In sieben Monaten wird in Russland ein neues Parlament gewählt. Die Putin-treue Partei „Einiges Russland“ liegt gegenwärtig souverän in Führung. Doch gegen den „Krim-Effekt“ arbeitet jetzt der „Krisen-Frust“.
Noch stößt die klassische Sonntagsfrage „Wen würden sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen werden“ bei der Hälfte der Russen auf Achselzucken: Gemäß der jüngsten Wahlumfrage des unabhängigen Demoskopie-Institutes Lewada-Zentr sind nur 21 Prozent der Wahlberechtigten schon jetzt fest entschlossen, am 18. September zur Wahl zu gehen. Weitere 30 Prozent antworteten mit „voraussichtlich ja“. Die anderen 49 Prozent sind entweder fest entschlossene Nichtwähler – oder eben noch unentschlossen, ob sie sich dann aufraffen werden, ihr Wörtchen hinsichtlich der Zusammensetzung der nächsten Staatsduma mitzureden oder nicht.
Wären die russischen Parlamentswahlen wirklich am nächsten Sonntag, so würden laut Lewada-Zentr genau die gleichen vier Parteien ins Parlament kommen, die dort schon jetzt vertreten sind: Unter den zur Wahl entschlossenen Bürgern, die sich auch schon auf eine Partei festgelegt haben, kommt die Kreml-Hauspartei „Einiges Russland“ (ER) auf 65 Prozent, die kommunistische KPRF auf 16, die rechtspopulistische LDPR auf 8 und das sich moderat links positionierende „Gerechte Russland auf 5 Prozent der Stimmen.
Prowestliche Opposition: Pro Partei ein Prozent
Deutlich unter der Fünfprozenthürde – nämlich eher jeweils bei plusminus 1 Prozent – bleiben sämtliche Oppositionsparteien mit westlich-liberaler Ausrichtung wie die „Fortschrittspartei“, „Bürgerplattform“, „Jabloko“, „Allianz der Grünen“ und „Parnas“ wie auch die rechtspatriotisch positionierten „Patrioten Russlands“ und „Heimat“.
Die Kreml-Hauspartei ER rangiert damit in der Wählergunst deutlich höher als bei ihrem letzten Wahlergebnis 2011: Damals blieb sie knapp unter 50 Prozent. Als Tendenz ist allerdings zu bemerken, dass die Beliebtheit des Einigen Russlands“ schrumpft: In einer vergleichbaren Umfrage vor einem Jahr lag ER noch bei 71 Prozent. Denn der „Die-Krim-ist-unser-Effekt“ hatte nach der Vereinnahmung der Halbinsel im Frühjahr 2014, aufgrund des Sanktionskriegs mit dem Westen und dem Konflikt in der Ostukraine die Beliebtheit und das Vertrauen in Wladimir Putin und seine getreuen Gefolgsleute auf ungeahnte Höhen getragen. Nun bröckelt dieser Popularitätsschub wieder langsam ab – und die Russen schauen bei der Festlegung ihrer politischen Präferenzen wieder mehr auf ihre Alltagslage und die wirtschaftliche Entwicklung.
Wirtschaftskrise schlägt auf die patriotische Stimmung
„Die letzten zwei Jahre war die Gesellschaft von einer patriotischen Aufwallung und dem Zusammenschluss um den nationalen Führer erfasst. Jetzt kehren die Verhältnisse wieder zu jenen zurück, wie sie vor der Krim waren – obwohl der Effekt noch wirksam ist und im Bewusstsein der Russen die mit der Krise verbundenen Probleme glättet“, kommentiert Alexej Graschdankin, der Vizedirektor des Lewada-Zentrs, die momentane Stimmungslage.
Wie die Wahlen in sieben Monaten letztlich ausgehen, hängt deshalb in vielem von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung ab. Voraussichtlich werde Putins Leibpartei noch „einen recht deutlichen Popularitätsrückgang“ erleben, so Graschdankin.
Allerdings muss man die Auswirkungen des Krisenfrusts auf das Wahlergebnis in Russland noch um einen wesentlichen Faktor relativieren: Denn gerade die letzten Duma-Wahlen 2011 zeigten, dass in Russland regionale Spitzenbeamte im Komplott mit skrupellosen Polittechnologen auf weiter Front bereit sind, Wahlergebnisse zu manipulieren – sei es durch das Erfinden fiktiver Wahllokale, die berühmten „Karussells“ mit Busrundfahrten für Stimmvieh oder schlichtweg der Manipulation von Ergebnissen beim Aus- und Zusammenzählen. Gerade diese Tricks – die durchweg straflos blieben – dürften 2011 dafür gesorgt haben, dass ER trotz heftiger Verluste noch gerade genug Stimmen zusammenbekam, um in der Duma eine absolute Mehrheit zu erringen.
Die vielfachen Berichte über derartige Mauscheleien und Wahlbetrug führten dann im Winter 2011/2012 zu der massiven Protestwelle gegen Putin und sein System, die zumindest in Moskau mehrfach hunderttausende Demonstranten mobilisierte – und die herrschende Kaste sichtlich verunsicherte.
Vier Wege zum Wunschergebnis
Insofern wird es spannend zu beobachten, welche der in der Vergangenheit schon erprobten Strategien der Kreml in den nächsten Monaten fährt:
a) Klassische Wählergeschenke wie Lohn- und Rentenerhöhungen oder diverse Vergünstigungen für gewissen Gruppen – trotz eigentlich völlig leerer Kassen,
b) Anlass finden für neue patriotische Aufwallungen nach dem Muster von „Krim-nasch“ – dafür böte sich ein Anheizen der momentan köchelnden Feindschaften zur Ukraine, der Türkei, dem Westen oder dem Islamischen Terrorismus auf handfestes Konfliktniveau an.
c) massiv einseitige Propaganda in den Medien und auf der Straße, begleitet von ungleichen Wahlkampfbedingungen für ER einerseits und die Opposition andererseits,
d) allen und allem seinen demokratischen Lauf lassen – aber dafür am Wahltag am Ergebnis drehen.
Aber so richtig entscheidend sind die Duma-Wahlen in Russland ja gar nicht. Wichtig sind die nächsten Präsidentenwahlen – und die stehen erst 2018 an: Aber auch hinsichtlich des künftigen Staatschefs stellten die Lewada-Demoskopen bei der Ende Januar vorgenommenen Umfrage die Sonntagsfrage: 53 Prozent der Befragten erklärten, sie wollten für Wladimir Putin stimmen. „Stärkster“ Konkurrent ist KPRF-Chef Gennadi Sjuganow mit maximal 4 Prozent.
Unter denjenigen Befragten, die sich absolut sicher sind, dass sie zur nächsten Präsidentenwahl gehen und auch schon wissen, wen sie wählen werden, kommt Putin sogar auf astronomische 83 Prozent. Und das völlig ungemauschelt. Bei dieser uneingeschränkten Lufthoheit über die politischen Landschaft sollte es sich der Kreml eigentlich auch leisten können, eine höchst souveräne Strategie zu fahren, die zudem noch dem Image richtig gut täte: nämlich einfach faire Wahlen und einen fairen Wahlkampf zulassen.
[ld/russland.RU]
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