Tag 44 – Erste Russisch-Erkenntnisse dank eines Sechsers im Lotto

Eine Freundin meiner Frau kommt zu Besuch. Auf Diane habe ich schon lange gewartet. Sie holt ihren Sohn ab, der sich mit unserem zum Spielen traf. Diane ist Lehrerin und hatte mal erwähnt, dass sie in der ehemaligen DDR groß geworden sei.

Kaum klingelt es, stürme ich in Richtung Haustüre und überhole dabei sogar noch meine Frau, die sichtlich überrascht ist und verdutzt abrupt stehen bleibt.

Apropos klingeln – wir haben da so eine Haustürklingel, auf die man alle Songs der Welt aufspielen kann, verkürzt allerdings. Man kann wählen zwischen einem Ausschnitt von acht Sekunden oder der langen Version von 40 Sekunden. Da ich Diane mit Erinnerungen an ihre alte Heimat zur Begrüßung etwas froh machen möchte, habe ich für sie ein Lied der Prinzen aufgespielt: „Es war nicht alles schlecht“. Habe mich für die volle Dröhnung entschieden, also die lange Version. Und die Lautstärke auf Maximum.

Nachdem wir uns dann 40 Sekunden bei geöffneter Türe im Haustürrahmen angeschaut und dem Song und dem Text gelauscht haben – ich ganz stolz und hocherfreut, dass mir sowas Gutes einfiel, und sie … sagen wir mal … etwas irritiert – hab ich sie direkt auf etwas angesprochen, was mich schon immer interessiert hatte. Aber erst, als sie sich ein paar Tränchen weggetrocknet hatte, so lange hab ich dann doch noch gewartet. Sie war offensichtlich tief berührt.

„Na, klingelt’s? Hab ich extra für dich angemacht!“

Sie blieb stumm, und ich blickte bloß in ein Gesicht mit hochgezogenen Augenbrauen. Vielmehr nur auf eine, denn irgendwie schaffte sie es, nur eine einzige Augenbraue hochzuziehen. So wie Mr. Spock aus Raumschiff Enterprise, der konnte das auch immer und sagte hinterher meistens: „Faszinierend!“. Das Wort blieb in der gegebenen Situation allerdings aus.

„Komm rein, Diane. Ich muss dich gleich was ganz Wichtiges fragen. … Sag mal … du hast doch mal in einem anderen Land gelebt. Vor langer Zeit. Quasi in Westrussland. Kannst Du auch … Russisch?“

Sie scheint sich wieder gefangen zu haben und antwortet:

„Ja, ja … wir hatten Russisch in der Schule. Ab der fünften Klasse. War stets die erste Fremdsprache, die wir lernen mussten. Bis zum bitteren Ende. Und die, die studieren gingen, mussten das sogar zwingend weiter als Fach belegen. Das war nicht schön, sage ich dir.“

„Das ist ja hervorragend!“, höre ich mich hervorstoßen, ehe ich mich dann gleich wieder zu korrigieren versuche, weil ich nicht schon wieder in feucht werdende Augen blicken mochte, „ich meine, das war bestimmt eine schlimme Zeit. Aber jetzt ist es doch gut. Und Russisch kannst du ja auch!“

„Ja, etwas vielleicht noch, aber damit kann ich nichts anfangen.“

„Doch! Würdest du mir … vielleicht … Russisch beibringen können? Wir fahren im Sommer nämlich nach Russland zur Fußball-WM und wollen unterwegs auch Putins Tochter kennenlernen.“

„Hat der eine? Und falls ja, dann spricht die bestimmt Deutsch.“

„Diane, auf so eine Spekulation können wir uns beim besten Willen nicht einlassen. Es hängt unglaublich viel davon ab. Lew will sie unbedingt kennenlernen!“

Sie macht erneut einen leicht überforderten Eindruck. Mit einem tiefen Seufzer blickt sie zu meiner Frau und macht dabei so ein fragendes Gesicht. Meine Frau legt den Kopf etwas zur Seite, so als wolle sie sagen: „Mach et, Otze! Du kommst aus dieser Nummer eh nicht mehr raus.“

Der Frank Ordenewitz hatte sich 1991 mal freiwillig eine rote Karte abgeholt, damals beim Spiel vom 1. FC Köln gegen den MSV Duisburg. Damit wollte er sich durch einen vermeintlichen Trick ins DFB-Pokalfinale schummeln. Er hätte die rote Karte laut den Statuten in einem Liga-Spiel statt im Pokal absitzen müssen. Ging letztlich aber schief: Er durfte trotzdem nicht mitspielen, weil es jemand verraten hatte und er für das DFB-Pokalfinale gesperrt worden war. Ob Diane weiß, worauf sie sich einlässt, als sie achselzuckend schwer ausatmet:

„Na gut, Osvaldo. Weil du’s bist.“

Wieso habe ich plötzlich den Eindruck, dass sie eigentlich sagen wollte?:

„Weil du so eine liebe Frau hast, Osvaldo.“

Egal.

„Sehr gut, vielen lieben Dank, Diane! Wann fangen wir an? … Jetzt?“

„Gib mir bitte etwas Zeit, ich muss mich erst wieder etwas einlesen.“

„Aber … dieses Wort könntest du doch bestimmt noch schnell schreiben, oder …?“

Ich halte ihr dann einen Zettel mit einem einzigen Wort hin. Diane rollt etwas die Augen, überlegt und notiert dann doch ihre Gedanken darunter. So sieht es aus:

Diane ist sowas wie ein Sechser im Lotto. Die kann mich voll anlernen. Und ich kann immerhin schon ein Wort auf Russisch. Zwar nicht aussprechen – denn das habe ich vergessen zu fragen – aber schreiben.

„Damit komme ich in Moskau erstmal eine Weile durch“, denke ich. Und bin sehr, sehr zufrieden.

 

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