Warum Putin RTdeutsch in Russland schließen würde

Warum Putin RTdeutsch in Russland schließen würde

[Kommentar von Roland Bathon] Was würde aktuell in Russland einem Sender passieren, der einen Mediziner von zweifelhaftem Ruf einlädt, der erklärt, die Sache mit dem Coronavirus sei nur Fake und die Maßnahmen der Regierung dazu Panikmache. Diese Frage lässt sich recht genau beantworten, da die Staatsduma hierzu erst das Gesetz verschärft hat. Fünfstellige Geld- oder sogar Haftstrafen für die Verantwortlichen wären die Folge.

Wäre der russische Staatssender RT deutsch für ein russisches Publikum konzipiert, müsste man formaljuristisch diese Strafe gegen eine vom russischen Staat selbst finanzierte Einrichtung verhängen. Am 20. März lud Jasmin Kosubek vom „Fehlenden Part“ in ihre Sendung einen Doktor Klaus Klöhlein, seines Zeichens normaler Internist aus Kiel ein und kündigte ihn als erfahrenen Fachmann an.

Exotische Mediziner bestreiten eine Pandemie

Unter dem Titel „Die Epidemie, die nie da war“ behauptete besagter Klöhlein gegenüber Kosubeks Sidekick Margarita Bityutskikh, Corona sei nicht gefährlicher als Grippe und die aktuelle Epidemie existiere gar nicht, sondern sei eine Folge eines Medienhypes. Dieser Beitrag rief die Faktenjäger von Mimikama auf den Plan, die seit 2011 unabhängig Internet-Fakes und Hoaxes untersuchen. Sie klassifizierten Dr. Klöhleins Beitrag auch gleich als Fake und zwar bei jeder seiner getroffenen Aussagen auf medizinischem Gebiet anhand von fundierten Auskünften aus entsprechenden Fachmagazinen oder vom Robert-Koch-Institut.

Dass der Fake-Vorwurf gegen Klöhlein und damit RT deutsch auch vom rein medizinischen Standpunkt berechtigt ist, zeigt weniger Tage später ein Interview mit Dr. Henrik Hermann, dem Präsident der zuständigen Ärztekammer Schleswig-Holstein beim YouTube-Channel STRG_F. Dieser widersprach, angesprochen auf Klöhlein, dessen Darstellung heftig („wir haben es mit einer neuen, sehr schweren Viruserkrankung zu tun“) und drohte dem Kieler Internisten wegen seiner haltlosen Behauptungen bei RT und deren Schaden für die Infektionsverhütung in Deutschland berufsrechtliche Konsequenzen an. Das könnten übrigens laut Ärzteblatt sein: Eine Rüge, eine Verwarnung oder ein Verweis der Ärztekammer verbunden mit hoher Geldstrafe oder sogar ein Entzug der Kassenzulassung und der Erlaubnis, als Arzt zu praktizieren.

Im wissenschaftlichen Fachmagazin Spektrum wird Corona-Leugnern wie Klöhlein vorgeworfen, dass sie einen ganzen Berg von Belegen für den Ernst der Bedrohung einfach ignorieren. Es sei unverantwortlich, gegenüber Laien mit fadenscheinigen und leicht widerlegbaren Argumenten Entwarnung zu verkünden meint Spektrum, wie das Klöhlein tat und RT deutsch ohne kritische Betrachtung sendete.

Die fehlende Reputation ist lange bekannt

Dass Dr. Klöhlein nicht etwa eine erfahrene Kapazität der Virologie, sondern ein Arzt mit zweifelhaftem Ruf ist, hätten die verantwortlichen RT-Redakteure sehr schnell recherchieren können. Denn Klöhlein bestreitet öffentlich wissenschaftlich anerkannte Lehrmeinungen zu AIDS, ist aktiver Impfgegner (in Russland gilt übrigens Impfpflicht) und tritt weniger auf wissenschaftlichen Fachtagungen, sondern vielmehr auf ganz anderen Events etwa des Schweizer Sektengründers Ivo Sasses auf.

Als Recherchepartner tritt im RT-Beitrag übrigens das Medium nuoviso.tv auf, wo beispielsweise ein Ernst Wolff publiziert, der behauptet, Corona wäre ein Werk der weltweiten Finanzelite, um Chaos zu stiften. Von mehreren Medien wird nuoviso.tv nicht wie von RT deutsch als „alternatives Rechercheportal“, sondern vielmehr als Teil der rechten Esoterikszene gesehen. Im Interview mit Julia Dudnik stellte die RT-Kritikerin Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik fest, RT manipuliere dadurch, Randmeinungen in das Zentrum ihrer Beiträge zu stellen und dabei zu verschwiegen, dass die überwältigende Mehrheit der Fachleute anders denkt – beim Thema Corona-Pandemie gibt RT seiner Kritikerin von der Auswahl seines Gastes und seines Partners wirklich recht. Leider ist das Video kein Einzelfall.

Der Beitrag war nicht der erste mit einem solchen Tenor, „Virale Panikmache“ war etwa die Überschrift eines vorherigen RT-Clips vom 31. Januar. Und auch bei Beiträgen zum Thema Impfen waren bei Kosubek und Co. zweifelhafte Impfkritiker zu Gast, wie Reinhard Mitter aus Wien, dessen Aussagen gemäß seinem dortigen Kollegen und Leiter einer Kinderklinik Peter Voitl der ärztlichen Kunst widersprächen – und übrigens auch der Lehr- und Regierungsmeinung in Russland.

Solche zweifelhaften Beiträge bleiben bei den deutschen Mainstreammedien natürlich nicht verborgen und der Tagesspiegel und andere witterten eine Chance, hier der Reputation der ungeliebten Berliner Russen weiter zu schaden. Leider griffen sie bei dieser scheinbar günstigen Gelegenheit selbst zu den Fake-News, der Verfassungsschutz habe RT deutsch wegen seiner Corona-Kampagne unter Beobachtung gestellt. Dies sei nicht wahr verkündete im Revanche-Video der RT-Deutsch-Chef und freute sich – leider angesichts der tatsächlichen Qualitätsdefizite seiner wichtigsten Magazinsendung ohne jede Berechtigung.

In Russland wäre eine Geheimdienstüberwachung keine Fake-News

In Russland wäre mit einem Sender, der solch gefährlich unwissenschaftlichen Nonsens unter dem Deckmantel der Seriosität an die Öffentlichkeit bringt, die Überwachung durch den FSB, dortiges Gegenstück des Verfassungsschutzes, gewiss. Nicht nur, weil Putin sich inzwischen persönlich den Kampf gegen das Virus auf die Fahnen geschrieben hat. Mit seinem Seuchenexperten Sobjanin verhängt er Maßnahmen, die den deutschen, die das Berliner RT-Team so heftig kritisiert, erstaunlich gleichen, wenn sie nicht sogar noch übertreffen – erst am Donnerstag wurden alle Russen bis Monatsende nach Hause in eine  Selbstisolation“ geschickt.

Würde RT aus Russland auch Beiträge bringen, die dortige Regierung übe sich in „Panikmache“? Sozusagen Panik, verbreitet vom eigenen Geldgeber? Wenn ja, ist es keine Polemik davon auszugehen, dass im Wiederholungsfall der Sender von seinem Finanzier auch dicht gemacht werden würde. Zwei verharmlosende Beiträge zu Covid-19 könnten in Russland jedem Sender die Lizenz kosten. So ist auch die Überschrift dieses Kommentars keine Polemik sondern einfach eine reale Beschreibung von Dingen, die in Russland geschehen würden.

Wenn man der deutschen Presse glaubt, ist RT dazu da, russische Regierungspropaganda im Ausland an den Mann und die Frau zu bringen. In Bezug auf den russischen Regierungskurs  beim Seuchenschutz der deutsche RT-Ableger da inzwischen doch etwas aus dem Ruder zu laufen – denn hier werden russische Regierungsmeinungen negiert. Hier bräuchte man vielleicht Nachhilfe über die Moskauer Strategie. Warum ist das so? RT-Fans werden das vielleicht sogar als Beleg dafür sehen, dass die journalistische Freiheit bei RT größer ist als im deutschen Mainstream.

RT deutsch bedient sich beim deutschen Anti-Mainstream

Doch leider gibt es noch zwei andere Erklärungsmöglichkeiten, die weniger schmeichelhaft für Russia Today auf deutsch sind. Wer Böses denken will, könnte etwa sagen, RT deutsch vertritt einfach mit Strategie immer die Antiposition zum deutschen Mainstream, um, wie man so schön sagt, Unzufriedenheit zu provozieren. Das würde einen entsprechenden Auftrag bedeuten und würde ebenfalls erklären, warum aus Moskau keine sichtbare Rüge kommt, wenn die Tochter dem Papa im Moskauer Kreml widerspricht – in großen russischen TV-Sendern vor Ort übrigens völlig undenkbar.

Eine viel wahrscheinlichere Möglichkeit ist, dass RT sich bei seinem Personalpool ein wenig zu tief im deutschen – und wirklich urdeutschen und gar nicht russischen – Antimainstream bedient hat. Einer Bewegung der verbitterten vom Mainstream Ausgestoßenen und Dagegen-Kultur. Sie hat einen großen Einfluss auf viele Alternativmedien, die deswegen, wie es Alexander Unzicker im Onlinemagazin Telepolis ausdrückt, bei der kritischen Begleitung der Coronakrise versagt haben.

Für Antimainstreamer, ihre Grenze zu der rechten Esotherikszene ist tatsächlich fließend, ist der Sender nun nur ein Vehikel, exotische Mindermeinungen mit vergleichsweise großen finanziellen Mitteln dem Publikum – meist Leuten aus der eigenen Filterblase – zu verkünden. Auch Russland ist für viele aus diesem Milieu hauptsächlich deswegen „gut“, weil es für die großen deutschen Medien eben „böse“ ist – eine differenzierte Betrachtung findet bei beiden Kontrahenten in diesem Streit kaum statt und bleibt allgemein wenigen Berichterstattern vorbehalten. RT deutsch wiederum generiert sich als Flagschiff dieser Parallelwelt, um über diese Taktik erfolgreich Views bei denen abzugreifen, die ausschließlich in dieser inzwischen recht großen Blase verkehren.

Aus Sicht der russischen Regierung, die die Party in den Berliner RT-Studios schmeißt, müsste man sich aber einmal fragen, ob solche Exoten und die, die ihnen eine Bühne bieten, die richtigen Partner sind, die deutsche Mehrheitsbevölkerung auf einen „russlandfreundlichen“ Kurs zu bringen. Denn Deutschland besteht nicht nur aus dieser Blase und der Rest der Gesellschaft steht ihr sehr kritisch gegenüber. Oder ob man durch das Verhalten der RT-Tochter Gegnern Russlands einfach sehr billig riesige Angriffsflächen durch unseriöse Partner und Inhalte bietet.

COMMENTS