Appell an Putin: Mehr als 350 russische Ärzte fordern Freilassung der Künstlerin Sascha SkotschilenkoSascha Skotschilenko

Appell an Putin: Mehr als 350 russische Ärzte fordern Freilassung der Künstlerin Sascha Skotschilenko

In einem offenen Brief an Präsident Wladimir Putin haben russische Ärzte die Freilassung der gesundheitlich angeschlagenen St. Petersburger Künstlerin Sascha Skotschilenko gefordert. Am 16. November hatte ein Gericht die 33-jährige Künstlerin wegen der Verbreitung angeblicher Falschinformationen über die russische Armee zu sieben Jahren Straflager verurteilt. Die Künstlerin sei dafür bestraft worden, dass sie den russischen Angriff gegen die Ukraine ablehne. Sie habe mit ihrer pazifistischen Aktion nicht gegen das Gesetz verstoßen, schrieben die Ärzte. Putin sei der Garant der Verfassung, und diese sehe eine freie Meinungsäußerung vor. Der Brief wurde bisher von über 360 Ärzten unterzeichnet.

Über den Gesundheitszustand von Skotschilenko, die bereits mehr als eineinhalb Jahre in U-Haft verbracht hat, sind die Ärzte besorgt. „Bei ihr wurde eine Reihe schwerer chronischer Krankheiten diagnostiziert, die eine entsprechende medizinische Überwachung und eine spezielle Diät erfordern. Der Aufenthalt in der Kolonie kann zu einer erheblichen Verschlechterung von Sashas Gesundheitszustand führen“, heißt es in dem offenen Brief. Die Verteidigung von Sascha Skotschilenko hat in Gerichtsdokumenten das Vorliegen eines Herzfehlers, einer bipolaren Störung und einer Zöliakie (Gluten-Unverträglichkeit, die eine spezielle Diät erfordert) dargelegt.

Zugleich kritisierten die Ärzte in dem Brief mit Blick auf die „massenhafte vorzeitige Freilassung“ von Mördern und Vergewaltigern die Ungerechtigkeit eines Urteils, dem kein Verbrechen zugrunde liege. Der Kreml hatte massenhaft Schwerverbrechern eine Begnadigung als Belohnung dafür angeboten, dass sie im Krieg gegen die Ukraine kämpften.

Das Wasileostrowski-Gericht befand Sascha Skotschilenko gemäß Artikel 207.3 des russischen Strafgesetzbuches (öffentliche Verbreitung wissentlich falscher Informationen über die Tätigkeit der russischen Streitkräfte) für schuldig. Das Gericht verbot ihr außerdem für drei Jahre, Webseiten zu betreiben.

Der Fall geht auf eine Aktion im März 2022 zurück, bei der Sascha Skotschilenko in einem Supermarkt mehrere Preisschilder durch Aufkleber mit Antikriegsbotschaften ersetzte mit „Informationen über die Durchführung von Militäroperationen auf dem Territorium der Ukraine“.

Seit April 2022 befand sich die Künstlerin in Untersuchungshaft. Eine Frau hatte sie denunziert. Die Musikerin und Dichterin wies die Vorwürfe stets zurück. Skotschilenko selbst gab zu, dass sie die Preisschilder hat, sagte aber, dass sie nicht an der Verbreitung von Fälschungen beteiligt sei.

Der Fall hatte international auch deshalb Entsetzen ausgelöst, weil die Aktivistin trotz schwerer Krankheiten inhaftiert blieb. Skotschilenko ist von den Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Memorial als politische Gefangene eingestuft worden. Zusätzlich hatte die BBC sie in die Liste der hundert inspirierendsten und einflussreichsten Frauen der Welt für das Jahr 2022 aufgenommen.

Die zuständige Richterin Olga Demjaschewa erhielt einen Tag nach dem Urteilsspruch vom Richterkollegium von St. Petersburg eine Beförderungsempfehlung – man möge sie zur stellvertretenden Richterin des Kalininsky Bezirksgerichts ernennen. Unterstützer von Sasha Skotschilenko haben inzwischen, das Verhalten von Demjascheva auf die Einhaltung der Normen richterlicher Ethik zu überprüfen. Während der Sitzungen hatte die Richterin keine Pausen für Sascha Skotschilenko vorgesehen, damit diese Medikamente einnehmen und essen konnte.

Hier der Text des offenen Briefes an den russischen Präsidenten:

„Wladimir Wladimirowitsch,

Nach der russischen Verfassung ist der Präsident der Garant der Rechte und Freiheiten der russischen Bürger. Die Künstlerin Sascha Skotschilenko wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil sie sich gegen den Krieg aussprach und mit ihrer pazifistischen Aktion nicht gegen das Gesetz verstieß.

Neben der Empörung über die offensichtliche Ungerechtigkeit des Urteils sind wir als Ärzteschaft sehr besorgt über den Gesundheitszustand von Sasha. Bei ihr wurde eine Reihe schwerer chronischer Krankheiten diagnostiziert, die eine entsprechende medizinische Überwachung und eine spezielle Diät erfordern. Der Aufenthalt in der Kolonie könnte zu einer erheblichen Verschlechterung von Saschas Gesundheitszustand führen.

Vor dem Hintergrund von Berichten über massenhafte vorzeitige Haftentlassungen von Menschen, die schwere Straftaten wie Vergewaltigung und Mord begangen haben, erscheint die faktische Inhaftierung einer Person, für deren Tat es kein Corpus Delicti und keine Opfer gibt, besonders ungerecht. Wir fordern Sie als Garant der Verfassung auf, Sascha Skotschilenko unverzüglich freizulassen.“

[hrsg/russland.NEWS]

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