Zu Gast bei Fremden

[von Alexandr Sambuk] Wir Russen haben den Westen 25 Jahre lang als Pauschaltouristen bereist, gerne Einkaufstüten und etwas Sonnenbräune mitgebracht, ihn aber nicht lieben gelernt. Wir werden den Abschied verschmerzen.

Mit seinem Vorgehen in der Ukraine hat Putin knallhart vorgeführt, dass er nichts mehr auf die Partnerschaft mit dem Westen gibt, sondern in der Konfrontation mit ihm nach (noch) ungewissem Vorteil sucht. Dieses unmissverständliche Signal sendete er jedoch nicht nur an den Westen alleine, sondern auch an sein Heimatpublikum. Die Trennlinien zwischen Putins Außen- und Innenpolitik verwischen.

In diesem Kontext steht auch die Frage nach Motiven und Triebkräften seiner radikalen Abrechnung mit dem Westen. Nämlich einerseits, inwieweit sie von personenbedingten Faktoren beeinflusst worden ist, und andererseits, zu welchem Ausmaß Putins gegenwärtige Politik den genuinen Erwartungen seiner Landsleute Rechnung trägt. Ob sich dieses hochriskante Pokerspiel nur von Putins eigenem Machterhaltungs-Kalkül ableiten lässt, oder ob dahinter auch grundlegende Trends in der russischen Gesellschaft stehen, die vielleicht nicht immer einer Sicht von außen leicht zugänglich und rechtzeitig erkennbar sind.

Darf man den russischen Demoskopen glauben, wird Wladimir Putins politischer Kurs praktisch vorbehaltlos von einer großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Seit den olympischen Winterspielen in Sotschi lag seine Popularitätsrate im Jahr 2014 unbeweglich auf dem himmelhohen Niveau von rund 80 Prozent; auch über die „Rückkehr“ der Krim hinweg bis in die Kampfhandlungen in der Ost-Ukraine hinein.

Geringer Einfluss westlicher Werte
Die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der Umfragen von zwei führenden russischen Meinungsforschungszentren, WZIOM und Lewada-Zentr, führen zudem vor Augen, wie innerhalb desselben Zeitraums (Januar 2014 bis Januar 2015) auch die Einstellungen der Bevölkerung zum Westen auf rekordhohe Negativwerte gestiegen sind.

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Der russische Journalist Alexandr Sambuk lebt in Moskau und arbeitet heute als Freelancer. Von Mitte der 1990er-Jahre bis 2013 war er für das russische Fernsehen tätig. Sambuk schrieb unter anderem für die „Zeit“ und ist regelmäßiger Kommentator russischer Politik im deutschsprachigen Radio.

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