Verzicht für Magen und Seele. In dieser Woche begann in Russland die Fastenzeit vor Ostern

[von Daria Boll-Palievskaya] „Im Vorzimmer stehen Schüsseln mit gelben Salzgurken, die man mit Dill gewürzt hat, dann welche mit eingestampften Sauerkohl, dick mit Anis bestreut – ein richtiger Gaumenkitzel! (…)  Man wird Kompott kochen, Kartoffelpuffer mit gedörrten Pflaumen und Pfirsichen zubereiten, Erbsen, Mohnbrot, das mit Zucker und Mohn bestreut ist, auf den Tisch bringen, dann auch noch rosa Kringeln (…) gefrorene Moosbeeren mit Zucker, Nüsse in Honig, überzuckerte Mandeln, Erbsen in Essig, runde Kringeln und Semmeln, eingemachte Rosinen, (…) Fastenzucker mit Orangenschalen vermischt, voll Zitronen- und Himbeergeschmack, ferner Chalwa… Dann noch gebratene Buchweizengrütze mit Zwiebeln – dazu trinkt man Kwas“, so beschrieb der russische Schriftsteller Iwan Schmeljow die Speisekarte zu Fastenzeiten in einer Kaufmannsfamilie in Russland Ende des 19. Jahrhunderts.

Zu Sowjetzeit ist sogar der Begriff „Fasten“ in Vergessenheit geraten. Doch seit Anfang der 90er Jahre entdecken viele Russen die Religiosität für sich neu. Und dazu gehören eben auch Feste und Bräuche. Am Montag, den 27.Februar hat in diesem Jahr das Große Fasten vor dem Osterfest begonnen (das russische Osterfest wird 2017 auch am 16. April gefeiert) –  die wichtigste und die strengste Fastenzeit des Jahres. Ganze sieben Wochen lang wird streng gefastet.

Am sogenannten Vergebungssonntag – dem letzten Sonntag des Masleniza-Festes (das ist der russische Karneval)  – bitten gläubige Russen einander um Vergebung. Der Vergebungssonntag eröffnet das große Fasten. In dieser Zeit wird ausschließlich pflanzliche Nahrung (Obst, Gemüse, Pilze, Hülsenfrüchte, Honig, Grütze) zu sich genommen. Auch keinen Fisch darf man essen. Die Große Fastenzeit kennzeichnen nicht nur ihre Strenge und Länge, sondern auch besondere Gottesdienste, die weniger feierlich sind, dafür aber länger dauern, weil sie durch besondere Gebete erweitert werden.

Natürlich sind die Fastenzeiten nicht als eine dogmatische Diät zu verstehen, sondern dienen der spirituellen Vorbereitung zu großen christlichen Festen. Das „innere“ Fasten ist also wesentlich wichtiger, als das „äußere“. Ein Eremit von Optina Einsiedlerei antwortete auf die Frage, was man zu Fastenzeit essen darf so: „Alles, nur die Menschen nicht“. Damit meinte er, dass das Verzichten auf Fleisch und alle tierischen Produkte keinen Sinn hat, wenn wir dabei das Leben unseren Nächsten erschweren. „Das Ziel des Fastens ist es, die Seele an die erste Stelle vorrücken zu lassen“, sagt der Vorsteher der Märtyrer-Wladimir-Kirche aus dem Dorf Sosnowka Vater Alexander.

Die Regeln für das Fasten sind streng festgelegt. Doch die Russische Orthodoxe Kirche verlangt nicht von allen ihr Einhalten. So sind z.B. kranke, alte Menschen, schwangere Frauen oder Reisenden davon befreit. Außerdem sollte jeder Gläubiger vor Beginn der Fastenzeit mit seinem Beichtvater darüber beraten, was er oder sie sich zumuten kann. Denn das Fasten ist für die Anfänger sehr schwer. Vielen Menschen, die sich zum ersten Mal entscheiden, zu fasten, werden Regeln fürs Fasten gemildert.

Von Jahr zu Jahr entscheiden sich immer mehr Menschen in Russland zu fasten. Wenn 2008 11% der Befragten aussagten, sie haben vor, sich zumindest teilweise an die strengen Regeln des Fastens zu halten, so wollten im Jahre 2017 laut der Befragung vom Lewada-Zentrum schon 18% der Russen fasten. Allerdings schwankt die Zahl derjenigen, die alle sieben Wochen streng fasten wollen seit Jahren zwischen 3% und 2 %. Auf die langsame Rückkehr dieser Tradition reagiert auch die Gastronomie. Viele Restaurants führen inzwischen sogenannte Fastenspeisekarten, und sogar in der Kantine des russischen Parlaments werden Fastengerichte angeboten. Wie der Chefkoch der Parlamentskantine der populären russischen Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ verriet, fasten mehr als 50 % der Parlamentsabgeordneten. „Das ist keine Modeerscheinung. Die Menschen tun das gern“, erzählte er. „Buchweizen mit Pilzen oder Sauerkrautsalate sind die Renner. Und die Abgeordnete von der Liberal-Demokratischen Partei Russlands Irina Gorkowa sagte: „Ich faste seit 15 Jahren. Manchmal klappt es ganz gut, und manchmal hat man so viele Versuchungen, dass ich es doch nicht schaffe. Das Große Fasten bedeutet eine Möglichkeit, sich an Einschränkungen zu gewöhnen, sie mit Ruhe zu betrachten. Viele denken, dass sie durch Fasten abnehmen können. Doch wenn man überwiegend Bohnen, Grütze und kohlenhydratreiche Kost zu sich nimmt, nimmt man eher zu. Nach der ersten Woche kann man das Gemüse gar nicht mehr sehen. Deswegen ist das schon schön, dass unser Chefkoch eine so abwechslungsreiche Speisekarte bietet. Doch ein richtig gläubiger Mensch sollte sich keine großen Gedanken über das Essen machen. Dieses Sich-Tausend- Neue-Fasten-Rezepte-ausdenken, das ist doch kein richtiges Fasten, sondern ein Spiel“.

Daria Boll-Palievskaya – russland.NEWS

 

COMMENTS