WM 2018: Rentiert sich das Spektakel überhaupt?

Welchen Nutzen, vom Prestige einmal abgesehen, hat die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland? Klingeln die Kassen nachhaltig oder verpufft die Euphorie mit dem letzten Schlusspfiff. Ökonomen warnen schon jetzt vor der Ernüchterung.

So stolz Russland auf „seine“ WM auch sein kann, sie ist unumstritten teuer. Stadien mussten um-, aus- oder gleich gar neugebaut werden. Eine komplette Infrastruktur, sowohl im Nah- und Fernverkehr, als auch im Tourismus und auf kommunalen Ebenen mussten geschaffen werden. Von einer grundlegenden Gesamtlogistik ganz zu schweigen. Das alles kostet Geld, viel Geld. Kritiker sagen, vermutlich zu recht, dass die Unsummen, die für dieses Fußball-Weltspektakel ausgegeben wurden und noch werden, anderweitig sinnvoller eingesetzt wären.

Der Rubel rollt, das ist unbestritten. Vorerst jedoch rollt der Rubel erst einmal unbarmherzig davon. Bis Ende des Jahres 2017 werden 634 Milliarden von den Rubeln ausgegeben sein, für das erste halbe Jahr 2018 sind weitere 44 Milliarden veranschlagt. Das sind als Bilanz stolze 678 Milliarden Rubel, die bis zum Anpfiff im Zeitraum von sechs Jahren alleine für die Weltmeisterschaft in Russland ausgegeben wurden. Legt man den durchschnittlichen Wechselkurs im Zeitraum von Anfang 2013 bis Ende 2017 zugrunde, ergeben sich Gesamtausgaben in Höhe von rund 13,2 Milliarden US-Dollar.

Die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 wird somit die teuerste WM aller Zeiten, soviel ist schon jetzt sicher. Zum Vergleich: Die Kosten für die letzte WM 2014 in Brasilien beliefen sich auf elf Milliarden US-Dollar, 2010 in Südafrika kam man mit vergleichsweise bescheidenen sechs Milliarden US-Dollar zurande. Sicherlich wird diese Weltmeisterschaft in Russland nicht die teuerste aller Zeiten bleiben. Bereits jetzt schätzt man die Kosten für das darauffolgende Spektakel in Katar im Jahr 2022 auf astronomische zweihundert Milliarden US-Dollar. Wer hat, der hat.

Wirtschaftlichkeit und Prestige liegen im argen Clinch

Spätestens ab hier stellt sich die Frage nach der Refinanzierung solcher Unsummen. Lässt sich dieses ausgegebene Geld jemals wieder einnehmen, möglicherweise sogar mit Gewinn? Mit dieser Gretchenfrage beschäftigen sich Wirtschaftswissenschaftler weltweit bereits seit langem. Ein Gewinner steht definitiv schon jetzt fest. Der Welt-Fußballverband FIFA gehörte traditionsgemäß immer zu denjenigen, deren Taschen nach solch einer Veranstaltung prall gefüllt waren.

Die Rechnung ist einfach: Sämtliche Einnahmen aus sämtlichen Übertragungsrechten, auch der während der Qualifikationen, und der Vermarktung des Turniers fließen auf die Konten der FIFA, während der Veranstalter die Gesamtkosten zu tragen hat. Der Vier-Jahreszyklus der WM 2014 spielte dem Verband einen Nettogewinn von 2,6 Milliarden US-Dollar in die Kasse. Beim Ausrichter Brasilien stand am Ende die graue Null. „Selbst wenn es einen bescheidenen Gewinn gibt, rechtfertigt der den Preis des Turniers nicht“, sagte der US-amerikanische Wirtschaftsprofessor Victor Matson aus Massachusetts 2014 mehr als deutlich gegenüber dem Sender CBC News.

Stanislaw Muraschow, der Makroanalytiker bei der Raiffeisenbank Russland, sieht ebenfalls ein Verlustprojekt auf sein Land zukommen. Möglicherweise habe der Geldfluss einen einmaligen positiven Effekt auf die russische Wirtschaft, aber auf lange Sicht werde sich die WM negativ auswirken, befürchtet er: „Russland wird mehr Geld für die Weltmeisterschaft ausgeben, als es durch sie einnimmt.“

Die verantwortlichen Behörden halten sich wohlweislich bedeckt. Schwer zu bewerten sei der langfristige wirtschaftliche Effekt, redete sich Alexej Sorokin, der Leiter des Organisationskomitees „Russland-2018“, 2015 einmal galant aus der Affäre. Das Ministerium für Wirtschaftliche Entwicklung gibt in seiner sozioökonomischen Prognose für den Zeitraum 2018 bis 2020 keine Schätzungen zu den Auswirkungen der WM auf die Wirtschaft ab und der Pressedienst des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung reagiert auf Anfragen gleich überhaupt nicht.

Und selbst der kurzfristige Effekt, sofern es einen geben sollte, sei meist gering, erläutert der Experte der Forschungs- und Prognoseagentur ACRA, Dmitri Kulikow. Die Zunahme der Arbeitsplätze und der Ausbau des Dienstleistungssektors in Verbindung mit dem Tourismus seien vorübergehende Effekte, die schon unmittelbar nach dem Ende des Turniers nichts mehr bringen, sagt er. „Es kann einen positiven Impuls für die Verbesserung der Arbeitseffizienz im Dienstleistungssektor geben, beispielsweise im Hotelgewerbe oder in der Gastronomie“, erklärt der Experte, weiß aber, dass die Geschäftstüchtigkeit an den Spielorten zwar zunehme, dies aber oft nur auf eine vorübergehende Umverteilung der Ressourcen aus anderen Städten oder Tätigkeitsbereichen zurückzuführen sei.

Der positive Effekt ist nicht von langer Dauer

Das heißt, auf längere Sicht bringt die WM dem Land fast nichts. Eher kann sie das Gegenteil bewirken, warnen Ökonomen. Beispielsweise werden gewöhnliche Touristen, die nicht an dem Spektakel interessiert sind, diese Zeit meiden und entweder ganz stornieren oder auf andere Reisezeiten ausweichen, da Flughäfen und Hotels überfüllt sein werden und die Preise anziehen. Die Rating-Agentur Swiss Appraisal rechnet mit 3,35 Millionen Menschen, die die Fußball-Weltmeisterschaft besuchen werden, davon 1,5 Millionen aus dem Ausland. Zum Vergleich, nach Brasilien reisten 2014 rund eine Million Menschen, vier Jahre vorher nach Südafrika waren es sogar nur 310.000.

Zudem könne der Kontext der Sanktionen den Anteil der ausländischen Fans erheblich reduzieren, sagt Natalja Orlowa, die Chefökonomin der Alfa Bank. „Nehmen wir an, dass zwei Millionen Menschen nach Russland kommen und jeder von ihnen eintausend Euro ausgeben wird, würde dies einen Zufluss von 140 Milliarden Rubel bedeuten. Vermutlich aber noch weniger – maximal hundert Milliarden Rubel“, spekuliert Analytiker Muraschow. Jedoch zeigt die Erfahrung, dass ein solcher Event Anreiz für für die Konsumfreudigkeit der Einheimischen ist. Wenngleich schwer einzuschätzen, sei der kollektive Enthusiasmus aber ein bedeutender Effekt, sagt Kulikow.

Svantier Almers und Wolfgang Mannig, Ökonomen von der Universität Hamburg, wiesen nach, dass die besondere Atmosphäre während der Fußballweltmeisterschaft die Bürger glücklicher und inspirierter mache und sie ein Gefühl des Stolzes hätten., Die wiederum erhöhe ihre Bereitschaft, Geld auszugeben. Die Analystin von Euromonitor, Dafna Kasriel-Alexander, identifiziert mehrere Bereiche des Verbrauchermarktes, deren Einnahmen bei großen Sportturnieren steigen: Alkoholische und alkoholfreie Getränke, Fastfood und andere Speisen zum Mitnehmen, Snacks, Frischfleisch sowie Bildträger mit dem Gastland und Souvenirs.

„Für viele Konsumenten bedeutet die WM eine vorübergehende Veränderung ihrer üblichen Lebens- und Konsumgewohnheiten“, stellt sie fest. „Das wird für den ganzen Monat zum bestimmenden Faktor auf dem Verbrauchermarkt – die Fans besetzen Bars, kaufen in den Geschäften Bier und Fleisch, organisieren Hauspartys, der Verkauf von Energie- und Proteinprodukten wächst, um die Folgen der Vergiftung am nächsten Tag zu überwinden“, erklärt die Expertin. In der Regel gleiche sich das allerdings in den Monaten danach wieder aus, weiß Orlowa aus Erfahrung, „dann wird gespart“.

Das US-amerikanische Unternehmen MyThings hat zusammen mit Forbes noch einen weiteren Aspekt der Kaufkraft herausgefunden. Bei der letzten WM wurde eine Analyse durchgeführt, welche des Verhalten der Online-Käufer in Ländern, deren Teams an dem Turnier teilnahmen, ermitteln sollte. Der Studie zufolge wurde ein steiler Anstieg bei Online-Käufen registriert, wenn die Mannschaft gewonnen hatte. Umgekehrt reduzierten Einwohner der Länder, deren Team verlor, die Kaufaktivität im Vergleich zu gewöhnlichen Tagen. Da die russische Sbornaja mindestens drei Spiele bestreiten wird, könnten sich diese Ergebnisse durchaus auf den Einzelhandelsumsatz auswirken.

Infrastruktur lohnt sich nur, wenn sie weiter genutzt wird

Ähnlich signifikant wie schon zu den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi wirken sich laut dem Direktor für die wissenschaftliche Arbeit des Gaidar-Instituts, Sergej Drobyschewski die Investitionen in die Infrastruktur zu der Fußball-Weltmeisterschaft aus. Hier sei der positive Effekt auf das BIP bereits vor dem Wettbewerb festzustellen. „Nach den Erfahrungen der Olympischen Spiele in Sotschi kann man sagen, dass der Einfluss des Schaffens der Infrastruktur auf die Dynamik der allgemeinen Investitionen etwa sechs Monate vor dem Ereignis endet“, bestätigt auch Natalja Orlowa.

Insbesondere die Investitionen im Bereich „Kultur, Sport, Freizeit und Unterhaltung“ stiegen von Januar bis September 2017 um 29,6% auf 121 Milliarden Rubel, rund 1,85 Milliarden Euro, verglichen mit dem gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr, wie die Zahlen der Statistikbehörde der Russischen Föderation Rosstat belegen. Es sei jedoch schwierig, so Drobyschewski, über den Sinn von Stadien zu sprechen, die eigens für diese Weltmeisterschaft gebaut werden. „In Städten wie Rostow am Don, Wolgograd, Moskau und St. Petersburg werden die Stadien aktiv genutzt, und sollten sie sich nicht auszahlen, so bleibt immer noch die verbesserte Infrastruktur. In Städten, in denen sie keine Verwendung finden, stellen sie eine zusätzliche Belastung dar und man wird versuchen, sie abzustoßen, glaubt Drobyschewski.

„Es ist klar, dass die für die Veranstaltung gebaute Infrastruktur nur dann einen positiven Effekt auf das langfristige Wachstum haben kann, wenn sie in der Zukunft auch genutzt wird. Deshalb sollten die größten Hoffnungen in die Verkehrsinfrastruktur gesetzt werden. Straßen, Zuwege, Flughäfen, Fahrzeuge, die für den Wettbewerb gebaut oder gekauft werden, können die Kosten der Unternehmen in der Wettbewerbsregion über Jahrzehnte reduzieren und die Lebensqualität der Bevölkerung erhöhen“, blickt Dmitri Kulikow nach vorn.

Für die sechs Jahre des staatlichen Programms zur Fußballweltmeisterschaft 2018 wurden Kapitalinvestitionen in Höhe von 678 Milliarden Rubel, rund 10,4 Milliarden Euro veranschlagt, von denen im Jahr 2018 nur 44 Milliarden Rubel benötigt werden, dieser Betrag sei unbedeutend, betont Muraschow. Die Investitionen des Energiegiganten Gazprom, nur zum Vergleich, belaufen sich auf drei Billionen Rubel, erklärt der Experte. Etwa die gleiche Menge werde in den konsolidierten Staatshaushalt investiert. „Das Resultat, das auf Investitionen zurückzuführen ist, hat sich allerdings bereits niedergeschlagen“, so Muraschow.

Ein bisschen Hoffnung auf eine Refinanzierung dürfe man schon haben, will er damit sagen. Allerdings warnt er auch unmissverständlich davor, sich allzu große wirtschaftliche Hoffnungen zu machen – die Fußballweltmeisterschaft ist eben doch nur ein Prestigeobjekt.

[mb/russland.NEWS]

 

 

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