Tag 186 – Von Devisengefahren, Bikinis und vollen Kühlschränken

Der Löw hat heute die endgültige Kader-Nominierung vorgenommen. Mit Jonas Hector und Kevin Trapp sind auch zwei Saarländer dabei. Die Türken stellen mit Özil und Gündogan zwar auch zwei Spieler ab, aber im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Saarland: 1 Million; Türkei: rund 80 Millionen) ist das Saarland natürlich überproportional vertreten. Wird dem Team bestimmt gut tun.

Überlege, ob ich ein paar Rubel nach Russland mitnehmen soll. Hab‘ so an 20.000 gedacht. Hört sich viel an, extrem viel. Ist aber nicht so. Man muss aktuell durch 72,5 teilen. Pah! Nichts leichter als das. Kommt dann auf etwa 275 Euro. Ich seh’s schon kommen, die Gefahr, dass wir in Russland irgendwelche Falschberechnungen vornehmen, ist durchaus gegeben.

Sehe dann, dass die Banken in Deutschland mehr als 10% an Umtauschgebühren verlangen. Ziemlich viel. Werde daher ganz ohne Rubel nach Moskau fliegen und erst am 16. Juni direkt nach der Ankunft im Moskauer Flughafen wechseln.

Unterdessen hat Norberto das mit den Bikinis mitbekommen. Rief mich extra an.

„Ist deine Frau in der Nähe?“

„Nein, warum?“

„Du hast doch die Deutschland-Bikinis bestellt.“

„Ja. Aber pssst! Nicht so laut. Meine Frau ist nicht so gut drauf zu sprechen.“

„Kannst du mir auch welche bestellen?“

„Klar! Wie viele brauchst du?“

„Etwa ein Dutzend.“

„Scherzkeks.“

Hab‘ mit ihm dann abgesprochen, dass ich für ihn weitere drei Bikinis in Schwarz-Rot-Gold besorge. Heimlich versteht sich. Nicht, dass er ebenso in Bredouille gerät wie ich. „Wenn es nicht anders geht, darf es auch ruhig etwas mehr sein“, höre ich ihn noch rufen, ehe ich den Hörer auflege. Kenne ich sonst nur von der Metzgertheke. Das kann ja was werden.

Apropos Metzgertheke. Was wir auch noch prüfen müssen, sind die russischen Wurstverpackungen. Sind dort auch lächelnde Schweine drauf, wenn man ein Viertel Fleischkäse kauft? Bei den Tüten in den deutschen Märkten könnte man immer meinen, die Tiere seien regelrecht froh, dass sie endlich zu Wurst verarbeitet werden. Manchmal steht sogar drauf: Artgerechte Tierhaltung. Oder wie bei einem anderen Prospekt: „Hofglück“ oder „Tierschutz der Premiumklasse“. Irgendwie grotesk. Ich glaube, es gäbe wesentlich mehr Vegetarier, wenn statt lächelnder Schweine weinende auf den Verpackungen abgebildet wären. Mal sehen, wie das in Russland so ist.

Freitag-Abend hatte ich unglücklicherweise meine Freunde Michel und Lew in der Alten Schmiede getroffen. Gut, … wir hatten uns verabredet, aber das muss ja nicht jeder wissen. Kurz nach Mitternacht bestellten wir noch einige Fan-Artikel übers Internet. Waren grad gut drauf. Vier Uschankas mit schwarz-rot-goldenen Klappohren und einheitliche Trikots mit Wunschnamen.

Der Michel war zu dem Zeitpunkt sogar so gut drauf, dass er sich nicht „Michel“ auf sein T-Shirt drucken ließ, sondern etwas typisch Russisches … einen echten russischen Namen mit hohem Renommee, kurz: Oleg. Der Michel wird also als Oleg auf Tour gehen. Als Ausruf höchsten Erstaunens fällt mir dazu nur ein: Oh leck!

Besprechen dann, wie wir mit möglichen unmoralischen Angeboten umgehen sollen. Haben Angst, dass wir in Russland festen Trinkern in die Hände fallen. Bier können wir ja. Aber Wodka? Davor graut uns. Haben regelrecht Bammel. Wollen gänzlich ohne Wodka durchkommen. Aber wir haben gehört, dass Russen beleidigt sein sollen, absolut beleidigt, wenn man ein Trink-Angebot ausschlägt, dann sehen wir uns in einer ziemlich verzwickten Lage. Müssen wohl vorher alle noch zu unserem Hausarzt (wir haben alle den gleichen), der muss uns dann eine Wodkaallergie oder sowas bestätigen. Die legen wir vor – und raus sind wir. Bestimmt.

Ob die Umsetzung funktioniert? Wir wissen es nicht. Wie auch immer. Jedenfalls stoßen wir auf unseren genialen Plan schon mal an und beschwören (uns gegenseitig mit gespitztem Mund zunickend): „Wir werden uns von allem fernhalten. Von allem!“

Manchmal haben die Russen andere Ansichten als die übrigen Europäer. Wenn man sieht, dass die Lebenserwartung russischer Männer in Moskau unter 60 Jahren ist, dann fällt mir dazu nur die vielsagende russische Weisheit ein:

„50 Werst ist keine Entfernung, minus 50 Grad keine Kälte und 50% kein Alkohol.“

Uiuiui.

Alex meldet sich. Hatte Norbertos russischen Freund vor ein paar Tagen gefragt, ob er vielleicht eine Idee für eine Unterkunft in Moskau hätte.

Die Vroni vom Hostel hatte mir vor fünf Tagen ja meine Buchung mir-nichts-dir-nichts storniert. Die hat jetzt wohl gemerkt, dass sie an den Fußball-Fans aus der ganzen Welt viel mehr Geld verdienen kann. Hat die stornierten Betten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu höheren Preisen wieder neu angeboten. Sauerei sowas. Kann man aber nix machen. Mit russischem Recht habe ich es nicht so. Der gebuchte Schlafsaal war mir ohnehin ein wenig suspekt: Noch keine Bewertung, erst seit Neuestem als Anbieter gelistet, Etagendusche, kein WLAN, kein Frühstück. Und natürlich null Sterne. Vielleicht sogar ein Plumpsklo hinterm Busch. Wer weiß. Vielleicht gehe ich – wenn ich in Moskau weile – trotzdem mal zu der Vroni und spreche vor. Vielleicht lade ich sie auch auf einen Kaffee ein, mal sehen. Und dann schreibe ich die erste Bewertung.

Alex meint, seine Freunde in Moskau würden das machen, das mit der Unterkunft. Er hätte das gestern abgeklärt. Ich könnte dort irgendwo übernachten. Preis müsse er noch absprechen. „Hab‘ ihnen gesagt, sie sollen den Kühlschrank immer schön voll machen“, betont Alex stolz. Hoffentlich verwechselt er nicht „Kühlschrank voll machen“ mit „Osvaldo voll machen“. Erwähne so nebenbei, dass ich eine Wodkaallergie habe. Gerade total akut. Und außerdem: Den Alex kenne ich nicht persönlich. Habe da eher die Vermutung, er hält mich für einen zweiten Norberto. Von wegen Kühlschrank immer schön voll machen und so.

Bin echt erleichtert. Moskau ohne Unterkunft wäre womöglich nicht so doll gewesen. Alex‘ Freunde müssen wegen mir aber noch einiges organisieren: Wer nämlich bei der Einreise keine Hotelunterkunft nachweisen kann, muss innerhalb 24 Stunden bei irgendeiner Behörde mit Reisepass vorstellig werden. Wo das ist, sind die Jungs noch am Recherchieren. Jedenfalls total lieb von den Jungs, dass die sich darum kümmern. Ich freue mich schon, sie kennenzulernen. Und werde mich bestimmt revanchieren.

Denke da an einen schönen Schwenkabend auf dem Roten Platz.

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