieg. Von ihnen verurteilten die Kriegshandlungen öffentlich nur drei – Michail Chodorkowski, Oleg Tinkow und Andrej Borodin.

Mit Beginn des Ukraine-Krieges verlor Yandex massiv an Wert. Im Herbst schätzte man seinen Wert auf 31 Milliarden US-Dollar, heute liegt er bei 6,8 Milliarden Dollar. Der Kurs der Yandex-Aktie beträgt aktuell 18,94 Dollar – im November 2021 waren es mehr als 60 Dollar.

[hrsg/russland.NEWS]

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