Tag 60 – Was Sonderzüge mit Alkoholikern zu tun haben

Dmitri, mit dem wir uns wegen Russland treffen wollten, musste gestern übrigens kurzfristig absagen. Haben uns auf morgen Abend vertagt. Vielleicht braucht er einfach nur mehr Zeit, um uns mit den richtigen Ratschlägen zu versorgen. Also mit den ganz richtigen.

Das mit den Sonderzügen habe ich jetzt auch mal recherchiert. Wär ja schon cool, gemeinsam mit Fans aus aller Herren Länder (oder muss man neuerdings sagen, um politisch korrekt zu bleiben: aus aller Damen Vaterländer? Egal.) durch Russland zu reisen.

Nach meiner ersten groben Einschätzung (der Michel könnte das nach kurzer Zeit bestimmt ganz genau sagen) würde zumindest der kostenlose Sonderzug von Kasan nach Moskau am 28. Juni passen. Dann kommen wir vom Spiel gegen Südkorea und wollen weiter nach Moskau. Würde nicht länger brauchen als der TransSib auf der gleichen Strecke, runde 14 Stunden. Aber eine Fahrt mit der TransSib ist bei uns gesetzt, fest im Programm vorgesehen. Quasi nach dem Motto: Einmal TransSib und dann sterben.

Was ist mit einem Zug von Sotschi nach Kasan? Um nach Kasan zu kommen, also vom Schweden-Spiel unserer DFB-Jungs zum Südkorea-Spiel, werden erstmal nur Sonderzüge von Moskau aus angeboten. Wär‘ dann zwar ein Riesen-Umweg über Moskau, aber machbar: Zwölf Stunden von Moskau bis Kasan. Aber: Wir müssten ja zuerst einmal aus dem Süden (Sotschi) nach Norden (Moskau) kommen, um dann quer (nennt man das östlich?) nach Kasan zu rattern.

Und jetzt kommt’s: Um erstmal mit einem Zug von Sotschi nach Moskau zu ruckeln, das dauert dann sage und schreibe 23 Stunden! Insgesamt wären wir also anderthalb Tage nur in Waggons zugange. Wären der Wahrscheinlichkeit nach vollkommen abgepumpt mit Wodka und allerlei anderem hochprozentigem Zeugs, so dass wir vermutlich das Spiel gegen Südkorea mangels Kraftreserven gar nicht erst zu Gesichte bekommen würden. Und ins Stadion rein ließen die uns bestimmt auch nicht. Trotz Osvaldo-Ausweis.

Nur der Vollständigkeit halber: Der Direktzug von Sotschi nach Kasan braucht schlappe … zwei volle Tage. Bis dahin wären wir tot. Kein Wunder, dass so viele Russen alkoholabhängig werden. Jeder vierte Russe stirbt angeblich bereits vor seinem 55. Geburtstag. Au Mann. Ich glaube:

Wir und der Zug – das wär‘ eine fatale Liaison. Michel, unser Kapitän, hätte gerade noch drei Jahre zu leben. Höchstens.

Also lassen wir das lieber mit den Sonderzügen.

Zur Abwechslung heute mal ein in Russland recht beliebter Witz:

Eine lange Schlange steht um Wodka an. Ein Mann hält es nicht mehr aus und ruft: „Ich gehe in den Kreml und bringe Gorbatschow um.“ Nach einer Stunde ist der Mann wieder zurück. Die Schlange steht immer noch da. „Hast Du ihn umgebracht?“, fragt man ihn. „Wie soll ich ihn umgebracht haben“, antwortet der Mann, „dort stehen noch mehr Leute Schlange.“

Jetzt aber Spaß beiseite, das mit dem Alkoholismus scheint in Russland ein großes Problem zu sein. Der MDR (Mitteldeutscher Rundfunk) hatte am 3. November 2016 auf seinen Internetseiten mal veröffentlicht:

„In Russland ist die Toleranz gegenüber Alkoholikern deutlich größer als in Deutschland. Alkoholismus wird oft nicht als Krankheit begriffen, sondern als normales Trinken. Mehr noch: Alkohol gehört dazu. Trinker werden in gewisser Weise sogar bewundert, ihre Sucht als Kehrseite eines großen Talents betrachtet. In der russischen Literatur und in russischen Filmen begegnet man solchen Figuren auf Schritt und Tritt. Wer trotzdem trocken werden will, versucht es in Russland meist auf zwei Wegen: Er vertraut sich der orthodoxen Kirche an und kuriert sich mit Beten und Fasten oder macht eine Hypnose-Therapie. Dort werden die Alkoholiker „kodiert“, also per Hypnose darauf geeicht, auf Alkoholgenuss mit Brechreiz, Bewusstlosigkeit oder gar Herzstillstand zu reagieren. Bei einer weiteren Methode wird den Patienten eine Kapsel unter die Haut implantiert, deren frei werdender Inhalt dafür sorgt, dass Alkohol als unangenehm empfunden wird.“

Jetzt muss ich schlucken. Also keinen Alkohol, eher trocken. Mmmhhh …  Fasten, um clean zu werden? Oha. Gefastet habe ich ja auch gerade. Gilt dann etwa auch der Umkehrschluss? Also: Wer fastet, ist oder war Alkoholiker? Nicht auszudenken. Wenn das meine Frau erfährt. Lebt seit gefühlten Jahrzehnten mit einem Mann zusammen, der Alkoholiker ist. Und sie weiß nix davon.

Gut, dass ich mich selbst beim Fasten abgebrochen habe. Den oben erwähnten Brechreiz bekam ich eigentlich nur vom verkonsumierten Tee. Literweise hab ich den mir reingeschüttet. Eine regelrechte Teebeutelallergie habe ich. Selbst diagnostiziert.

Was und wie auch immer: Ich bin glücklich, dass ich gestern eine gute Lösung für mich gefunden habe: Alkohol nur am Wochenende.

Aber die Fiktion nicht vergessen.

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