„Verhärtung des Kurses“ – Expertin des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften Dr. Ekaterina Timoschenkowa über Perspektiven der russisch-deutschen BeziehungenDr. Ekaterina Timoschenkowa

„Verhärtung des Kurses“ – Expertin des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften Dr. Ekaterina Timoschenkowa über Perspektiven der russisch-deutschen Beziehungen

Frau Timoschenkowa, 2021 ist das Jahr der Parlamentswahlen sowohl in Deutschland als auch in Russland, daher kann man schon einige Prognosen wagen. Ich habe zunächst eine allgemeine Frage: Bedeutet ein Wechsel im deutschen Bundeskanzleramt zwangsläufig einen Paradigmenwechsel in den Beziehungen zu Russland?

Natürlich werden beim Wechsel der Figur des Bundeskanzlers die Akzente immer anders gesetzt, denn der Bundeskanzler bestimmt die Basis der Innen- und Außenpolitik. Es gibt zwar ein bürokratisches System, das für Kontinuität sorgt, aber es hängt doch viel von der Persönlichkeit des Kanzlers ab, davon, wie er oder sie die Beziehungen zu den Koalitionsparteien und zur Opposition aufbauen wird, die außenpolitische Agenda sieht und von seinen/ihren persönlichen Charaktereigenschaften. Wir haben viele Beispiele dafür in der Geschichte. Willy Brands berühmte Formel „Wandel durch Annäherung“, die zur Entspannung führte, veränderte die deutsche Außenpolitik völlig. Was die deutsch-russischen Beziehungen angeht, werden wir auf jeden Fall einen Stilwechsel erleben, egal wer die Wahlen gewinnt. Die deutsche Politik gegenüber Russland wird härter werden. Denn wir werden nicht nur ein Wechsel in der Führung, sondern auch ein Wechsel in der politischen Elite erleben. Die Generation mit persönlicher Erfahrung des Zweiten Weltkriegs verlässt die politische Bühne. Menschen, die keine Angst vor dem Ausbruch eines Krieges haben, betreten die politische Bühne, weil die Folgen eines Krieges für sie, als sie sozialisiert wurden, nicht so spürbar waren. Daraus ergibt sich eine Verschärfung der Instrumente, mit denen Außenpolitik betrieben wird. Während sich Deutschland früher als eine Art Brücke zwischen Russland und den neuen EU-Mitgliedern sah, gibt es jetzt eine Orientierung an den Interessen der USA und Osteuropas.

Schauen wir uns dann die einzelnen Kanzlerkandidaten separat an. Was ist zum Beispiel von Armin Laschet zu erwarten, wenn er Merkels Nachfolger wird?

Es geht nicht nur um Kanzlerwechsel, sondern um den Kampf der CDU um das politische Erbe von Angela Merkel. Die Partei wird von Armin Laschet zur Wahl geführt. In einem Interview im Jahr 2018 sprach sich Laschet gegen eine „Dämonisierung Russlands“ aus. Aber bei allen Äußerungen (auch zur Unterstützung von Nord Stream 2 und für prinzipiell normale Beziehungen zu Russland), bei aller Kompromissbereitschaft fragt man sich, welches Gewicht er in der eigenen Partei hat. Schon die Art und Weise, wie er Vorsitzender wurde und wie viele Stimmen er als Kanzlerkandidat bekam, zeigt, dass es in der CDU mehrere unterschiedliche Strömungen gibt. Und viele führende CDU-Politiker wie Ursula von der Leyen oder Annegret Kramp-Karrenbauer sind für eine Verhärtung des Kurses gegenüber Russland.

Und wenn die Grünen an die Macht kommen?

Die Grünen sind traditionell konsequent kritisch gegenüber Russland, seiner inneren Entwicklung und dem deutsch-russischen Verhältnis selbst. Sie sehen die Rolle Russlands als Kriegstreiber in der Mitte Europas. Annalena Baerbock stellt klar, dass Nord Stream 2 gestoppt werden muss, weil es ausschließlich Präsident Putin nütze. Die harte Rhetorik tritt in den Vordergrund. Aber andere Parteien sind nicht weniger negativ gegenüber Russland eingestellt. So mahnte Graf Lambsdorff von der FDP, sich auf eine langwierige Phase in den Beziehungen zu Russland einzustellen und darauf gefasst zu sein, dass Deutschland für diese Verhärtung auch einen Preis zahlen müsse. Das heißt, es dominieren antirussische Stimmen. Die Grünen waren lange in der Opposition und sind es gewohnt, mehr zu kritisieren als vorzuschlagen. Im Allgemeinen betrachten die Grünen den Umweltschutz irgendwie getrennt von der Außenpolitik und den Beziehungen zu anderen Staaten. Zum Schutz unseres Planeten aufzurufen und gleichzeitig die Länder zu konfrontieren, die die demokratischen Werte nicht teilen, einschließlich Russland, ist eine ziemlich seltsame Position. Dabei könnte selbst der von den Grünen abgelehnte Nord Stream 2 für die Wasserstoffversorgung, also für die Energiewende, genutzt werden.

Übrigens, was erklärt Ihrer Meinung nach eine so traditionelle Haltung der Grünen zu Russland?

In der Tat hat die Partei seit den Tagen von Joschka Fischer einen antirussischen Kurs verfolgt. Mir scheint, dass die Partei, da sie in Westdeutschland und während des Kalten Krieges entstanden ist, diese Konfrontation förmlich aufgesogen hat und zunächst auf die Vereinigten Staaten ausgerichtet war. Ich denke, die Atmosphäre, in der Menschen aufwachsen, bestimmt ihre politische Einstellung. Eine solche Tradition ist schwer zu brechen, denn man müsste der Partei die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels.

Und welche Rolle spielt die SPD in den russisch-deutschen Beziehungen?

Als Partei von Willi Brand ist die SPD traditionell mehr russlandfreundlich und versucht, eine Kompromisslinie zu finden. Ihre lange Beteiligung an der Koalition hat jedoch dazu geführt, dass sie ihren Status als Volkspartei verloren hat, was sie dazu zwingen wird, in die Opposition zu gehen, um sich zu erholen. Die SPD ist nicht mehr Mainstream. Ich glaube nicht, dass sie Teil der nächsten Regierung sein werden.

Was sagt die deutsche Fachwelt zu deutsch-russischen Beziehungen?

Auch die Experten der Stiftung für Politik und Wissenschaft fordern eine härtere Politik gegenüber Russland. Sie schlagen vor, Russland als Druckmittel aus dem Swift-System auszuschließen. Viele fordern, der Ukraine so schnell wie möglich militärische Garantien zu geben, sie in die Nato oder sogar in die EU aufzunehmen. Und einige deutsche Medien fordern, die letzten Hindernisse in der kulturellen Wahrnehmung Russlands zu überwinden, nämlich das Gefühl der Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, das die Deutschen daran hindert, zu einer harten Politik überzugehen. Das heißt, gerade die moralische Verpflichtung Deutschlands, die Beziehungen zu Russland friedlich zu gestalten, wird jetzt in Deutschland in Frage gestellt. Wir sehen eine Konsolidierung des politischen Establishments in dieser Frage. Und diese Rhetorik wird durch konkrete Schritte, wie Nato-Übungen im Schwarzen Meer, unterstützt. Eine solche Spirale ist beängstigend. Während im Kalten Krieg gegenseitiger Respekt zwischen den beiden Lagern herrschte, fehlt diese Vorsicht jetzt in der Rhetorik unserer Politiker. Anstatt die Situation des Coronavirus zu nutzen, um sich zu vereinen, ist die Politik den bekannten Weg der Abschottung und der Suche nach äußeren Feinden gegangen. Und jetzt, in unserer globalen Welt, kämpft jeder um seinen eigenen Einfluss.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

COMMENTS