Großes Journalistenjammern aus Sotschi

Moskau. Man kann es kaum noch ertragen: Je näher die Olympischen Winterspiele in Sotschi rücken, desto lauter das Wehklagen über Russland in den Medien. In Putins Reich werden nicht nur die    Menschenrechte verletzt, jetzt klemmt in den Hotelzimmern von Journalisten auch noch die Klospülung. Doch es gibt Hoffnung: „Pussy Riot rocken Berlin“, freut sich der Boulevard.

Der Countdown zum Start in Sotschi läuft. Die Sportlerinnen und Sportler sind in ihren Unterkünften, fiebern der Eröffnungsfeier und ihren Wettkämpfen entgegen – und wahrscheinlich alle hoffen, die Rückreise in ihre Heimat mit einem kleinen Stück Edelmetall im Handgepäck antreten zu können. Bronze, Silber, Gold, allein das zählt. Klagen über die Unterbringung und die Auswahl der Wettkampfstätte am Schwarzen Meer gibt es seitens der Sportler offensichtlich keine. Im Gegenteil: Die „FAZ“ macht Stimmung aus „fast wie im Cluburlaub“. „Rechts Meer, links Berge – das    Olympische Athletendorf in Sotschi punktet mit einer schönen Aussicht und einer sehr guten Einrichtung. Das Stadion liegt in Fußweite, und Hamburger gibt es auch.“

Doch bloß keine Euphorie aufkommen lassen. Wenn die Sportler, um die es in Sotschi ja eigentlich geht, nicht jammern, müssen die Journalisten selber ran. Und so werden dieser Tage Twitter-Meldungen über Baumängel zum Erlebnisbericht aus dem wilden Sotschistan zusammengezimmert. Bei „Spiegel online“ klingt das so: „Erst läuft das Wasser gar nicht, dann ist es gelb – und mit der Heizung stimmt auch was nicht: Viele Olympia-Gäste berichten auf Twitter von unliebsamen Überraschungen in halbfertigen Hotels. Wenn sie überhaupt ein Zimmer bekamen.“

Wohlgemerkt, 24.000 Hotelzimmer wurden in Sotschi für die Olympia-Tage neu gebaut. 13.000 Journalisten sind für die Spiele akkreditiert. Die wurden bei der Einreise offensichtlich allesamt korrekt behandelt; kein Mobbing, keine Misshandlungen, die gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin ins Feld zu führen wären. Und so machen sich die Reporter auf, aufgetürmte Farbeimer hinter Hotels zu zählen. Es ist ein ehrgeiziger Wettkampf, wer findet den größten Haufen, die skurrilsten Fauxpas?

Die Nase vorn hat die „Welt“: Die hat herausgefunden, im Pressezentrum gibt es „sogar zwei Toiletten nebeneinander ohne Trennwand“: „Es ist nicht klar, ob so der internationale Austausch der Medienvertreter bis auf das stille Örtchen intensiviert werden soll, oder ob es sich schlichtweg um eine Panne handelt. Auf jeden Fall ist es ziemlich kurios.“ Ein Reporter aus Polen habe seine Möbel in seinem Quartier noch in Folie eingepackt vorgefunden. „Immerhin steht in einigen Hotels schon das Konterfei von Präsident Wladimir Putin auf dem Tresen der Rezeption.“

Die Kollegen vom Spiegel melden eine „angespannte Lage“ in Krasnaja Poljana. In dem Olympia-Ort in den Bergen treten die Skispringer, Skifahrer, Rodler und Bobfahrer an. „Im Dorf sieht es aus wie an einem Filmset. Die Bäume sind frisch eingepflanzt, Straßenschilder wurden gerade erst in den Boden gerammt. Der Zement, in dem sie stecken, ist so frisch, dass man darauf einen Fingerabdruck hinterlassen könnte“. Sonst gibt’s dort aber wohl keine Probleme.

„Probleme“ werden im Hotel Marriott ausgemacht. Die 420 Zimmer seien schon länger fertig, Mitarbeiter des US-Fernsehsenders NBC sind dort untergebracht, unter offensichtlich widrigen Umständen: „Sie haben zwar einen Fernseher und auch Internetzugang, aber keinen Mülleimer“, führt „Spiegel online“ die Mängellitanei fort. Die endet damit, dass Hoteliers „trotz Last-Minute-Chaos“ „saftige Preise“ verlangen: „Laut einer Erhebung der Reise-Webseite Ab-in-den-Urlaub.de ist das kein Einzelfall. Zahlreiche Hotels haben ihre Preise für die Zeit der Olympischen Spiele vervielfacht. Während der Wettkämpfe kosten sieben Übernachtungen in der Nobelherberge Golden Sochi Apartments etwa satte 4133 Euro. Nach dem Ende der Veranstaltungen kostet dort eine Woche Urlaub nur noch 1600 Euro.“ – Die Erfahrung unverschämter Preiserhöhungen in beliebten Zielorten machen hierzulande alle Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter. In den Ferienwochen werden Spitzenpreise genommen. Das ist nicht schön, sondern real existierender Kapitalismus.

Wenn die Journalisten mit Beginn der Spiele sich eben diesen zuwenden, können die Kollegen in Berlin das Russland-Bashing fortführen. Zeitlich günstig treten am Montag die Pussy-Riot-Aktivistinnen Nadeschda Tolokonnikowa (24) und Maria Aljochina (25) auf der „Cinema for Peace“-Gala am Rande der Berlinale auf. Die „Geheimreise“ der im Dezember aus russische Lagerhaft entlassenen jungen Frauen hat „Bild“ exklusiv publik gemacht. Zu dem Glamourabend im Konzerthaus am Gendarmenmarkt reist reichlich Hollywood-Prominenz an. „Ehrengastgeber“ sind Uma Thurman, Catherine Deneuve, Sir Christopher Lee, Ennio Morricone und Ornella Muti. Wetten, dass das Video „Pussy Riot – A Punk Prayer“ über den Kampf gegen den Kreml den „Cinema for Peace Award for the Most Valuable Film of the Year“ bekommt?

Laut Bild zählen die Mitglieder der Punkband Pussy Riot „zu den stärksten Gegnern von Präsident Wladimir Putin“. Immerhin: Dann hat er wohl nicht viel zu befürchten.

 

Quelle: STIMME RUSSLANDS

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