WM-Blog – Willensstärke

Die Mexikaner haben es mir angetan. Irgendwie. Viele tolle Begegnungen mit den Fans. Fing ja bereits beim Zwischenstopp am Flughafen in Wien zu Beginn unseres Trips an. Ein guter Plausch mit geschätzt 30 mexikanischen Fans, spontaner Hütetausch, Flachserei.

Und heute Nacht wurde ich schweißgebadet wach. Hatte geträumt, ich würde mit dem mexikanischen WM-Team durch die Straßen von Acapulco ziehen. Ziehen müssen sogar. Warum? Ich war mexikanischer Torwart Nummer 3. Hab dann nachgeschaut, wer das ist. Jesus Corona heißt er. Ob ich seine Wiedergeburt bin? Aber er lebt ja noch. Marktwert: 1,5 Mio. Euro. Damit könnte ich mich abfinden …

Unsere Truppe mit Capitanowitsch Oleg, dem Lew, dem Norberto, dem Maxim und mir, dem Osvaldo – das war eine runde Sache. Die meisten Russen konnten unsere Namen denn auch richtig aussprechen – sind ja an russische angelehnt. Mit „Norberto“ aber hatte der ein oder andere seine Schwierigkeiten. Mit „Norberto“ konnten die nicht viel anfangen.

Und „Osvaldo“? Der Name wurde unterschiedlich ausgesprochen. Meistens richtig, wie er da steht. Aber es gab auch Ausnahmen: Der Murat aus Tschetschenien und der Baram aus Aserbaidschan. Die sprachen mich immer nur mit „Oooswald“ an. Langes „O“ und weiches „w“. Das „O“ zu Beginn lang gezogen und mit einem „O“ wie in dem Wort „Dose“. Oooswald eben. Wird mir noch lange in den Ohren hängen bleiben, dieses sympathisch gezogene Oooswald! Danke, liebe Freunde!

Das mit dem sympathischen, gemütlichen, stets gut gelaunten Murat ging mir noch lange durch den Kopf. Hätte ihn euch gerne hier im Blog vorgestellt. Warum um alles in der Welt wollte er sich nicht mit mir fotografieren lassen? Wollte überhaupt keine Fotos von sich irgendwo sehen. Warum traf ich ihn ausgerechnet in einem russischen Schlafsaal in Moskau? Dort, wo kein Tageslicht hinkommt, im Keller. Warum wohnte er dort bereits seit mehr als einem Monat?

Na ja. Diese Fragen werde ich nie beantwortet bekommen. Hängen bleiben wird der entspannte Nachmittag in dem Park in der Nähe des Hostels – er mit einer kleinen Flasche Whisky und ich mit einem österreichischen Gösser-Bier (das war das günstigste in Moskau, 44 Rubel, umgerechnet 60 Cent). Und mit herrlicher russischer Schokolade, meiner neuen Lieblingssorte.

Derweil lobt FIFA-Chef Infantino die WM in Russland als beste WM aller Zeiten. Ob das so ist, weiß ich nicht. Wir können nur für unsere Truppe sagen: Es hat uns allen unglaublich viel Spaß in Russland gemacht! Und: Wir kommen bestimmt wieder.

Wenig Fingerspitzengefühl zeigte die FIFA dagegen bei den Fußball-Jungs aus Thailand. Die waren ja zwei Wochen in einer überfluteten Höhle eingeschlossen und konnten nur durch eine unglaubliche Rettungsaktion befreit werden. Die FIFA lud die Jungs zum WM-Finale nach Russland ein, mehrfach und mit Nachdruck sogar. Aber muss man immer gleich alles medial vermarkten und für sich ausschlachten wollen? Hätte es nicht gereicht, das Angebot ohne viel Brimborium zu machen? Muss immer gleich eine Pressekonferenz her?

Die Jungs aus Thailand jedenfalls haben nach solchen Erlebnissen sicher anderes im Sinn, als Fußball nach Moskau gucken zu gehen. Ihre Gesundheit hat gelitten. Und wer weiß, wie lange sie noch unter den Geschehnissen zu leiden haben. Die psychischen Folgen sind unabsehbar. Na ja, wie auch immer – und wie schon die „Meisterleserin“ es mir in einer E-Mail schrieb: Die Fußball-Jungs aus Thailand sind die Nummer 1, was Zusammenhalt, Team, Stärke und Willenskraft bedeutet. Sie und ihre Retter haben gezeigt, wie es geht, wenn man etwas unbedingt erreichen will.

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