Tag 6 – In Erklärungsnot

Mir brummt der Schädel. Dieses mal aber nicht von Michels selbstgebranntem Schnaps von gestern Abend, das auch, ja, aber mehr noch von was anderem. Moritz hatte mich heute Nacht beim Heimkommen noch dazu animiert bzw. – treffender formuliert – davon überzeugen können, vor dem Schlafengehen noch gemeinsam die „Butterwiege“ zu üben. „Kannst dein schmerzendes Kreuz dabei total aushängen. Das wird dann ganz locker, regelrecht geschmeidig“, meinte er. Sinnloserweise, wie sich mittlerweile herausstellte. Als ob der Abend an sich nicht schon anstrengend genug gewesen wäre. Liege den ganzen Vormittag wie tot in meinem Bett. Das Kreuz schmerzt ungeheuerlich. Nur mit Mühe kann ich mich gegen Mittag aufrappeln und mich nach unten in die Wohnung schleppen.

Meine Frau kommt dann irgendwann nach Hause: „Osvaldo, heute Nacht habe ich mehrere laute Einschläge in der Küche gehört. Was war denn da los?“

„Kann mich ja selbst kaum daran erinnern“, überlege ich, die Augen nach oben Richtung Decke rollend, und probiere, ihr das einigermaßen verständlich zu erklären, also so, dass es ihr gefallen könnte. Und ohne dass ich wieder eins auf die Mütze bekomme. Ungerechtfertigterweise, wie fast immer. Aus meiner Sicht zumindest. Ich möchte ihr also die Begebenheiten der Nacht einigermaßen schmackhaft zu machen. Das Drama fand ja immerhin in der Küche statt. Und um was zu essen ging es ja quasi auch bei der „Butterwiege“.

„Also, ich glaube, es gibt für die ‚Butterwiege‘ keinen besseren Ort als die Küche“, höre ich mich selbstbewusst verkünden.

„Osvaldo, komm‘ zur Sache! Ich habe zu tun!“

Mist. Sie scheint mein geplantes Manöver gleich durchschaut zu haben.

„Gut, nochmal von vorn: Es gab einen kleinen Aufprall, weil die Butterwiege nicht geklappt hat.“

„Osvaldo! Ich und die Kinder glaubten, das Haus stürzt ein!“

„Ok, also es war so: Moritz hat mir erklärt, dass es für den Rücken gut wäre, sich kurz vor dem Schlafengehen noch einmal aushängen zu können.“

„Was genau meinst du mit ‚aushängen‘?“

„Na, ich habe doch manchmal diese Rückenprobleme. Davon habe ich Moritz auf dem Heimweg heute Nacht erzählt. Und er meinte, er kenne da eine hervorragende Übung, die nachhaltigen Erfolg verspreche und ich könne direkt damit beginnen.“

„Jetzt komm‘ endlich zur Sache!“

„Beim Aufbau der Butterwiege sind wir einfach zusammengekracht. Wir hatten uns Rücken an Rücken gestellt, erst aufrecht, reichten uns die Hände nach hinten durch und hielten uns so gegenseitig fest. Moritz erklärte mir dann, dass er sich nun langsam, ganz langsam und Stück für Stück bücken würde, also in die Knie gehen würde, immer noch händchenhaltend. Ich sollte mich dann langsam rückwärts auf seinen Rücken rollen. Also Rücken auf Rücken. Aber schon kurz nachdem ich spürte, dass meine beiden Füße den Boden in die Höhe verließen, schossen mir diverse, messerstichartige Schmerzen in alle möglichen Bereiche meines Rückens. Um weitere unglaubliche Schmerzen zu vermeiden, musste ich versuchen, mich abrupt von Moritz‘ Rücken zu lösen und sprang ohne zu überlegen mit einem gewagten Satz von ihm runter. Das, was ihr dann hörtet, war der Aufprall. Moritz‘ Beine (er wiegt etwa die Hälfte von mir) gab dann unter dem Gewicht meines ganzen Körpers urplötzlich nach und wir sausten wie zwei Kartoffelsäcke fast gleichzeitig mit voller Wucht auf den Küchenboden. … … So lief das ab. Mach dir aber keine Sorgen: Unsere Hände lösten sich während dieses Vorgangs von ganz alleine.“

„Osvaldo, meine Toleranz ist heute Nacht ein gutes Stück weiter gebröckelt. Viel bleibt nicht   mehr.“

Oha. Das wird bald eine ernste Angelegenheit. Das habe ich im Gefühl.

„Ihr hättet euch was-weiß-ich was antun können. So ein Glück haben echt nur kleine Kinder      und Betrunkene.“

Ich wollte noch antworten „Siehst du, gut, dass wir nicht nüchtern nach Hause kamen!“, beließ es dann aber angesichts der aktuell für mich etwas widrigen Umstände bei einem „Ja, da hast du dieses Mal vollkommen recht.“

Überlege dann, warum kleinen Kinder in der Regel – und Gott sei Dank! – nichts passiert. Das ist deshalb, weil die nur kurz über dem Boden laufen. Aber habt Ihr demgegenüber schon mal einen Riesen gesehen, sagen wir mal einen 2,20-Meter-Mann, der gerade aus einem Wirtshaus gestolpert kommt und dann bei Glatteis den Abgang gemacht hat? Mit welchem Bumms der aufschlägt? Das sieht dann aus wie ein Bergmammutbaum, der zu Boden knallt. Der höchste lebende Baum ist übrigens der General Sherman. Misst über 80 Meter und hat einen Durchmesser von rund 11 Metern. Ist auch schon etwa 2000 Jahre alt und steht in einem Nationalpark in Kalifornien. Also, wenn der mal fallen sollte, … dann würde der sich auch etwas tun, der hätte dann bestimmt eine üble Verletzung, aber so richtig. Könnten dann Streichhölzer aus ihm basteln. An der Stelle würde mich mal interessieren, wie viele einzelne Streichhölzer das in etwa werden würden?

Oh je, bin jetzt ganz von Thema abgekommen. Also, Kinder fallen jedenfalls nicht so tief wie Mammutbäume. Und die Butterwiege ist eine gefährliche Angelegenheit.

Der Spruch, dass sich Kinder und Betrunkene nicht weh tun, ist also widerlegt.

 

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