Volksabstimmung: Überwältigender Triumph für Putin?

Volksabstimmung: Überwältigender Triumph für Putin?

[Kommentar von Roland Bathon] Über 77 Prozent Zustimmung für die von ihm initiierte Verfassungsänderung, die auch beinhaltet, dass er noch bis zu zwei weitere Amtszeiten Präsident bleiben kann. Ist das ein großer Triumph für Präsident Putin?

Angesichts dieser Zahlen tat sich sogar die ARD zunächst schwer, dieses Ergebnis in einen halbwegs negativen Beitrag der eigenen Tradition zu verpacken. So klingt die Tagesschau-Überschrift „Umstrittene Verfassungsreform – Russland meldet 77,9 Prozent Zustimmung“ doch ein bisschen wie ein Widerspruch in sich.

Direkte Schönheitsfehler

Tatsächlich bieten der Vorlauf und der Verlauf der Volksabstimmung einige Angriffspunkte. Auch die recht angesehene Wahlleiterin Pamfilowa und viel Kamera-Überwachung konnten nicht verhindern, dass es wieder viele Geschichten über Wahlmanipulationen gibt. Wie die Mehrfachabstimmung per „Karussell“ (Leute bringen schon fremd ausgefüllte Stimmzettel mit und der leere wandert vorausgefüllt zum nächsten Wähler) oder die berühmten zusätzlichen Stimmzettel, in die Urne geworfen von Wahl“helfern“, die die Wahlbeteiligung und Ja-Stimmen damit steigern – was sich daran zeigt, dass bei hoher Beteiligung plötzlich auch die Zustimmung wächst. Ein wieder in vielen Wahllokalen existentes Phänomen.

Diese Machenschaften sind in Russland keine Spezialitäten der „Ära Putin“, denn auch beispielsweise an Jelzins tatsächlichem Wahlsieg 1996 gab es schon massive Zweifel und involviert waren damals sogar angeblich US-Wahl“helfer“, die sicher keine Demokratiehelfer waren. Geschoben wurde damals wie heute stets zugunsten der Fraktion der Macht – von Leuten, die überzeugt sind, dieser einen Gefallen tun zu müssen, anstatt ordentlich ihrer Aufgabe nachzukommen. Sogar lokal ist dieses Phänomen sehr unterschiedlich ausgeprägt, wie der Vergleich verschiedener Wahllokale in gleichen Städten zeigt. Oft ist das Ergebnis in Lokal eins glaubwürdig – im Nachbarlokal äußerst auffällig wegen ungewöhnlich viel Wahlbeteiligung und Ja-Stimmen. So haben jetzt überregional viele Russen doch ihre Zweifel, ob die Unterstützung wirklich so groß war, wie verkündet. Nicht nur Regierungsgegner.

Anfällig für Manipulation ist hier beim aktuellen Volksentscheid gerade die neue elektronische Abstimmung, die es in Moskau und Nischni Nowgorod gab und auffällig ist das dortige Ergebnis tatsächlich, wo das sonst eher rebellische Moskau einen erstaunlich hohen offiziellen Zustimmungswert erzielte – obwohl manch nicht-elektronischer Stimmkreis sehr viele Nein-Stimmen hatte. Unabhängige Wahlbeobachter gab es dabei überall wenige, was aber keine russische Schuld ist, denn als solche stellten sich aufgrund der schlechten internationalen Beziehungen fast nur Vertreter ausländischer Parteien mit einem sehr guten Verhältnis zur russischen Macht zur Verfügung. Etwa der deutschen AfD und hier ist es die Frage, wie kritisch solche Beobachter hinschauen. Wer kritischer hingeschaut hätte war nicht da und darf sich eigentlich nicht beschweren, wenn es dadurch mehr Unterschleif gab.

Indirekte Einflussnahmen

Eine größere Rolle bei der Beeinflussung des Ergebnisses spielen aber wohl indirekte Einflussnahmen, als solche plumpen Aktionen. So galt vor der Abstimmung ein von der Wahlleitung verhängtes „Agitationsverbot“ zur Verfassungsreform – man durfte eigentlich weder für noch gegen den Gegenstand des Entscheids agieren, nur informieren.

Während so und über Corona-Bestimmungen eine aktive Arbeit der Reformgegner außerhalb des Internet weitgehend blockiert war, war die Auslegung des Agitationsverbots für die mächtigen Reform-Befürworter äußerst großzügig. Also beispielsweise allen großen TV-Sendern, die durchweg sehr regierungsnah sind und das bei ihrer „Information“, wie gut diese Verfassungsreform ist, auch deutlich zeigten. Hier hat Putin gegenüber früheren Zeiten und der Ära Jelzin den Vorteil, anders als sein Vorgänger nicht nur einen Medienkonzern, sondern alle großen Programme sicher hinter sich zu wissen, während die Opposition die Leute meist online erreicht.

Wie wichtig dieser Faktor sein kann, zeigt sich beispielsweise daran, dass unter den in Deutschland lebenden Russen – die ja die Wahl haben, über welche Medien sie sich informieren und über das Mutterland mehr Onlinequellen nutzen – die Verfassungsreform gar keine Mehrheit fand, sondern mehrheitlich abgelehnt wurde. Hingegen ist in Russland selbst das russische Fernsehen immer noch die Nachrichtenquelle Nummer eins und deren Stimmungsbild war eindeutig und färbte auf das Wahlvolk mit Sicherheit ab.

Auch Putin selbst bekleckerte sich beim Thema Agitation unmittelbar vor der Abstimmung nicht mit Ruhm. Hielt er sich in den Wochen davor zunächst noch zurück und forderte – ganz souveränes Staatsoberhaupt – nur zur Teilnahme am Entscheid auf, war seine Rede direkt vor dem entscheidenden letzten Abstimmungstag eher eine Werbeeinblendung für „ja“. Am Vortag der Entscheidung referierte er umfangreich von den angestrebten Verfassungsänderungen als Verstärkung von Werten und Grundsätzen wie der Gesundheitsversorgung und dem sozialen Schutz der Bürger – wer will da schon dagegen sein? Sein Verhalten erinnerte hier ein wenig an seinen Schwenk zu zusätzlichen Amtszeiten im März dieses Jahres. Kritisierte er davor noch überalterte Staatenlenker wie zur Sowjetzeit, ließ er sich wenige Wochen später schon die Möglichkeit schaffen, selbst ein solcher zu werden. Was hinter diesem zweifachen Kurswechsel steckt, wird wohl im Dunkel der Spekulation bleiben.

Fehler der Gegenfraktion

Diejenigen, die gegen die Verfassungsänderung waren und politisch aktiv, trugen aber auch ihren Teil zu dieser eigenen Niederlage bei, einem Fiasko für die gesamte russische Opposition. So Nawalnys unsinniger Boykottaufruf, den andere Oppositionelle zurecht dafür kritisierten, dass er nur den Anteil der „Nein“-Stimmen vermindert, die Wahlbeteiligung jedoch nach der Abstimmung niemanden interessiert. Wie um ihnen recht zu geben, berichten nun auch weltweit alle Medien schwerpunktmäßig über die für Putin schmeichelhafte Stimmenverteilung – oder wer kann aus dem Stegreif die Wahlbeteiligung rezitieren? Nawalny hat sich hier nicht zum ersten mal als furchtbarer Taktiker erwiesen und die Kommunisten, die neben einem losen Bündnis von Abgeordneten die einzigen Nein-Promoter waren, waren eine schwache Stimme im Vergleich zur Regierungsmaschinerie und dem ihr nahe stehenden russischen Medien-Mainstream.

Alles in allem darf man aber den Regierenden in Russland ihren Sieg  (nicht triumphal, sondern mit „Gschmäckle“) nicht absprechen – es sind doch noch einige Prozent mehr geworden,  als die meisten Beobachter vorher vermuteten – 77 % sind ein Wort, auch wenn ein Teil davon zweifelhaft zusammen kam. Es muss eine große Anzahl von Russen geben, die ehrlich vom Sinn der Verfassungsreform überzeugt waren – gerade Ältere, die stabile Verhältnisse lieben und ihrem Präsidenten vertrauen, den sie schon seit 20 Jahren in Amt und Würden kennen. Ihr Vertrauen führte dazu, dass sie seiner Verfassungsänderung in den meisten Fällen trauten, auch ohne sie selbst zu lesen. In vielen Wahllokalen lag der Gegenstand der Abstimmung auch gar nicht aus. Aber dennoch hat das politische Establishment das Heft fest in der Hand – das ist ein Fakt.

Nun bleibt abzuwarten, wofür die Spin Doctors im Kremlumfeld diesen Sieg nutzen werden. Um für einen geregelten Übergang und Generationenwechsel zu sorgen – auch ganz an der Spitze, wo jetzt Putin frisch gestärkt weiter im Chefzimmer sitzt – oder um den Kreml nur mit einem seniorengerechten Umbau zu versorgen, der bei einem irgendwann 80jährigen Staatsoberhaupt anzuraten wäre. Man wird sehen.

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