So schnell wird man ein «Putin-Troll» oder ein «Assad-Freund»

[von Helmut Scheben-Infosperber.ch] Es ist anspruchsvoll, über (Propaganda-)Kriege zu berichten. Es fängt bei der Wortwahl an und hört bei der Prüfung von Quellen auf.

Im umkämpften Ost-Ghouta gehe es darum, die Zivilbevölkerung «aus den Fängen der Terroristen» zu befreien, erklärte der syrische Präsident Baschar al-Assad laut «Tages-Anzeiger» vom 6. März 2018. TA-Kairo-Korrespondent Paul-Anton Krüger beschrieb die Lage in Ost-Ghouta dann selber wie folgt:

«Ost-Ghouta wird von mehreren salafistisch geprägten Rebellengruppen dominiert, die grössten unter ihnen sind Jaish al-Islam, die Douma kontrolliert, und Failaq al-Rahman, die im Süden stark ist. Sie haben sich wiederum untereinander schwere Kämpfe geliefert. Gegen ihre autoritäre Herrschaft hatte es Proteste der Zivilbevölkerung gegeben – allerdings auch gegen das Assad-Regime.»

Solche differenzierten Angaben findet man nicht oft in unseren Zeitungen, und noch weniger in den Nachrichten von Radio oder Fernsehen. Bemerkenswert ist allein schon die Feststellung, dass Ost-Ghouta in der Hand von radikalen Dschihadisten ist. Denn der Ausdruck «salafistisch geprägte Rebellengruppen» besagt genau dies.

Der Ausdruck «Rebellen» ist zumindest verharmlosend

Das übliche Wording in den Medien beschränkt sich auf das Wort «Rebellen». Doch diese Gruppen verantworten Bombenanschläge in Damaskus und anderen Terror. Solche Aktivitäten liegen semantisch weit weg vom Begriff «Rebellen».

Denn «Rebellen» ist ein Wort mit positiver Konnotation, welches für vieles stehen kann: von romantischen Revolutionären über mutige Jungpolitiker bis hin zu Johnny Depp und seinen Piraten der Karibik. Es ist aber nicht das richtige Wort für bewaffnete Gruppen von Extremisten. Der Gebrauch des Wortes «Rebellen» ist also in Hinsicht auf die Sachlage in Syrien in vielen Fällen manipulativ oder zumindest verharmlosend.

Noch erstaunlicher ist die Bemerkung Krügers, gegen die «autoritäre Herrschaft» der Dschihadisten habe es «Proteste der Zivilbevölkerung» in Ost-Ghouta gegeben. Das war anderswo bislang selten zu lesen. Dass Ost-Ghouta – wie vorher viele andere Gebiete in Syrien – in die Hand von bewaffneten Gruppen fiel, die ein autoritäres, fundamentalistisches Regime errichteten, entspricht so gar nicht der landläufigen These, es handle sich in Syrien grundsätzlich um den legitimen Aufstand des Volkes gegen einen Tyrannen.

«Krieg gegen das eigene Volk»

Ähnlich vereinfachend und einseitig ist die Metapher «Assad führt Krieg gegen das eigene Volk» – seit Kriegsbeginn Standardsatz westlicher Medien. Zum syrischen Volk gehörten auch diejenigen syrischen Polizisten, Soldaten, Gemeindevorsteher und viele andere, die als «Sympathisanten des Regimes» im Frühjahr und Sommer 2011 umgebracht wurden.

Westliche Medien hatten damals fast ausschliesslich über «friedliche Demonstranten» der Opposition berichtet. Dass «Assad-Sympathisanten» mit vorgehaltener Maschinenpistole aus den Häusern geholt und erschossen wurden, ist in Bild und Ton in zahlreichen Fällen dokumentiert. Ebenso das Erstürmen und Niederbrennen von staatlichen Einrichtungen und die Ermordung des Personals.

Hunderte von bewaffneten Milizen aus dem Erdboden?

Die Darstellung, friedliche Demonstranten hätten sich 2011 innert kurzer Zeit in hunderte von bewaffneten Milizengruppen verwandelt, ist unglaubwürdig, wurde und wird aber von grossen Medien kaum hinterfragt. Sie gehört seit Kriegsbeginn in Syrien zum Repertoir westlicher Regierungssprecher und Medien.

Wer nur rudimentäre militärische Kenntnisse und wenig Erfahrung in asymmetrischen Kriegen hat, der weiss, dass es einer komplizierten, jahrelangen Planung bedarf (Stichworte: Finanzierung, Bewaffnung, Trainingslager, Nachschubwege, Rückzugsgebiete und Spitäler in der Türkei, Jordanien etc.), bis solche bewaffnete Gruppen in ihrem Operationsgebiet funktionieren.

Es steht ausser Frage, dass es 2011 eine schlimme Polizei-Repression gegen friedliche Demonstranten in Syrien gegeben hat, und dass ein Teil des syrischen Volkes gegen Assad war und ist. Wie gross der Anteil der Regime-Gegner war und ist, müssen seriöse Recherchen einmal klären. Ein Staat mit so vielen ethnisch-kulturellen Minderheiten hat eine lange Geschichte von Konflikten.

Langfristiger Plan zum Sturz des russlandfreundlichen Assad

Es gab und gibt aber auch das in Washington konzipierte Projekt «New Middle East», also Umsturz, Destabilisierung und Regime Change in einer Reihe von arabischen Ländern. Dieser Plan wurde unter der Regierung George W. Bush nach 9/11 gefasst. Saudiarabien und Katar waren involviert. Geheimdienste und Militärs beider Staaten wollten einen Regimewechsel in Syrien und im Iran, und sie haben den Aufstand in Syrien nachweislich mit Milliarden finanziert.

Der Krieg in Syrien ist 2011 also nicht im Feuer des arabischen Frühlings «ausgebrochen», sondern er war von langer Hand geplant.

Dafür gibt es eine Reihe von glaubwürdigen Quellen. Der pensionierte 4-Stern-General und ehemalige NATO-Oberbefehlshaber in Europa, Wesley Clark, erklärte 2007 bei mehreren Auftritten, er habe kurz nach 9/11 von einem Mitarbeiter im Pentagon zu seiner Überraschung von Plänen erfahren, Regimewechsel in sieben Ländern anzustreben. (Siehe «Neocons Planned Middle East Destabilization Since 2000» und «General Wesley Clark. Wars Were Planned – Seven Countries In Five Years». Folgendes ist ein Schlüsselzitat:

«And he said: ‚This is a memo that describes how we’re going to take out seven countries in five years, starting with Iraq, and then Syria, Lebanon, Libya, Somalia, Sudan and, finishing off, Iran.’»

Die Agenda der Neokonservativen Rumsfeld, Cheney und Wolfowitz war mindestens seit 1991, die weltweite Hegemonie der USA so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Auch der Sturz Saddam Husseins war Jahre zum Voraus geplant. (Siehe «Strategy, Forces and Resources For a New Century» und Interview mit Wesley Clark)

Feinde werden als Monster dargestellt

Die Frage, welche vielfältigen Faktoren zum Entstehen des Konfliktes in Syrien beigetragen haben, in welchem Ausmass es in Syrien vor dem Krieg eine grausame Repression von Minderheiten gegeben hat, und wie stark das Ausland sich tatkräftig und finanziell einmischte, wird seriöse historische Forschung zu klären haben.

Ist das Ziel ein Regime Change, dann werden autokratische Herrscher, selbst wenn man sie Jahre vorher noch militärisch aufgerüstet hatte, mit systematischen Falschinformation zu Monstern gemacht, damit die Weltöffentlichkeit selbst völkerrechtswidrige militärische Angriffskriege mehrheitlich akzeptiert.

Im Irak und in Libyen ist dies gelungen. Mit welchen Methoden die USA vor dem ersten Golfkrieg die Diktatur Saddam Husseins als weitherum gefährlichstes Horror-Regime darstellten, hat John R. MacArthur in seinem Klassiker «Die Schlacht der Lügen» nachgewiesen. Im zweiten Golfkrieg waren die Falschinformationen nicht geringer.

Saddam Hussein war ein Despot, hat Schiiten und Kurden drangsaliert. Doch das ist kein völkerrechtlicher Grund, von aussen militärisch einzugreifen. Offensichtlich ging und geht es den USA in Irak, Libyen und Syrien darum, US-freundliche Regimes zu installieren und nicht um die Beseitigung von Despoten, die Menschenrechte verachten. Sonst müssten die USA mit ihren Militärjets, Panzern und Drohnen auch in Saudiarabien, Ägypten und in einigen Ländern Afrikas eingreifen. Das Gegenteil ist der Fall: Die USA unterstützen diese Diktaturen militärisch und wirtschaftlich.

Auf dem afrikanischen Kontinent war lediglich Ghaddafi interessant – wegen des Ölreichtums Libyens. Zuerst wurde ihm der Hof gemacht. Als das Ziel eines Regime Change klar war, griff man in die unterste Schulbade der Propaganda-Lügen, um ihn zum Monster zu machen. So behauptete Hillary Clinton u.a., Ghaddafi habe seinen Soldaten die Massenvergewaltigung libyscher Frauen befohlen und als Strategie benutzt. Westliche Boulevard-Medien kolportierten, er habe dazu waggonweise Viagra importieren lassen.

Das Lügen ist zur Kriegsvorbereitung und -führung allgegenwärtig

Unterlagen vieler parlamentarischer Untersuchungen (unter anderem des US-Kongresses und des britischen Parlamentes) belegen, dass westliche Regierungen immer wieder gelogen haben, wenn es darum ging, einen (oft verdeckten) Krieg vorzubereiten und zu rechtfertigen.

Die Pentagon Papers hatten das Gleiche in Bezug auf den Krieg in Vietnam aufgedeckt.

Das bedeutet für eine professionelle Journalistin und einen professionellen Journalisten, dass sie zwar die Augenzeugenberichte von all den «Aktivisten» und «Hilfsorganisationen» in Syrien zur Kenntnis zu nehmen haben, aber gleichzeitig der Tatsache Rechenschaft tragen sollten, dass Manipulation von Bildern im Zeitalter des Virtuellen in einem nie gekannten Ausmass zum Kriegshandwerk gehört.

Wenn es passt, wird die Empathie der Weltbevölkerung mit Bildern und Hilferufen von ausgelieferten Kriegsopfern – zu Recht – geweckt. Wenn es aber nicht passt, wird – zu Unrecht – nicht an die Empathie der Weltbevölkerung appelliert.

Auf die unterschiedliche Berichterstattung über die Zerstörung von Aleppo und diejenige von Mossul hat Infosperber mehrmals hingewiesen: «750’000 Einwohner beschossen – Medien schweigen» (1.3.2017); «Kriegsberichte: Doppelmoral und Propaganda» (14.2.2018).

Der erste grosse Sarin-Anschlag in Ost-Ghouta

Ein Beispiel aus Syrien: Seit dem ersten grossen Sarin-Anschlag in Ost-Ghouta im August 2013 macht die syrische Opposition Assad für Giftgasattacken verantwortlich. Und die «Beweise» kommen stets von denjenigen Hilfswerken, die mit den aufständischen Milizen zusammenarbeiten.

Für spätere Giftgaseinsätze wurden möglicherweise zu Recht regierungstreue Einheiten verantwortlich gemacht. Doch im August 2013 waren es mit höchster Wahrscheinlichkeit Dschihadisten-Milizen, die den Anschlag ausführten, um die Regierung Obama zu einer militärischen Intervention zu bringen. 50 hochrangige ehemalige Mitarbeiter der US-Geheimdienste kamen zum Schluss, dass die Regierung in Washington log, als sie behauptete über Beweise zu verfügen, welche die Regierung von Bashar al-Assad für diesen Giftgasangriff belasten (siehe Interview mit McGovern auf Infosperber). Trotzdem hält sich die Lüge über den erwähnten Gifteinsatz hartnäckig.

Diese früheren CIA-Mitarbeitenden schlossen sich in einem Komitee der «Veteran Intelligence Professionals for Sanity» (VIPS) zusammen und nehmen zur US-Politik regelmässig Stellung. Sie fühlen sich ihrem Gewissen verantwortlich und nicht dem Machtapparat in Washington. Mit ihrer Haltung als Whistleblower handeln sie sich in Washington viel Feindschaft und keinerlei Nutzen ein.

Man könnte viele weitere Beispiele für Falschinformationen anführen. Die gravierendsten Fake News gelangen nicht von irgendwelchen Spinnern ins Netz, sondern von Regierungen, Geheimdiensten und Think Tanks, welche die Öffentlichkeit über ihre wahren Interessen und Absichten in die Irre führen wollen.

Ein souveräner Staat kann einen Verbündeten zu Hilfe holen

Was Russland betrifft: Ein souveräner Staat kann einen Verbündeten zu Hilfe rufen, wenn er von Truppen angegriffen wird, die vom Ausland finanziert, bewaffnet und politisch unterstützt werden mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen. Dass Russland als Verbündeter Syriens (mit einem Marinestützpunkt am Mittelmeer) einem solchen Hilfsersuchen nachgekommen ist, verstösst nicht gegen die UN-Charta und verstösst deshalb nicht gegen das Völkerrecht – anders als etwa der gegenwärtige türkische Angriffskrieg auf Kurdengebiete in Syrien.

Wegen einer territorialen Völkerrechtsverletzung in der Ukraine wurde Russland mit einem weitgehenden Wirtschaftsboykott sanktioniert, während beim Nato-Land Türkei die gleichen westlichen Mächte beide Augen zudrücken. Nicht einmal verbaler Protest wird laut.

Aus westlicher Perspektive wird die Hilfeleistung der Russen an Syrien so dargestellt, als habe Russland «die Chance ergriffen», diesen Krieg zu führen und «als grosser Player auf die Weltbühne zurückzukehren». Das wollen viele Experten mit der Optik der Nato und der Rüstungslobby im Westen so sehen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Moskau bei all den internen wirtschaftlichen und politischen Problemen an weiteren Kriegen interessiert war und ist.

Misstrauen ist professionelle Pflicht

Zusammenfassend: Wer als Journalist so oft hat feststellen müssen, dass er belogen wurde, hat die professionelle Pflicht, misstrauisch und kritisch zu sein. Doch wer das westliche Kriegsnarrativ hinterfragt und die Propaganda aller Seiten zu durchschauen sucht, wird schnell als «Putin-Troll» oder «Assad-Freund» pauschal disqualifiziert und verunglimpft – exakt im Sinne der medialen Kriegsführung der USA.

Der nächste Test für die Medien steht im Iran bevor: Mit einem anhaltenden Wirtschaftsboykott und der Drohung, das Atomabkommen zu kündigen, behindern die USA einen Erfolg der mässigenden Kräfte im Iran. Stattdessen hetzen sie zusammen mit Saudiarabien und Israel gegen die «Macht des Bösen», die es zu zähmen gelte. Revolutionsführer Khamenei und Präsident Rohani werden zu Monstern gemacht. Bereits halten in den USA 41 Prozent der Bevölkerung den Iran für den noch grösseren Feind als Nordkorea und für den noch viel grösseren Feind als Russland.

Journalistinnen und Journalisten, die dem immer stärker werdenden, einseitigen Iran-Bashing widerstehen, dürfen sich nicht davon einschüchtern lassen, falls man sie als angebliche «Rohani-Trolle» oder «Rohani-Freunde» diffamieren und zum Schweigen bringen will.

Mit freundlicher Genehmigung von Infosperber.ch>>>

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