Tag 193 – Wodka, Tischlein-Deck-Dich und 49 Jungfrauen

So. Nägel mit Köpfen gemacht. Mittlerweile schon die vierte Unterkunft in Moskau. Hoffe, es bleibt

Ist so ein Hostel. Unterbringung wieder in einem Schlafsaal, dieses mal in einem 8er. Aber: Es sind keine Etagenbetten, sondern so eine Art Wabe. Wo man in eine Kapsel reinkrabbeln muss. Bisher kannte ich sowas nur von TV-Berichten über Tokio, wo Menschen wie Bienen in Kammersystemen übernachten. Na ja, mal sehen, wie das wird. Klaustrophobie darf man da nicht haben. Also, Kopf raus und losschwirren!

Bleibt die Frage, ob Bettwäsche mitgebracht werden muss. Müsste dann nämlich meinen Kofferinhalt reduzieren auf den Schwenker, ein Deutschland-Trikot – und eben die Bettwäsche. Egal. Habe den Eindruck, manchmal wäre mir lieber, ich könnte zu Hause bleiben. Da hab‘ ich wenigstens alles: Mein eigenes Bett, meine eigene Bettwäsche, mein eigenes Bier. Gut, meine eigene Frau wäre auch da. Aber sonst ist einfach alles Angenehme vorhanden.

Wie ich gelesen habe (https://www.focus.de/reisen/russland/manieren-und-benimmregeln-fuer-russland-politisch-korrekt-heikle-themen-gekonnt-vermeiden_id_3566328.html) ist neben Politik das Thema Homosexualität in Russland eine verzwickte Angelegenheit: Homosexuelle Propaganda sei sogar strafbar. „Gleichgeschlechtlichen Paaren raten wir daher, auf das Zeigen von Zuneigung in der Öffentlichkeit zu verzichten“, heißt es in dem Artikel.

Oha. Das kann ja was werden. Nicht nur, dass ich mit meinem Freund Maxim zusammen das Hostel gebucht habe, nein, wir werden wohl auch nebeneinander – oder besser: unmittelbar zusammen – in so einer Kammer liegen. Und wenn die Russen (die zu dunkelhäutigen Menschen nach wie vor Neger sagen – was aber liebevoll gemeint sei, wie mir Guntar berichtete) mitbekommen, dass er aus dem Senegal stammt, dann ist da bestimmt was los in dem Hostel. Dann kann der Putin gleich mal gucken ko

Dem Maxim habe ich das bisher noch nicht gesagt, dass wir zusammen in so einer Kapsel daniederkommen werden. Soll eine Überraschung werden, haha. Der wird Augen machen. Die anderen im Schlafsaal aber bestimmt auch. Ich sehe uns jetzt schon nacheinander mühsam in die Kapsel steigen, einer reicht dem anderen die Hand, damit er nach einem anstrengenden Tag noch hochkommt, ähh … ich meine natürlich, es nach oben schafft. Dann wird die Jalousie runtergezogen und alle spekulieren, was darin vor sich geht. Spätestens aber, wenn sie hören, dass nach etwa 13 Sekunden die ersten Schnarchgeräusche nach draußen dringen, werden sie merken, dass sie beruhigt schlafen können.

Der Maxim hat ohnehin nur eine einzige Sorge: „Wie kriege ich meine große Trommel ins Flugzeug und anschließend ins Stadion?“ Alles andere ist bei ihm nachrangig.

Schon komisch, manche Dinge in Russland. Da gibt es ja den berühmten Breschnew-Bruderkuss mit Honecker, dem Saarlän… Nein, das sage ich jetzt nicht, woher der ehemalige DDR-Staatsratschef ursprünglich stammt. Egal. Norberto hat ihn mir jedenfalls auch angedroht, so einen intensiven Bruderkuss. Mitten auf dem Roten Platz. Igitt. Er will Zeichen setzen. Au Mann.

Homosexualität ist ja nicht so gerne gesehen in Russland. Und dann knutschen sich zwei Männer öffentlich. Nicht der Norberto und ich, nein, der Honecker und der Breschnew. Die machten das so. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber ich glaube … mit Zunge. Der Breschnew und der Honi. Das ist jetzt fast 40 Jahre her. Und wenn heutzutage zwei Männer in Russland öffentlich Händchen halten, dann machen die einen Terz daraus. Irgendwie widersprüchlich. Na ja.

Gespannt bin ich auch über die anderen Sitten in Russland. Es heißt, man dürfe ein Wodka-Angebot nicht ablehnen. Niemals. Das wäre total unhöflich. Nur aus medizinischen Gründen würde man eventuell einlenken und vom Wodka-Eintrichtern absehen.

Hab‘ daher nachgesehen und mir mal eine Ausrede parat gelegt:

„Njet Wodka – Problema Pietschni“ könnte ich zum Beispiel sagen. Pietschni ist das russische Wort für Leber (in Lautschrift).

Zur Sicherheit hab‘ ich mir mal noch einen Zettel gemacht (um jedem Wodka-Angebot aus dem Weg gehen zu können):

цирроз печени – in Lautschrift: „tsirross pietschni“. Ich nehme an, ihr wisst, was gemeint ist …

Schon komisch. Kommt da vielleicht die Redewendung „mal einen pietschen gehen“, also mal einen trinken gehen, her? Könnte sein. Jedenfalls kann ich mir das Wort Pietschni für Leber sehr gut merken. Im Nachbarort Alsweiler gab es in den 80er Jahren sogar mal eine „Pietscher-Bande“, drei Brüder, die nach Fußballspielen gerne noch etwas länger durchs Dorf zogen.

Was uns bei den Sitten und Gebräuchen entgegenkommen dürfte: Ist der Teller leer, wird nachgelegt. Werden uns in Russland also gut aufgehoben fühlen: Getränkeangebote darf man nicht ablehnen, und bei einem leeren Teller geht es wie bei Tischlein-Deck-Dich. Unsere Moslems in der Truppe, also der Maxim und natürlich vor allem der Norberto, werden sich wie im Paradies fühlen. Fehlen nur noch die 48 Jungfrauen. Oder waren’s 49?

Egal. Wir freuen uns jedenfalls.

 

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