Wir müssen mehr voneinander abhängig werdenMatthias Platzeck im Interview mit Ingo Zamperoni von der ARD. © ARD

Wir müssen mehr voneinander abhängig werden

Matthias Platzeck, Ex-Ministerpräsident von Brandenburg und Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums ruft zur Deeskalation auf.

Red. Der SPD-Politiker Matthias Platzeck versucht als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, die gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur russischen Gesellschaft zu pflegen und zu verbessern. Laut NZZ gehört er zu den deutschen Sozialdemokraten, deren «Haltung bestenfalls als naiv und schlimmstenfalls als verantwortungslos bezeichnet werden muss». Auch deshalb veröffentlichen wir hier ein Interview mit Platzeck, welches die ARD-Tagesthemen am 17. Januar ausstrahlten. Die Abschrift verfasste Rainer Simon.

Ingo Zaperoni: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es zu einem offenen Krieg zwischen der Ukraine und Russland kommen könnte?

Matthias Platzeck: Die Gefahr ist real. Aber ich glaube und bin mir auch relativ sicher, dass es am Ende vermeidbar ist. Die Aussenministerin hat heute gesagt, das ist jetzt die Stunde der Diplomatie, und da müssen wir jetzt wirklich alle Kräfte anspannen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als den Frieden auf dem Kontinent zu sichern und langfristig – wir sollten auch mal einen Schritt zurückgehen und etwas längere Horizonte betrachten, nicht nur den Augenblick – muss es darum gehen, Russland auch Stück für Stück wieder als Partner zu gewinnen, denn ein Satz von Egon Bahr bleibt wahr: «Ohne oder gegen Russland wird es auf diesem Kontinent eben keine friedliche Zukunft geben.»

Aber bislang hat es mit der De-Eskalation nicht so richtig geklappt. Was kann die deutsche Aussenministerin bei ihrem Besuch in Moskau da überhaupt erreichen?

Ich glaube, wir müssen uns klar werden, was wir verhindern wollen. Und für mich zumindest ist klar, dass wir verhindern müssen, dass Russland Stück für Stück immer mehr in die Arme Chinas getrieben wird, denn ich möchte nicht erleben, dass die zweitgrösste Atommacht der Welt – und das ist die Russische Föderation – und die bald grösste Wirtschaftsmacht der Welt, das wird China sein, Arm in Arm marschieren, denn die daraus resultierenden Auseinandersetzungen werden nicht in Sibirien oder im mittleren Westen der USA stattfinden, sondern hier im dicht besiedelten Mitteleuropa. Und deshalb glaube ich, wenn man diplomatisch Erfolg haben will, muss man – das weiss ich, fällt uns schwer – erst mal sagen: Ja, Eure Sicherheitsbedürfnisse, Eure Sicherheitsbedenken sind anzuerkennen bzw. wir werden mit ihnen umgehen. Das haben wir 30 Jahre lang nicht gemacht, obwohl die Russen nicht erst seit heute darüber reden.
Dann müsste man, Herr Zamperoni – ich weiss, dass auch das ein sehr schwieriger Schritt ist – die Krim-Frage temporär vielleicht erst mal aus dem Verhandlungskanon herausnehmen. Weil die Krim-Frage derzeit, ich betone: derzeit, nicht lösbar ist, um für die Ost-Ukraine eine Lösung zu finden, was dann leichter wird, aus der Sanktionsspirale herauszukommen, um dann Stück für Stück alles, was an Vertrauen auf beiden Seiten verloren gegangen ist. Wir leben ja im Moment in der Phase eines hohen Misstrauens – dann Stück für Stück Vertrauen aufzubauen und dann etwas zu machen, was ich für unabdingbar halte, nämlich engere Bindungen zu schaffen, mehr ökonomische Verflechtungen, mehr Kooperation. Wir müssen mehr voneinander abhängig werden künftig, als das jetzt der Fall ist, um den Frieden sicherer zu machen und dabei immer auch die Zukunft, eine möglichst gute Zukunft auch für die Ukraine zu bedenken und einzuweben. Ich halte das alles für denkbar, es ist wirklich die hohe Kunst der Diplomatie jetzt in den nächsten Jahren gefragt.

Aber bei allen Bedenken, die Sie haben, ist es doch wirklich Grund genug für Präsident Putin, ständig an der Provokationsschraube weiterzudrehen, oder ist es andersherum gesagt: Ist es allein am Westen, so wie Sie sagen, auf Russland zuzugehen und für De-Eskalation zu sorgen?

Natürlich ist das immer eine beidseitige Sache, und auch die Russen werden dabei liefern müssen, das ist überhaupt gar keine Frage, Herr Zamperoni. Aber wir werden nicht ohne eine Vergangenheitsanalyse herumkommen, um die Zukunft zu gestalten, und dazu gehört, dass Putin schon 2001 im Bundestag – damals in Deutsch und beklatscht von allen Fraktionen, die im Bundestag vertreten waren – eine einzige Frage gestellt hat und eine Bitte geäussert hat: Baut eine Sicherheitsarchitektur, die uns, die Russen, auf Augenhöhe mit einbezieht.
Das hat er übrigens 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz in nicht mehr so freundlichem Ton noch einmal wiederholt. Wir haben diesen Wunsch beklatscht und in die Schublade gelegt und heute ernten wir die Früchte dieses Nichtberücksichtigens und deshalb müssen wir uns auf diesen schwierigen Weg jetzt machen, und noch einmal gesagt: Das ist eine beidseitige Sache: Die Russen haben dann auch Dinge dazu beizutragen und manche Dinge auch zu revidieren, die sie bisher getan haben, aber wir werden uns dieser Kraftanstrengung in den nächsten vier, fünf Jahren unterziehen müssen.

Ich frage das deshalb, weil wir von einem Land reden, das laut einem deutschen Gericht Staatsterrorismus betreibt, sich die Krim einverleibt, und da wollen Sie nun noch mehr Zugeständnisse machen, wenn ich das richtig verstehe. Ist das die Strategie?

Ich glaube, wenn wir diesen Schritt nicht tun, ja, fast paradox, wenn Sie so wollen, dann wird es diese Friedenssicherung auf unserem Kontinent nicht geben. Wir haben Versäumnisse zugelassen, wir waren nachlässig, wir waren in Teilen in den vergangenen drei Jahrzehnten auch arrogant. Das müssen wir klar sehen, daraus Schlussfolgerungen ziehen und wenn Sie so wollen, auch dieses und jenes Zugeständnis machen. Das ist möglich, ohne andere Staaten in ihrem Selbstbestimmungsrecht zu beeinträchtigen. Dazu gibt es ja Politik, dass man solche Konstruktion findet, sucht und findet, damit beiden Seiten Rechnung getragen wird, aber wir müssen auch das russische Sicherheitsbedürfnis mit einbeziehen, Herr Zamperoni, ganz kleiner Vergleich, als die Russen ’62 Raketen auf Kuba aufstellen wollten, hat Kennedy, der nun wahrlich kein Kriegstreiber war, gesagt, das geht auf gar keinen Fall, so nahe bei uns wollen wir solche Raketen nicht haben, das berührt unsere Sicherheitsbedürfnisse. Also, solche Wünsche sind nicht völlig ungewöhnlich unter Ländern, zwischen Ländern, und das muss man mit einbeziehen in die Modelle, die man jetzt auflegen muss. Wahrscheinlich werden wir am Ende, in drei, vier, fünf Jahren noch mal eine grosse Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit auf dieser Welt organisieren müssen, wir müssen die Welt neu aufstellen, was die Sicherheitsarchitektur angeht, so funktioniert es nicht, wie es jetzt geht.

Und bei der Betrachtung spielt aber auch ein Projekt ständig eine Rolle, nämlich diese Gas-Pipeline Nordstream II. Der Kanzler aus Ihrer Partei sieht das ja weiterhin als rein privatwirtschaftliches Projekt. Wie schätzen Sie das ein?

Herr Zamperoni, das gehört genau zu dem, was ich eben gesagt habe: Es ist ein Projekt zum gegenseitigen Vorteil: Die Russen brauchen es, weil sie die Einnahmen brauchen, wir brauchen es, weil wir die nächsten Jahrzehnte noch eine stabile und gute Gasversorgung brauchen …

Es gibt ja zwei verschiedene Positionen innerhalb einer Regierung, der Bundesregierung. Wie passt denn das zusammen?

Also, alles was ich wahrnehme, gibt es da gewisse Differenzen, das kann auch gar nicht anders sein, aber ich bin mir sehr sehr sicher, dass eine kluge Entscheidung am Ende stehen wird, im Moment ist die Bundesnetzagentur daran, dann sollte man das Projekt als eines nehmen, das es ist, nämlich es dient der engeren Verflechtung, es dient der Versorgungssicherheit und es kann am Ende den Frieden sogar auch ein Stück weiter stabilisieren.

Mit freundlicher Genehmigung von Infosperber.ch>>>

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