Wikileaks – US-Depesche:: Parlament billigt einstimmig die Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien

Alice G. Wells, Gesandter Botschaftsrat für politische Angelegenheiten; 25. August 2008 Classification: Confidential

1. ZUSAMMENFASSUNG:
Mit einer gemeinsamen Bekundung drängten sowohl der Föderationsrat wie die Duma einstimmig darauf, dass Präsident Medwedew Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten erkennt.

Russische Parlamentarier verdammten Georgien dafür, dass es einen Feldzug gegen Südossetien gestartet habe und deuteten mit dem Finger auf die USA als Verursacher [planted the seeds] für die Aggression: durch die Bewaffnung und Ausbildung des georgischen Militärs. Nachdem erst eine scharfe russische Aktion erwartet wurde, glauben jetzt einige Beobachter, Medwedew und Putin werden abwarten, ob die internationale Gemeinschaft Russlands Forderungen erfüllt: die UN-Bestätigung der russischen Friedenstruppe und die Verurteilung von Saakaschwili. Von Medwedew kann ein behutsames Vorgehen erwartet werden – unter Ausnutzung der Situation, die Russland im Moment begünstigt.

2. Der Föderationsrat appellierte in seiner Sitzung am 25. August einstimmig an Präsident Medwedew, dass er die Unabhängigkeit von Abchasien und Süd-Ossetien sofort anerkennt. In einer einstündigen Sitzung, die bemerkenswert organisiert und diszipliniert ablief, bekundeten die Ratsvorsitzenden und 45 Mitglieder unverzüglich ihre Meinung, in der sie Georgien für den Angriff auf Zchinwali am 7. August an den Pranger stellten. Ebenso verkündeten die abchasischen und südossetischen Führer Bagapsch und Kokoity auf der Sitzung, die Bewohner dieser Gebiete bei ihrem Streben nach Unabhängigkeit von Georgien unterstützen zu wollen. Der abchasische Führer bestätigte auch seine Bereitschaft, ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit mit Russland zu unterzeichnen.

3. Im Fahrwasser dieser Sitzung trat auch die Duma zusammen, um einen ähnlichen Appell an Medwedew zu richten. In diesem größeren Gremium nahmen sich die vom Volk gewählten Abgeordneten viel Zeit, um rhetorische Punkte zu sammeln. Die Resolution zur Anerkennung wurde vom CIS-Vorsitzenden Ostrowski vorgelegt. Kossatschow, Vorsitzender des Ausschuss für Internationale Beziehungen, richtete einen gleichlautenden Appell an die UN und die Parlamente der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, in dem er die Anerkennung der beiden Regionen forderte.

Wieder einmal taten sich Bagapsch und Kokoity bei der Diskussion des Appells hervor, als sie „westlichen Staaten“ der Aufrüstung Georgiens bezichtigten, was die Führer in Tiflis bei der Attacke gegen Südossetien ermutigte.

4. Die Reden der Fraktionschefs der Duma-Parteien waren von sehr anti-georgischen und anti-amerikanischen Tönen geprägt. Speziell Kommunistenführer Sjuganow und LDPR Führer Schirinowski klagten die USA an, den Angriff auf Südossetien durch die Bewaffnung und Ausbildung der georgischen Streitkräfte herbeigeführt zu haben, und dass die US-Motive dafür die Destabilisierung Russlands und die Kontrolle über die Energie-Transitrouten aus dem Kaukasus und den Kaspischen Regionen beinhalten.Vizepräsident Cheney wurde der Koordinierung der anti-russischen und pro-georgischen Kampagne für schuldig befunden.

Schirinowski behauptete, dass Israel beabsichtigt hatte, den Iran unmittelbar vor den US-Wahlen anzugreifen, und dass der georgische Militärschlag diesen Plan jetzt durchkreuzt hat. Am Ende nahm auch das Unterhaus die Appelle an die Adresse von Medwedew, UN und UN-Mitgliedsstaaten für die Anerkennung seitens Russlands einstimmig an.

Nicht so schnell

5. In den Tagen unmittelbar vor der Sondersitzung des Parlaments füllten Experten und Akademiker Zeitungen und Radiosendungen mit ihren Sorgen um die politischen Konsequenzen einer Anerkennung. Obwohl man berücksichtigt, dass die öffentliche Meinung von den Ereignissen in Südossetien beeinflusst wurde, forderten einige Experten – darunter die ehemaligen Botschafter Adamishin und Lukin – Medwedew auf, mit der Anerkennung zu warten. Sie argumentierten, dass Moskaus diplomatische Hand gestärkt wurde – als Ergebnis der „georgischen Aggression“ und Russlands eindeutigem Sieg im Krieg. Und dass es jetzt nicht an der Zeit wäre, die beiden Gebiete dem gleichen Schicksal wie Nordzypern auszuliefern, d.h. nur von einem anderen Land anerkannt zu sein.

Was nun?

6. Es gab kaum Zweifel, dass das Anerkennungssverfahren vom Kreml koordiniert wurde. Die Frage bleibt jedoch, zu welchem Zweck? XXX, dass die gleiche Duma, die während des Krieges nichts gesagt hat und auch nicht früher aus seiner August-Pause zurückkehrte, jetzt vom Kreml benutzt wurde, auf internationaler Ebene dreckiges Wasser aufzuwirbeln und um dem Kreml eine weitere Karte zur Verfügung zu stellen, um mit den europäischen Vermittlern spielen zu können.
Es ist schon seit dem März 2008 aktenkundig, dass Föderationsrat und Duma die Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien unterstützten. Sie behauptet, dass der Kreml durch die Orchestrierung einer soliden Unterstützungskampagne für die Unabhängigkeit des Parlaments eine härtere Linie ergreifen kann – bezüglich der Rücknahme der russischen Truppen auf die Demarkationslinien vor dem 7. August.

In Erwartung, dass die Streitigkeiten mit Europa und den USA über Auslegung und Umsetzung von Punkt 6 des Waffenstillstandabkommens von Medwedew und Sarkozy fortbestehen werden, kann sich der Kreml nun in zwei Richtungen bewegen: Dass er nicht der starken öffentlichen Meinung im Wege stehen oder dass er auf die Annahme seiner Auslegung von Punkt 6 drängen kann. In beiden Fällen wird Medwedew in der Lage sein, der Welt und der russischen Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass er, nachdem der Sturm weltweiter Kritik ausgestanden war, schnell reagiert hat – bevor die durch die militärische Aktion möglich gewordenen Chancen wieder verschwanden.

XXX vermutete, dass Faktoren, die möglicherweise Medwedew von einer sofortigen Anerkennung zurückhielten, auf positiven Signale aus Europa beruhten; und dem Wunsch, die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen abzuwarten.

Selbst wenn er sich zu warten entscheidet, wird die parlamentarische Show russischen Diplomaten genügend Deckung geben, um bei den in den nächsten Monaten anstehenden OSZE- und UN-Debatten über die Zukunft von Abchasien und Südossetien harte Positionen einnehmen zu können.

7. XXX erwartete nicht die Genehmigung Medwedews zur Anerkennung in nächster Zukunft. In Erkenntnis, dass die Unterstützung der Unabhängigkeit nicht den objektiven Interessen Russlands entsprach, sagte XXX, Medwedews Entscheidung sei von anderen Faktoren verursacht worden. Medwedew, so argumentierte er, würde die Abstimmung zum Druckaufbau für einen internationalen Mechanismus benutzen, mit dem Russlands Grundforderung zu erfüllen seien.

Insbesondere behauptete er, dass Russland nach einer Resolution gesucht hat, die seinen Status als Friedenswächter in Südossetien und Abchasien bestätigt, und er erwartete, dass die internationale Gemeinschaft ihre uneingeschränkten Unterstützung für Präsident Saakaschwili einstellt. Ansonsten, vermutete er, werde sich die Anerkennung der beiden Regionen beschleunigen.

Er zitierte ein Interview aus den vergangenen Tagen mit Saakaschwili, in dem der georgische Staatschef angeblich erklärt hat, er werde nicht danach streben, die Südosseten davon zu überzeugen „zurück nach Georgien gekommen“ – sondern danach, dass „Georgien zu ihnen kommen würde (z. B. militärisch).“

XXX klagte, dass dies nur weiterhin Saakaschwilis zukünftige militärische Absichten gegen Südossetien bestätigte. Er forderte ein dafür Sorge zu tragen, dass das georgische Militär nie wieder einen militärischen Angriff auf die Region startet.

8. Kommentar: Die Aktionen der Duma und des Föderationsrates werden vom Kreml und dem Außenministerium im Umgang mit ausländischen Vermittlern verwendet werden, um zu zeigen, dass es eine weit verbreitetet Unterstützung für noch härtere Maßnahmen in Bezug auf die beiden Regionen gibt, und dass man in der Lage sei, weiterhin verstärkten Druck auf die Regierung von Saakaschwili auszuüben.

Trotz der einstimmigen Abstimmungen können Medwedew und Putin das Spiel um die Anerkennung weiter spielen, indem sie den Druck auf die europäischen Verbündeten bezüglich eines Kompromiss bei dem von Russland bevorzugten Resolutionsentwurf des Sicherheitsrates erhöhen. Gleichzeitig können sie einen Schritt vermeiden, der – XXX’s Angeberei beiseite lassend – zu unvorhersehbaren innenpolitischen Konsequenzen in Russland führen könnte.

Beyrle

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E.O. 12958: DECL: 08/25/2018
SUBJECT: TFGG01: PARLIAMENT UNANIMOUSLY ENDORSES ABKHAZ,
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