„Visumfreie Einreise in mein Leben“ – russischer Stand-Up-Comedian über Humor im heutigen Russland

„Visumfreie Einreise in mein Leben“ – russischer Stand-Up-Comedian über Humor im heutigen Russland

„Haben wir überhaupt schwarzen Humor, außer das Leben selbst?“ Diese Frage stellt kürzlich eine Moderatorin eines beliebten russischen Radiosenders ihrem Gesprächspartner. Und tatsächlich, wie kann man den Humor in Russland beschreiben? Ist er nur „schwarz“ oder „weiß“? Einer der beliebtesten Komiker des Landes heißt übrigens Russlan Bely, also Russlan Weißer. In einem Interview mit dem YouTube-Kanal „Lass uns reden“ gab er zu, dass einige Witze aus humoristischen Sendungen herausgeschnitten werden müssen, weil sie „das eine oder andere Gesetz verletzen“.

„Komödie ist der beste Weg, um Spannungen abzubauen“, sagte Alexander Dolgopolow, ein weiterer Stand-Upper der neuen Generation. Kann man im heutigen Russland über alles Witze reißen? Und warum braucht man überhaupt Humor? Wir haben beschlossen, all diese Fragen mit Iwan Abramow, einem Star der Stand-Up-Comedy in Russland, zu klären.

Das Treffen fand nach seinem erfolgreichen Konzert in Tel Aviv statt.

„Das Schwierigste sind die Minuten voller Nerven und Sorgen vor der Vorstellung, in der sogar dein Magen sagt: „Wage es nicht, auch nur einen Schluck Wasser in mich zu gießen! Ich werde alles zur Hölle ausspucken!“ Und das Coole ist, wenn bei einem Konzert ein neuer Witz, den ich erst vor einer Stunde geschrieben habe, super ankommt“, gab Iwan zu.

In diesem Konzert kamen offensichtlich alle Witze an. Denn das Publikum war begeistert. Iwan reist mit seiner Stand-Up-Show durch das ganze Russland. „Mein Publikum lebt überall: in London, in Rostow, in Ischewsk, in Jekaterinburg und in Kaluga. Wissen Sie, die offensten Menschen leben in Rostow am Don, wie mir scheint. Aber am dankbarsten sind jedoch russische Einwanderer in London oder Tel Aviv. Dort kommt das Lachen mit dem Zusatz „Danke, dass Du zu uns gekommen bist, Landsmann“.

Aber worauf wartet eigentlich sein Publikum? Möchten Menschen eher politische Witze hören oder Geschichten aus dem Leben? „Ich bin in erster Linie ein Komiker und möchte Menschen unterhalten und zum Lachen bringen. Ich mache für niemand Wahlwerbung, sondern betrachte alles durch eine humorvolle Brille. Ich darf ja weiter durch das ganze Land reisen, also habe ich offensichtlich noch nichts verbrochen“, lacht Abramow. Für politische Analysen und Kritik gebe es schließlich den oppositionellen Radiosender „Echo Moskau“, den unabhängigen TV-Sender „Doschd“ oder kritischen Internetportal „Meduza“. Natürlich gibt es Zensur, fügt Iwan ernst zu. „Keine direkten, sondern ganz subtile Witze zu schreiben – das ist zwar schwieriger, aber für einen Comedian viel interessanter. Die Russen sind es ja gewohnt, satirische Anspielungen im Humor zu verstehen. Das ist bei uns seit der Stalin Zeit quasi auf der genetischen Ebene gespeichert“.

Wenn er Themen für seine Solo-Stand-Up-Shows auswählt, denkt er vor allem darüber nach, was ihn selbst bewegt und interessiert und zum Lachen bringt. „Zum Beispiel ist meine

älteste Tochter manchmal sehr ungezogen. Ist das für alle interessant? Natürlich! Das ist ja das Leben. Alle, die Kinder haben, würden das verstehen“.

Die Stand-Up-Comedy ist ein neues Phänomen für Russland. Wie erklärt sich Iwan die Popularität dieser Art vom Humor? „Vielleicht liegt das Geheimnis in der Wahrheit. Stand-Up ist das wirkliche Leben. Du erzählst den Menschen, was du selbst hier und jetzt erlebst. Die Aufrichtigkeit ist das Wichtigste. “

Und deshalb hat Iwan keine verbotenen Themen. Gibt es eine Grenze, hinter die er seine Zuschauer nicht zulässt? „Ich denke nicht. Und es gibt auch keine Tabus. Ich biete sozusagen eine visafreie Einreise in mein Leben. Ich kann mich zum Beispiel darüber lustig machen, dass ich Probleme mit Prostata hatte. Die Beschneidung hat mir geholfen. Und Männer schreiben mir immer noch und bedanken sich, sie sagen, Hey, Wanja, das hat echt geholfen“.

Fühlt sich Iwan in Russland frei? „Ich bin eher frei als nicht frei“, antwortet der Komiker diplomatisch. „Wenn es eine Bedrohung für meine Kinder gibt, werde ich sie außer Landes bringen – um zurückzukommen und die Menschen in Russland weiter zum Lachen zu bringen. Es ist wertvoller, Menschen in Russland aufzuheitern als Russen in New York oder London, bei aller Liebe zu britischer Architektur und Atmosphäre.“ Und sybillinisch fügt er hinzu: „Im Allgemeinen bin ich sicher, dass sich Russland zum Besten entwickeln wird. Schließlich sind wir Weltmeister in Selbstironie – und sie ist der Motor für positive Ergebnisse!“

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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