Etwa jeder sechste Lehrer in Russland, der im vergangenen Schuljahr unterrichtete, hatte keine pädagogische Hochschulausbildung. In Zahlen sind das fast 16 Prozent oder 172.300 Personen von etwas mehr als 1 Million Lehrern, die Rosstat für Ende 2022 im Land zählte. Diese Statistik hat die Moskauer Higher School of Economics für ihren Bericht „Erziehung in Zahlen“ erstellt.
Die Staatsduma hatte im Sommer einen Gesetzentwurf verabschiedet, der es Hochschulstudenten erlaubt, in Kindergärten und Grundschulen zu unterrichten. „Diese Entscheidung“, so Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin „wird dazu beitragen, den Personalmangel an den Schulen zu beheben“, den RANEPA auf 3,1 Prozent schätzt. Kritiker bemängeln, damit würden Kriterien für die Qualität der Bildung bewusst unterlaufen.
Am Freitag wies Präsident Putin die Regierung und die dem Kreml nahestehende Agentur für strategische Initiativen an, Maßnahmen zur Beschäftigung von 14- bis 24-Jährigen vorzuschlagen, die an Schulen, Hochschulen und Universitäten studieren. Der Staat kann Arbeitgebern Vergünstigungen gewähren und ihnen die Einstellung von Minderjährigen erleichtern. Auf diese Weise werden Lücken auf dem angespannten Arbeitsmarkt geschlossen, der in den letzten anderthalb Jahren durch Hunderttausende von Männern im arbeitsfähigen Alter, die entweder von Putin in den Krieg geschickt wurden oder ihm entflohen sind, leergefegt ist.
Darüber hinaus will Bildungsminister Sergej Krawtsow, die Aktualisierung der „Staatlichen Bildungsstandards der beruflichen Sekundarbildung für die Ausbildung von Fachlehrern für Grundschulen“ vorantreiben. Das bedeutet, dass die Schüler der Mittelstufe (5. bis 9. Klasse) zunehmend mit Lehrern arbeiten werden, deren Wissensstand bei den Eltern Fragen aufwerfen könnte.
Der Rückgang der Professionalität in der Lehrerausbildung ist von einer Intensivierung der „Patriotischen Erziehung“ begleitet. Mehr und mehr Lehrer können nun ohne besondere Anstrengung in den „ideologischen Teil“ ihrer Karriere einsteigen. Der Kreml und das russische Parlament sind sich dessen bewusst und lockern aktiv die Qualifikationsanforderungen für Bewerber um freie Lehrerstellen.
Kritiker befürchten als eine der zu erwartenden Folgen einer solchen Verwässerung der Lehrerausbildung, dass das Interesse der Schülerinnen und Schüler an einer höheren Ausbildung abnimmt. Die Behörden scheinen jedoch nicht nur kein Problem darin zu sehen, sondern ermutigen Schüler sogar, nicht in den Bildungseinrichtungen zu bleiben und so schnell wie möglich zu arbeiten, auch als Vertragsarbeiter in den russischen Streitkräften.
Da es keine verlässlichen Untersuchungen über die Stimmung an russischen Schulen gibt und der Bildungsprozess auf der Mikroebene von Schulen, Klassen und einzelnen Unterrichtsstunden nicht zentral gesteuert werden kann, ist es schwierig, sich ein objektives Bild über die tatsächliche Beteiligung der Lehrer an der militärischen Agenda zu machen. Die Regierung spricht von „zahlreichen Appellen der Lehrer, die patriotische Erziehung der Kinder zu stärken“.
So müsste es frei nach Wilhelm Busch für Pädagogen in Russland heißen: „Lehrer werden wird nicht schwerer, Lehrer sein dagegen sehr.“
[hrsg/russland.NEWS]
COMMENTS