„Ich habe es aufgegeben, die Türkei verstehen zu wollen. Ich akzeptiere einfach die Türkei. Jeden Tag passiert etwas, das mich völlig umhaut“, scherzte Slawa Komissarenko, einer der bekanntesten Stand-up-Komiker aus Belarus, bei einem seiner Konzerte in Ankara. Während eines Auftritts in Kiew sprach der Komiker über die Verfolgung durch den belarussischen KGB und die Befürchtung, dass er trotz des russischen Passes, den er bereits erhalten hatte, in Moskau hätte entführt und nach Minsk gebracht worden sein können. Im Januar letzten Jahres verließ Komissarenko Russland. Der Komiker wurde wegen „Verleumdung“ von belarussischen Behörden strafrechtlich verfolgt. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Jetzt lebt er in Istanbul. Wie eine große Anzahl von Russen und Belarussen.
Im Jahr 2022 machten Russen 25 Prozent aller Migranten in der Türkei aus und waren damit die größte Gruppe unter den Neuankömmlingen. Darüber berichtet die türkische Zeitung Turkey Recap. Zum Vergleich: 2021 waren Russen nicht einmal unter den ersten fünf größter Migrantengruppen. Ende 2022 lebten hier 146.000 russischer Staatsbürger mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung (2021 waren es etwa 65.000). Im September 2023 wurden 136.000 Russen registriert.
Bis vor kurzem war es für russische Staatsbürger relativ einfach, eine türkische Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Um einen legalen Aufenthalt von mindestens einem Jahr in der Türkei zu erhalten, reichte es oft touristische Gründe anzugeben. Das machte Türkei zu einem der beliebtesten Länder für Russen, die ihr Land nach der Invasion in der Ukraine und vor allem nach der Mobilmachung im September 2022 verlassen wollten.
Doch die türkische Regierung änderte ihre Politik diesbezüglich und zielte darauf, den Aufenthalt von Ausländern in bestimmten Gebieten einzuschränken und gleichzeitig die Abschiebequote zu erhöhen.
Wie Interviewpartner gegenüber der Zeitung Turkey Recap berichteten, wurden viele Russen abgewiesen. Darunter auch solche, die „eine Wohnung gefunden und ihre Familie nachgeholt haben.“ Einige von ihnen versuchen dann ihr Glück in Montenegro. Andere entscheiden sich sogar dafür, illegal zu bleiben und leben in ständiger Angst vor einer Abschiebung nach Russland.
Die überraschende Politikänderung der türkischen Regierung lässt viele Russen glauben, dass sie zu Sündenböcken für in die Höhe schießende Immobilienpreise gemacht werden. Laut offizieller Statistik stiegen die Immobilienverkäufe an Ausländer in der Türkei im Jahr 2022 um 15,2 Prozent. Russen waren dabei die wichtigsten Käufer und erwarben im vergangenen Jahr über 16.000 Immobilien. Das ist ein Anstieg von 203 Prozent im Vergleich zu 2021 und macht ein Viertel aller Immobilienverkäufe an ausländische Käufer aus.
Einige Experten vermuten, dass es zwischen Ankara und Moskau eine Vereinbarung gebe, russischen Kriegsflüchtlingen die Zuflucht zu verweigern, um sie zur Rückkehr nach Russland und zur Teilnahme am Krieg zu zwingen.
Insgesamt leben heute 5,4 Millionen Ausländer in der Türkei, darunter etwa 3,6 Millionen registrierte syrische Flüchtlinge und rund 350.000 Asylbewerber.
[hrsg/russland.NEWS]
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