Tag 152 – Alle nach Alsweiler oder: Wie du mir, so ich dir

Au Mann. Ich weiß jetzt, wo der Begriff „Selfie“ herkommt. Wollte mich heute endlich mal um die Beantragung der FAN-ID für Russland kümmern, die man braucht, um ohne Visum nach Russland zur WM einreisen zu dürfen.

Muss entweder die Nummer einer Ticket-Bestellung bei der FIFA oder die einer Eintrittskarte angeben.  Dazu noch die gewöhnlichen Angaben wie Adresse, Geburtsdatum, Mail-Adresse, Geburtsort usw., damit die FIFA alles über einen weiß (komisch, nach meiner Frau fragten die gar nicht, obwohl die doch viel gefährlicher ist als ich). Und schließlich ein aktuelles Foto. Und da begannen die Probleme.

Fragte meine Frau, ob sie schnell eins von mir machen könne, ein schönes.

„Wozu?“

„Na, für die FIFA-Fan-ID.“

„Was ist denn das? Hat das was mit Russland zu tun?“

„Ja. Die muss ich unbedingt beantragen, und zwar bald, sonst komm‘ ich nicht nach Moskau.“

„Aha. Und jetzt soll ich dir aus der Patsche helfen. So wie immer.“

„So weit ist es ja noch nicht. Wir sind ja noch im Bereich „Vor“-Patsche. Wenn es richtig ernst wird, bist du ja gar nicht mehr dabei.“

„Nee, hab heute keine Zeit. Tut mir leid.“

Staunen.

„Ist ja nicht viel!“, probiere ich sie umzustimmen, „nur ein Klick. Ach, komm schon.“

Aber da war sie auch schon um die Ecke verschwunden.

Weiß jetzt zumindest, wie der Begriff vom „Selfie“ entstanden ist. Alle, die nicht gerne von anderen fotografiert werden, müssen selbst tätig werden. Seht ihr also irgendwo ein Selfie mit einem Mann drauf, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen sich in verzweifelter Lage befindlichen Ehemann. So viel ist sicher.

Egal. Gehe hoch ins Schlafzimmer, um mir mein Deutschland-Trikot überzustreifen. „Hoffentlich passt es mir noch“, überlege ich, „es war ja schon 2014 recht enganliegend und seither sind wieder vier Jahre vergangen, ohne dass ich optisch dünner geworden wäre.“

Schaue dann bei meinen T-Shirts nach. Nichts. Mmhhh … vielleicht bei meinen Pullovern? Nichts. Werde stutzig. Bei meinen Hosen? Oder bei meinen Hemden? Etwa bei meinen Socken oder der Unterwäsche? Auch nicht. … „Das ist ja komisch“, schießt es mir durch den Kopf, „sollte meine Frau etwa …?“ Könnte sein. Bevor ich ihr aber Vorwürfe mache, die möglicherweise ungerechtfertigt wären, fange ich wieder von vorne an zu suchen. T-Shirts, Pullover, Hosen, Hemden, Socken, Unterwäsche. Nix. Kein Deutschland-Trikot. Jetzt geht’s aber los! Hat sie doch tatsächlich mein Trikot entwendet! Jetzt übertreibt sie es aber mit den Sabotageversuchen. Unglaublich!

Will mich wieder nach unten ins Esszimmer stürzen, um einen Riesen-Aufstand vom Zaun zu brechen,  da fallen mir noch die Schwimmsachen ins Auge. Ganz unten im Schrank, wo sonst niemand drangeht. Das letzte Mal freiwillig Schwimmen war ich, als ich … muss so etwa gewesen sein, als ich 16 war. Tja, mehr als 30 Jahre her. Sollte mein gutes Trikot vielleicht da …? Sehe zumindest unter der orangefarbenen Badehose etwas Weißes rausblitzen. Und tatsächlich! Da ist es, mein Goldstück, mein Ein und Alles. Hat meine Frau nochmal Glück gehabt. Das wären Ausschreitungen geworden! Dagegen wären die in Berlin jedes Jahr zum 1. Mai ein Klacks gewesen.

Da fällt es mir wieder ein. Hatte es nach dem letzten Spiel selbst gut versteckt, weil ich die Befürchtung hatte, meine Frau will es mir „verlustig“ machen, um mir weitere Spielbesuche abspenstig zu machen. Ein Mann ohne Trikot? Geht nicht. Definitiv nicht. Ich ohne mein Trikot … ein halber Mann. Hätte mich selbst entsorgen können. Wäre quasi selbst herrenlos geworden. Und mein Trikot auch.

„Herrenlose“ Hunde gibt es zum Beispiel ja. Oder herrenlose Gegenstände, die keiner mehr will. Herrenlose Trikots sind auf jeden Fall zu vermeiden. Herrenlose Männer auch. Apropos … wieso gibt es das Wort „herrenlos“ nicht gegendert? „Frauenlos“ also. „Frauenlose Hunde“ hört sich so unfein an. Nee, nee, das muss eine ganz andere Bedeutung haben. Vielleicht im Sinne von „seine Frau los werden“? Weiß nicht. Ist aber auch egal. Mein Trikot war jedenfalls wieder da. Hätte mich ansonsten total entmannt gefühlt. Oder entfraut. Wie ihr wollt. „Entjungfert“ aber jedenfalls nicht. Was ist das männliche Gegenstück zu entjungfert? Au Mann, dieses Gender-Gedöns macht mich ganz kirre. Ich lasse es besser.

Ziehe mir dann mein Deutschland-Trikot für die FAN-ID über (will ja authentisch rüberkommen auf dem Foto), stelle mich vor den Spiegel im Bad, übe, wichtig zu gucken, schmiere mir dann etwas Gel in die Haare, lächle so vor mich hin, ziemlich zufrieden. „Sehe heute ja richtig gut aus“, denke ich.

Gut, bis auf die Krähenfüße ums Auge rum, die dicken Augenlider (gestern war Hexennacht, da geh‘ ich immer Bier trinken), ein Paar gequollene Tränensäcke (für die Holländer und Italiener, haha!),  geschwollene Augen insgesamt eben, ein paar Mitessern auf der Nase (man könnte meinen, der Norberto hätte sich da mit eingenistet), trockenen Lippen (Bier gibt’s erst heute Abend wieder), den verzottelten grauen Haaren und dem unregelmäßigen Stoppelbart, nicht zu vergessen einigen Altersflecken auf den Wangen … sehe ich eigentlich auch objektiv betrachtet … gar nicht mal so schlecht aus.

Tänzele dann gut gelaunt wieder nach unten, wo mir auch meine Frau schon wieder begegnet. Mitten in der Wohnung.

„Komm, Osvaldo, ich mache dir dein Foto. Vorher kriege ich ja doch keine Ruhe.“

Sie kennt mich eben ziemlich gut, meine liebe Frau. „Was die einen guten Fang gemacht hat!“, denke ich und beglückwünsche sie innerlich. Ausdrücklich sagen kann ich das nicht, sonst sieht sie plötzlich doch davon ab, das Foto zu machen.

Nach einem Mal „Klick“ ist alles vorbei. Ging schnell. Strahle auf dem Bild wie ein Batscheimer und wie von einem Mitesser zum andern, so freue ich mich! Das Wichtigste aber: Das Deutschland-Trikot ist gut erkennen. „Das lenkt von mir ab, Gott sei Dank“, geht es mir durch den Kopf, bevor ich es wieder fein säuberlich zusammenfalte und im Schrank ganz unten rechts unter den Badesachen verstecke.

Als Gegenleistung kümmere ich mich mal um die Wäsche. Nehme sie aus dem Trockner und beginne, sie zusammenzulegen. Bügeln tue ich jetzt und im Allgemeinen nicht so gerne. Das liegt mir einfach nicht. Um es aber „wie gebügelt“ ausschauen zu lassen, habe ich mir einen Trick überlegt, den meine Frau aber niemals erfahren darf: Ich ziehe die Hosenbeine einfach stark gestremmt, also mit voller Wucht, auseinandergezogen an der Holzkante unseres Küchen-Mittelblocks vorbei. Mehrmals. Auf und ab, ganz fest und mit vollem Krafteinsatz. Wenn das meine Frau mitbekommen würde, ich dürfte bestimmt nie wieder die Wäsche machen.

Bekomme dann mit, wie meine Frau mit Diane, meiner Russisch-Lehrerin, im Nebenzimmer am Telefonieren ist. Verstehe aber nur Wortbrocken. Höre so etwas wie „Mangelversuche“, „Bügelallergie“, „denkt, ich weiß es nicht“ und immer wieder Kichern dazwischen.

Boaaah! Was soll das denn jetzt? Gehe dann ins Nebenzimmer. Mit in die Seiten gestützten, angewinkelten Armen, die schon etwas gebügelt aussehende Hose in den Händen. Meine Frau schaut hoch und meint, noch ehe ich auch nur ein Wort von mir geben kann: „Diane empfiehlt übrigens, du solltest dich abschließend auf die Wäsche noch kräftig draufsetzen, dann wär’s eine Heißmangel.“ Pfffffffft …!

Lasse sofort alles stehen und liegen und widme mich wieder Dingen, die ich besser kann.

Probiere, über die offizielle Seite www.fan-id.ru unter Zuhilfenahme der FIFA-Ticket-Bestellnummer die FAN-ID zu beantragen. Klappt aber nicht. Das System hat Schwierigkeiten. Ob ich an irgendeiner Stelle vergessen habe, denen was zuzustecken? Egal. Kann das Nicht-Funktionieren zu diesem Zeitpunkt einfach nur hilflos zur Kenntnis nehmen, obwohl die Zeit bis zur WM immer knapper wird. Schöner Mist.

Was dagegen richtig gut läuft: Der Globus meldet sich mit einer neuen Mail. Mir wird mitgeteilt, dass die Assistentin des Firmenchefs meine Mitteilung mittlerweile nach Russland zur Bearbeitung geschickt hat. Da bin ich weiter sehr gespannt, was dabei rauskommt.

Die BILD-Zeitung berichtet gerade (https://www.bild.de/news/ausland/iran/frauen-fussball-stadion-bart-55564816.bild.html), dass im Iran Frauen nur als Mann verkleidet und mit angeklebtem Bart ins Stadion gekommen seien, um ihre Lieblingsmannschaft anzufeuern. Erinnert mich irgendwie an den Film „Das Leben des Brian“, wo Frauen untersagt worden ist, aktiv an einer Steinigung teilzunehmen. Auch sie kamen nur mit angeklebten Bärten und mit verstellter tiefer Stimme durch die Kontrollen. Wären sie „erwischt“ worden, hätten Peitschenhiebe oder Knast gedroht. Schlimm sowas für heutige Zeiten. In manchen Ländern der Welt lebt man – leider – noch heute wie im Mittelalter.

Werde bei der WM in Russland aufpassen, ganz besonders, ob ich Frauen aus dem Iran erkenne. Darf sie nicht mit den Mexikanerinnen verwechseln, die haben ja ähnlich aussehende Landesflaggen. Würde die Iranerinnen jedenfalls einzeln nacheinander und liebenswürdig begrüßen und mal ordentlich in den Arm nehmen, fest knuddeln und „Bussi hie und Bussi da“ machen. Also so richtig abbutzeln. Die dürfen das im Iran ja nicht, sich öffentlich küssen. Nicht mal Männer dürfen Frauen küssen. Umgekehrt schon gar nicht. Auch verboten. Ob es deswegen so ist, dass es in islamisch geprägten Ländern vor allem Männer sind, die sich gegenseitig zur Begrüßung und zur Verabschiedung küssen?

Der Norberto hat mir sogar schon mal was ganz Furchtbares angedroht, als ich mich weigerte, ihn auf einer Party zur Begrüßung rechts und links auf die Wangen zu küssen, nämlich: Wenn wir in Russland sind, will er mir stattdessen mal einen richtigen Zungenkuss geben! Oh. Mein. Gott. Allein die Vorstellungskraft reicht, um augenblicklich aus dem Fenster zu springen, sollte er auch nur ansatzweise tatsächlich auf die Idee kommen.

Überlege mir eine Taktik, wie ich ihn bei Laune halte. „Wenn er satt ist, ist er eigentlich immer gut zu gebrauchen“, überlege ich. Vielleicht sollte ich ihm anbieten, für alle seine Essenswünsche freiwillig aufzukommen? Würde mich zwar vollkommen ruinieren – meine Frau mit – und es wäre ihr gegenüber auch schwer zu vermitteln, dieses Warum. Aber mal sehen …

Derweil ist unsere Älteste aufgestanden. Ziemlich derangiert. Wird doch nicht anfangen wie der Papa!? Immerhin hatte sie gestern Abend Jahrgangstreffen zu Hexennacht. Das ist im Nachbarort Alsweiler immer etwas ganz Besonderes, tja, und jetzt kann ich es ja auch erzählen: Es ist dort seit Menschen Gedenken Tradition, dass der aktuelle Kirmesjahrgang die gesamte Bevölkerung zum Maibaumsetzen einlädt. Alles kostenlos. Für die ganze Bevölkerung. Muss man sich einmal vorstellen. Ich wollte ja auch hin, bekam aber von meiner Tochter ein Verbot ausgesprochen. Wäre dieses Verbot von meiner Frau ausgesprochen worden, hätte ich mich animiert gefühlt, unter allen Umständen sofort hinzugehen. So aber reichte ein „Oooch, Papa …“ meiner Ältesten, um mich davon abzuhalten. Hätte bestimmt gut helfen können. Hätte denen den ganzen Druck nehmen können, alles selbst verzehren zu müssen. Immerhin hatten die 360 Liter Freibier. Essen gab’s aber keins. Norberto hätte also auf jeden Fall zu Hause bleiben können.

Na ja, wie auch immer. Für Hexennacht 2019 jedenfalls gilt hiermit die Aufforderung an alle Leser dieses Blogs, die sich als Trinkhelfer berufen fühlen:

Alle nach Alsweiler!

Bayern ist eben unglücklich im Champions-League-Halbfinale ausgeschieden. Der Sven Ulreich spielt trotz seines Patzers eine hervorragende Saison. Ob der Neuer noch rechtzeitig für die WM wieder fit wird? Ich glaube es nicht. Hat so gut wie nicht gespielt. Wenn, dann nimmt ihn der Löw höchstens mit als dritten Torwart, hinter Ter Stegen und … Sven Ulreich vielleicht? Ich sehe es schon kommen, der Ter Stegen wird noch während der Vorrunde nach ein paar Schnitzern durch den Ulreich ersetzt, der ab dann eine tadellose WM spielt. Und wir holen erneut den Titel. So kann es kommen.

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