Tag 192 – Überbewertete Unterkunftsfragen

Die russische Bekannte von Norberto (wie viele Bekannte, Kumpels und Freunde hat er eigentlich in Russland?) meldet sich bei ihm. Mit Norberto zusammen möchte ich die Olga in ihrer Heimatstadt Saratow besuchen. Saratow liegt auf dem halben Weg von Wolgograd nach Samara, wo wir am 7. Juli das Viertelfinale anschauen wollen.

Wir müssen überlegen, wie wir von Wolgograd am 6. Juli die etwa 400 Kilometer überwinden. Olga macht mehrere Vorschläge: Taxi kostet etwa 10.000 Rubel (135 Euro).

„Allerdings ist da auch die Frage der Bequemlichkeit“, schreibt sie. „Die Straßen in Russland sind nicht die besten. Und eine Autobahn gibt es nicht. Also wäre mit einer Fahrtzeit von sechs Stunden auf jeden Fall zu rechnen, eventuell noch Pausen. Der einzige Vorteil: Man könnte sich auf dem Weg noch etwas anschauen. Es gibt auch die Möglichkeit mit dem Zug zu fahren. Da gibt es Schlafplätze, was recht bequem ist. Fahrtzeit 7-9 Stunden. Kosten etwa 20-50 Euro pro Person (je nach Zug und Platz).“

Toll von der Olga, dass sie sich so viele Gedanken macht. Wir haken dann direkt nochmal nach und erwähnen, dass wir es alternativ vielleicht auch mit blablacar.de versuchen. Über diese Buchungsplattform bieten Privatpersonen Fahrten an. Falls was dabei wäre, wäre das eine Option. Wir fänden es interessant, mit einem fremden Russen mal mitzufahren. Ziel: Wir wollen zwischen 15 und 18 Uhr für eine Übernachtung in Saratow eintreffen und einen Kaffee trinken. Oder sowas. Und am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe weiter nach Samara. Wie? Mit Blablacar oder mit einem der Sonderzüge, die die Fans zu den Spielorten bringen (https://tickets.transport2018.com/free-train/schedule). „Dürfte aber leider schon ausverkauft sein“, meint Olga. Na ja. Wir werden sehen.

Was mir Kummer macht: Mein Handy gibt komische Töne von sich, seit es mir die Treppe runtergefallen ist, weil ich auf einer Strecke von nicht einmal vier Metern zu viel auf einmal tragen wollte, weil meine Frau mir mehrere Aufträge gleichzeitig gegeben hat und ich so schnell wie möglich damit fertig werden wollte, weil ich mich noch um Russland kümmern wollte. Au Mann. Sie versucht’s mit allen Mitteln. Ich muss jederzeit mit einem weiteren heimtückischen Sabotageakt rechnen. Sie weiß genau, wie sie mich zur Strecke bringen kann. Muss in den letzten fünf Tagen, wo ich noch daheim bin, höllisch aufpassen. Hoffentlich hält das Handy, bis wir wieder zurück aus Russland sind.

Mit der Hut-Reparatur, das wird nix mehr (siehe Tag 153 „Trotz Hutdiskriminierung: Der Titelverteidigung ein Stück näher gekommen“ und Tag 155 „Der Papst und der Bierkonsum: Drohende Gefahren“). Müsste extra nach Kaiserslautern, aber das ist mir zu stressig. Werde eben mit einem ramponierten, aber hoffentlich Glück bringenden Guinness-Zauberhut aufbrechen müssen.

Meine – Gott sei Dank – fürsorgliche Mutter bekam mit, dass wir durch Russland mit Fremden in Autos reisen wollen. Sie will mir noch einen gesegneten Palmzweig mitgeben. „Das kann nichts schaden“, denke ich mir. Der hat schon in Brasilien gut auf uns aufgepasst, als Michel kurzzeitig am Steuer saß, aber schon nach ein paar Kilometern durch Norberto abgelöst worden war. „Schlimmer können die in Russland auch nicht unterwegs sein“, versuche ich die ungewissen Gefahren herunterzuspielen.

Dann meldet sich Alex. Aha! Dachte schon, das mit der Unterbringung bei seinen Freunden in Moskau wird nix mehr. Jetzt meldet er sich und zieht das Ganze glatt. So meine Vorstellung. Kommt aber anders. Ganz anders. Kann nicht glauben, was er schreibt:

Buchung hin oder her. Sind jetzt fünf Tage vor Moskau (immerhin aber besser als fünf Kilometer vor Stalingrad) – und noch immer kein Bett. Was soll’s. Unterkünfte werden heutzutage ohnehin überbewertet. Werde eine Nacht drüber schlafen. Aber dann muss ich mir was einfallen lassen.

Habe heute auch den Koffer und das Handgepäck mal getestet. Die Probepackung ergab, dass es durchaus Optimierungsbedarf gibt. Hab‘ ja noch Zeit. Muss noch einige Artikel rauswerfen.

Zur Übersichtlichkeit hier mal unsere Reiseroute in Kurzform:

Meine Frau kriegt das mit der fehlenden Unterkunft in Moskau mit.

„Muss ich mir Sorgen machen, Osvaldo?“, fragt sie sichtlich beunruhigt. Mittlerweile scheint offensichtlich auch sie damit zu rechnen, dass wir das mit Russland tatsächlich durchziehen.

„Nein, es ist bloß wie immer.“

„Ok, dann ist ja gut.“

Meine Frau hat, wenn’s drauf ankommt, eben immer volles Vertrauen in ihren Osvaldo. Hut ab!

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