Tag 123 – Norbertos Paradies

Schade, dass wir nicht schon zu Ostern in Russland sind. Wie für alle Christen – egal ob katholisch, lutherisch, anglikanisch oder orthodox – ist es der höchste kirchliche Feiertag. Wenn wir uns beeilen, würden wir die Osterwoche in Russland sogar noch miterleben können. Denn Ostern wird dort nach dem Julianischen Kalender berechnet und findet in diesem Jahr am 8. April statt.

Wie ich gelesen habe, endet der Ostergottesdienst am frühen Morgen mit einem Gang um das Kreuz. Die Glocken erklingen vielschichtig, Gesang erschallt, und schließlich fordern die Priester die Besucher auf, sich zu umarmen, zu küssen und sich gegenseitig zu verzeihen. Ich finde, so etwas schafft eine tolle Verbundenheit. Imponiert mir wirklich und ernsthaft.

So ein großartiges Gemeinschaftsgefühl überläuft mich übrigens auch immer, wenn ich mit Michel, Norberto und Lew auf Tour bin: Wir umarmen uns, wenn ein Tor für Deutschland fällt, und beim Bierschlumpsen verzeihen wir einander, wenn wir über den Lieblingsverein des anderen gelästert haben. Nur Küssen lassen wir weg.

Zu den alten Sowjetzeiten lief das Osterfest in Russland offenbar noch anders ab. Russland.news schreibt dazu:

„Zu Sowjetzeiten hatten die Machtinhaber vor Ostern richtig Angst. Man unternahm alles Denkbare, um die Menschen daran zu hindern, Ostern zu feiern. Vor den Kirchen wurde Miliz postiert mit der Aufgabe, keine jungen Leute hineinzulassen. Oder man schickte Provokateure in die Kirchen, um den Gottesdienst zu stören. Auch viel subtiler kämpfte man gegen Ostern. So liefen z.B. im Fernsehen im Spätabendprogramm immer sonst verbotene amerikanische Blockbuster. Diese Zeiten sind vorbei, und mit jedem Jahr feiern immer mehr Russen die Auferstehung Christi. Laut Angaben des führenden soziologischem Instituts Lewada-Zentrum, haben 2014 nur 9% der russischen Bürger ausgesagt, sie hätten Ostern gar nicht gefeiert.“

http://www.russland.news/osterfest-in-russland-russen-entdecken-wieder-fasten-und-feiern/

Alle christlichen, beweglichen Feiertage werden bekanntlich ja vom Ostersonntag ausgehend berechnet: Christi Himmelfahrt 40 Tage nach Ostern, Pfingsten 50 Tage danach und Fronleichnam 60 Tage. Es geht aber auch in die umgekehrte Richtung: Aschermittwoch ist 40 Tage vor Palmsonntag, der wiederum eine Woche vor Ostersonntag ist. Vom Aschermittwoch leitet sich dann wiederum die Fastnacht ab, die mit dem Dienstag vor Aschermittwoch endet. Ab dann heißt es (aus dem Lateinischen): Carne vale – Fleisch ade. Womit auch die Herkunft des Begriffs Karneval geklärt ist.

Wird in Russland auch Karneval gefeiert? Ich glaube ja, es ist nur nicht so bekannt, läuft anders ab und nennt sich Masleniza („Butterwoche“). Ob man sich auch verkleidet? Bei den teils mehr als eisigen Wintertemperaturen in Russland wird bestimmt viel drinnen gefeiert. Stelle ich mir jedenfalls so vor.

Unabhängig davon, ob man sich zur Masleniza auch verkleidet oder nicht – was uneingeschränkt sympathisch rüberkommt ist das, was auf Russisch dazu erläutert wird:

есть до икоты.
пить до перхоты.
петь до надсаду.
плясать до упаду.

Essen bis zum Schluckauf.
Trinken bis zur Heiserkeit.
Singen bis zur Stimmlosigkeit.
Tanzen bis zum Umfallen.

Könnte glatt von uns stammen. Aber wir haben ja schon ein Motto: „Heiß wie Frittenfett“. Konnte uns bis jetzt bloß noch niemand übersetzen.

Dem Osterfest geht jedenfalls die große Fastenzeit voraus, die sehr streng ist und in Russland rund sieben Wochen dauert. Sieben Wochen! Das sind nochmal acht Tage mehr als die 40-tägige Fastenzeit bei uns. Für Norberto wäre das der Supergau. Vielleicht ist das der Grund, warum er Moslem geworden ist. Aber auch die Muslime haben ihre Fastenzeit, den Ramadan, und fasten einen Monat lang. Jedenfalls kein Wunder, dass das Fastenbrechen überall entsprechend gefeiert wird. Das Beste aber: Eine Fastenzeit ist freiwillig. Wobei ich finde, dass eine wie auch immer gestaltete Fastenzeit zur persönlichen Besinnung nichts schaden kann, im Gegenteil.

Wie bei dem Michel aus Lönneberga, der sich bei Streichen mit meist tragischem Ausgang für seinen Papa immer in einem Holzschuppen verbarrikadieren musste und erst wieder raus durfte, wenn er sich besonnen hatte, würde auch bei mir nichts gegen einen wöchentlichen Fastentag sprechen. Meint meine Frau zumindest. Bei uns zu Hause ist die Mama nämlich gefühlt der Papa.

Für die Festlegung des Datums des Ostersonntags gibt es übrigens eine Reihe von komplizierten Osterformeln. Bisher kannte ich ja nur den Urbi et Orbi. Der Papst legt den Termin aber nicht fest, obwohl er ansonsten gute Beziehungen zu überall hin hat.

Die Berechnung hängt mit dem Frühlingsvollmond zusammen und scheint in der Tat höchst kompliziert zu sein. Unterschiedliche Kalenderarten, der bei uns gebräuchliche Gregorianische Kalender, der Julianische Kalender, der Babylonische Mondkalender, der jüdische Kalender, dann noch jährlich differierende Vollmondzeiten, die mittels eines Lunisolarkalenders ermittelt werden, der wiederum selbstverständlich aus einem Lunarkalender entwickelt worden ist – da kommt unsereins völlig durcheinander.

Zum Glück bin ich es nicht, der dazu bestimmt worden ist, den genauen Zeitpunkt des Ostersonntags festzulegen. Da würde ich ganz schön ins Trudeln kommen. Aber … wäre es nicht einfacher, den Osterfeiertag – ähnlich wie Weihnachten – auf einen bestimmten Tag festzulegen? Zum Beispiel auf den 7. April? Das könnte ich mir wenigstens gut merken, da hat meine Schwiegermutter Geburtstag.

Hab mal nachgesehen: Das nächste Mal, dass der Ostersonntag nach den Vorausberechnungen auf den 7. April fällt, ist im Jahr 2075. Meine Schwiegermama wäre dann 127. Oha.

Wie auch immer: Die bekannteste und bis heute jedenfalls gebräuchlichste Formel zur Berechnung des Ostersonntags stammt von dem deutschen Mathematiker, Astronom, Geowissenschaftler und Physiker Carl Friedrich Gauß (1777-1855). Boah! Könnte ich doch nur eine neue, einfachere Osterformel entwickeln, ich würde sofort meinen Namen ändern lassen: Osvaldo Gauß. Hätte was.

Bei denen im Internet habe ich übrigens auch gelesen, dass der Ostersonntag bei vielen russischen Familien mit einem gemeinsamen Frühstück, frischen Blumen, Weidensträußen, dem Osterbrot, dem Quarkkuchen Paßcha und natürlich auch mit gefärbten Eiern beginnt. Auf dem Tisch stehen all die Speisen, die während des großen Fasten verboten waren.

In Russland würden sich die meisten Menschen insgesamt eher auf den kulinarischen Teil des Festes beschränken. Ohne vorhergehende Fastenzeit. Und hier kommt dann Norberto wieder ins Spiel, denn Achtung, jetzt kommt’s: Wer es sich leisten konnte, servierte früher – entsprechend der Anzahl an Fastentagen – 48 unterschiedliche Gerichte! Ich vermute, das wäre selbst für Norberto zu viel des Guten gewesen.

Aber probiert hätte er es.

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