WM-Blog – An was hat es gelegen?

Schlussbetrachtung

An was hat es gelegen, dass wir den Titel in Russland nicht verteidigen konnten?
Nun, ich glaube, es kamen viele Dinge zusammen: Es fing schon damit an, dass mein Zauberhut in einem ziemlich ramponierten Zustand mit nach Russland musste. Bekam keine Kurve, ihn wieder in Schuss zu bringen. Genauso schlecht trafen dann auch die deutschen Stürmer – ein einziger Treffer (Marco Reus).
Hängen bleiben wird das Tor des defensiven Bälle-gemütlich-hin-und-herschiebenden Toni Kroos: Immerhin kam beim 2:1 in allerletzter Sekunde gegen die „Ihr seid nur ein Möbellieferant!“-Schweden wenigstens ein Mal so etwas wie ein Glücksgefühl auf. Jeder um uns herum im Stadion warf seinen gefüllten Bierbecher reflexartig in die Höhe – und bekam postwendend genauso viel an Flüssigkeit von oben zurück. In dem Moment war das egal. Denn wenigstens einmal gab es so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl: Alle Körper unter den nassen Trikots im deutschen Block nahmen mit einem Schlag den gleichen herben Duft an.
Vielleicht lag es auch nicht nur am Zauberhut, sondern am DfB-Chefkoch Anton Schmaus: Er schrieb auf unsere E-Mail-Anfrage zwar recht freundlich zurück, verweigerte unserer Weltmeister-erfahrenen Truppe aber, für unsere Jogi-Jungs am Grillplatz in der DFB-Unterkunft Watutinki zu schwenken. Mit ein paar saarländischen Fleischportionen mehr wären aus den harmlosen Murmeltieren vielleicht echte, titelgierige Löwen geworden. Tja, wie sagt man da … „… wäre, wäre, Fahrradkette …“
Lag es an Özil und Gündogan? Sicher nicht. Die beiden haben lediglich die Möglichkeiten bzw. das System ausgenutzt, das ihnen zugestanden bzw. erlaubt worden ist. Es ist eben wichtig, Grenzen zu setzen. Das gilt nicht nur im Sport. Das gilt auch zu Hause, in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Politik, im Staatsbürgerrecht.
Was ich mich freue, wieder daheim zu sein. So schönes auch in Russland, in diesem schönen Land mit seinen freundlichen und herzlichen Menschen, auch gewesen ist, am schönsten ist es doch daheim. In der Heimat. Dieses Gefühl von Heimat gibt es zwar nicht bei allen Menschen, wohl aber bei den meisten. Von daher kann ich auch Özil und Gündogan keine Vorwürfe machen. Sie haben eben auch ein Gefühl von Heimat. Nur … dann sollen sie bitte schön nicht für Deutschland spielen, denn das ist unehrlich. Für ein Land zu spielen, nur um die Vorteile für sich abzugreifen. Um dann mit einem fremden Präsidenten zu posieren. Das ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die Heimatgefühle für Deutschland haben.
Dass der Löw und all die, die sich gegenseitig die gut dotierten Verträge bereits vor Beginn der WM gegenseitig für viele weitere Jahre zuschoben, die Gewinner dieser WM sind, hatte ich hier im Blog ja schon angemerkt. Irgendwie habe ich das Gefühl, es läuft wie in der Politik: Eine Krähe kratzt der anderen kein Auge aus – seien die Systemfehler auch noch so offensichtlich.
Aber auch hier gilt: Ändern kann man wenig daran. Also kümmern sich Fußball-Fans am besten um das, was sie am besten können: mit den Fans aus den anderen Ländern gemeinsam feiern. Wenn nötig, sich gemeinsam trösten. Auf jeden Fall zusammenhalten. Wir mit unserer Truppe um Capitanowitsch Oleg, Lew, Norberto, Maxim und dem Osvaldo, haben bei der WM keinerlei Ausschreitungen, keinerlei Aggressionen erlebt, sondern nur friedliche, gut gelaunte Menschen. Selbst die sonst so gefürchteten englischen Holigans waren friedfertig und feierten ihr toll aufspielendes Team. Fußball verbindet die Menschen eben quer über den gesamten Erdball.
Unser Wunsch:
Lasst die echten Fans, die für die Fußball-Kultur leben und sterben würden, die Menschen aus anderen Ländern achten und respektieren, sich untereinander herzlich grüßen, sich in den Armen liegen, sich austauschen und freundschaftlich in Kontakt bleiben, an die Regierungen!
Mein Lieblingsschnappschuss:
Was war nun der größte Unterschied zur WM in Brasilien? Ganz einfach: In Brasilien war das Bier eiskalt (Punkt für Brasilien). Und in Russland (sorry, Brasilien!) waren die Frauen durchweg hübscher. Punkt für Russland, also ein gerechtes Unentschieden.
Und was ist der größte Unterschied zwischen Deutschland und Russland? Ich könnte das mal an einem Beispiel verdeutlichen: Gehst du in Russland abends, bekleidet mit einem Russland-Trikot, durch dunkle Gassen, kriegst du anerkennend auf die Schulter geklopft. Man freut sich mit dir.
Und in Deutschland? Wenn du es wagst, abends oder gar nachts – alleine und bekleidet mit einem Deutschland-Trikot – durch deutsche Innenstädte zu spazieren, kannst du froh sein, es ohne körperliche Beeinträchtigungen überstanden zu haben …
Bisher hat sich noch niemand getraut, meine diesbezügliche Wette anzunehmen.
Die Erkenntnis der WM? Immer, wenn der HSV absteigt, gewinnt England ein Elfmeterschießen …
Ob wir mit unserer Truppe auch im Winter 2022 bei der WM in Katar zugange sein werden? Ich weiß es nicht. Ich mache es davon abhängig, ob ich überall und zu jeder Zeit ein Bier trinken kann. Das ist für mich der Maßstab. Noch glaube ich nicht so recht daran, dass es so kommen wird. Die strengen Sittenregelungen aus dem Mittelalter schrecken mich ab.
Aber … mein Bettgeselle Norberto hat mir in die Hand versprochen, in vier Jahren alles zu organisieren und mir notfalls auch einen persönlichen Bierbegleiter zur Verfügung zu stellen. Ob ich darauf eingehe? Ich glaube, ich werde Wert darauf legen, eine persönliche Bierbegleiterin an die Seite gestellt zu bekommen – dann wäre für mich die Welt in Ordnung!
Liebe Osvaldos,
die WM ist beendet. Deutschland hat den Titel knapp verpasst (haha!), Frankreich hat ihn gewonnen, und Kroatien ist der Sieger der Herzen. Meine Frau hat mich wieder – und ich sie. Ich bin echt froh, dass mir die Entscheidung („Finale oder ich!“) durch das frühe Ausscheiden unseres deutschen Teams abgenommen worden ist – denn Karten für das Finale hatten wir schon, und wir hatten ins Auge gefasst, erneut und extra nach Moskau zu reisen, wenn das geklappt hätte …
Der Blog ist damit auch beendet. Ich habe vor, wieder alle Erlebnisse in einem Buch zusammenzufassen. Für viele Begebenheiten war einfach keine Zeit, sie im Blog niederzuschreiben, weil wir von einem Ereignis zum nächsten jagten. Die Jungs habe ich gebeten, ihre schönsten Geschichten zu notieren. Bin gespannt, was dabei rauskommt.
Erfahrt in dem Buch dann auch,
… wie Vladimir (2), der ehemalige Sträfling mit dem gütigen Blick, uns lehrte, was eine echte, russische Banja ist …
… wie Norberto zum Kofferretter wurde, ohne dass es notwendig gewesen wäre …
… welche Artikel wir unterwegs vergessen hatten …
… wer während des Trips am meisten zunahm …
… warum Präsident Putin bei jeder Bahnhofsdurchsage gegrüßt worden ist und „Rassiski“ an jedem Flughafen präsent waren …
… wie Oleg es schaffte, für uns alle in Sankt Petersburg zum Unterkunfts-Helden zu werden …
… wie und warum es in Wolgograd bei der nächtlichen Ankunft und bei der frühmorgendlichen Abreise jeweils zu einem handfesten Eklat kam …
… warum die schwedischen Fans in Sotschi bei manchen Russen so unbeliebt waren …
… warum uns mit den schwedischen Fans so eine Art Hassliebe verbindet …
… warum der Trip für Lew um ein Haar abrupt beendet gewesen wäre …
… wie wir es schafften, Norberto fast satt zu bekommen …
… warum meine Wanderschuhe zu einem Disput zwischen mehreren russischen Sicherheitsleuten führten …
… warum ich bei einer Sicherheitskontrolle beinahe vergiftet worden wäre …
… warum die Mitarbeiter im Moskauer Hostel beim Auftauchen von Maxim mit uns beiden ein Einsehen hatten …
… und und und …
Uns bleibt nur noch zu sagen:
До свидания, Россия! Это было прекрасно!
Do svidaniya, Rossiya – eto bylo prekrasno!
Auf Wiedersehen, Russland – es war wunderschön!

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