Russland und Europa: ewiger Diskurs und neue Umfrageergebnisse© russland.news

Russland und Europa: ewiger Diskurs und neue Umfrageergebnisse

Ist Russland ein Teil Europas oder hat es seinen eigenen Weg? Dieser Diskurs begann in Russland bereits im 19. Jahrhundert, als sich zwei philosophische Strömungen – die so genannten Westler und die Slawophilen – herausbildeten. Davon zeugt der bekannt gewordene Satz des Dichters Fjodor Tjuttschew:

„Verstand wird Russland nie verstehn,

Kein Maßstab sein Geheimnis rauben;

So wie es ist, so lasst es gehn –

An Russland kann man nichts als glauben.“

Dieser Streit ist seither wohl nie abgeklungen. In manchen Perioden der russischen Geschichte waren die Anhänger der einen oder der anderen Richtung an der Spitze der Macht. Im Jahr 2000 erschien das Buch von Alexander Rahr über Wladimir Putin mit dem Titel „Der Deutsche im Kreml“. Heute jedoch herrscht in Russland, sowohl in den politischen Eliten als auch bei vielen Russen, die Vorstellung vor, dass Russland ein besonderes Land ist und sich „nicht auf dem Weg“ nach Europa befindet. Selbst ein neuer Begriff wurde erfunden – in neuen Geschichtslehrbüchern wird Russland als „Zivilisationsstaat“ bezeichnet.  Der ultranationalistische politische Philosoph und Publizist Alexander Dugin hat in einem Radiointerview erklärt, Russland sei eine souveräne Zivilisation, „die bereit ist, ihre Interessen und Werte in jeder Entwicklung der Ereignisse zu verteidigen“. Dabei habe Russland „den Weg der Befreiung von der westlichen Hegemonie eingeschlagen“.

Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM hat ergeben, dass die Russen eher der Meinung sind, dass Russland kein vollständig europäisches Land ist, sondern eine besondere „eurasische Zivilisation“ darstellt. Insgesamt 65 Prozent der Befragten sind dieser Meinung (2007 waren es 45 Prozent der Befragten, 2008 – 42 Prozent). Gleichzeitig lassen sich die Menschen, die an einen Sonderweg Russlands glauben, in zwei Gruppen einteilen. Eine davon sind die Befürworter eines Abbruchs der Beziehungen zu Europa. Sie glauben, dass sich der Schwerpunkt der Interessen in Zukunft nach Osten verlagern wird und dass Russland im Westen ohnehin nie als gleichberechtigter Partner behandelt werden wird, so dass es keinen Sinn hat, dass Russland nach Europa strebt (41 Prozent). Eine weitere Gruppe kann als „gemäßigte Befürworter partnerschaftlicher Beziehungen zu Europa“ bezeichnet werden. Sie sind der Meinung, dass es notwendig ist, partnerschaftliche Beziehungen mit der Europäischen Union anzustreben (55 Prozent).

Die kleinste Gruppe der Befragten (16 Prozent) sind „Befürworter der Rückkehr nach Europa“. Sie glauben nicht an die These vom Sonderweg Russlands und sind der Meinung, dass Russland ein Teil Europas ist und sich um den Beitritt zur Europäischen Union bemühen sollte. In dieser Gruppe gibt es mehr junge Menschen unter 25 Jahren (21 Prozent) und einen höheren Anteil an Frauen (60 Prozent).

Auch die Wahrnehmung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. So war 1999 die vorherrschende Meinung, dass die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen wirklich freundschaftlich sein könnten (57 Prozent). Heute hingegen glaubt die Mehrheit der Russen, dass die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen immer auf Misstrauen basieren werden (63 Prozent). Ein Drittel vertritt die gegenteilige Ansicht (32 Prozent).

Darüber hinaus sind sechs von zehn Russen davon überzeugt, dass die Verstärkung Russlands eine Bedrohung für die europäischen Länder darstellt, so dass sie am Aufstieg und Erstarken Russlands nicht interessiert sind. Die Hälfte der Russen (49 Prozent) ist davon überzeugt, dass Russland im Westen niemals als gleichberechtigter Partner behandelt werden wird, so dass es für Russland keinen Grund gibt, nach Europa zu streben.

Die Umfrageergebnisse zeigen deutlich, dass sich Russland zunehmend von Europa distanziert.

[hrsg/russland.NEWS]

COMMENTS