Tag 151 – Ausgebremst in Sankt Petersbrücken oder: Feiertage bis zum Abwinken

Die ersten Fanartikel sind eingetroffen. Mein Papa brachte diverse Deutschland-Schals, Tröten und Armbänder vorbei, die er zufällig bei einem Discounter gefunden hatte. Auch die Jungs sind versorgt. Wir müssen aber versuchen, ihn in seinem Tatendrang zu stoppen. Wenn er in dem Tempo weiter bis zum Beginn der WM für uns einkauft, braucht jeder auf der Hinreise mehrere zusätzliche Koffer.

Heute ist in Deutschland Brückentag. Ob es den auch in Russland gibt? Frage mal bei unserem Freund in Tarussa, dem Guntar, an. … Seine Antwort kommt prompt – und sie ist höchst erstaunlich!

„Hallo Osvaldo,

in Russland sind die Brückentage staatlich geregelt. Wenn wie jetzt der Montag ein Brückentag ist, dann wird aus dem Samstag ein Arbeitstag und der Montag eben frei.

Außerdem gibt es die tolle Einrichtung, dass Feiertage nicht verloren gehen dürfen.

Das bedeutet, wenn der 1. Mai auf einen Sonntag oder Samstag fallen würde, dann wird entweder der Freitag oder der Montag ein Feiertag.

Darum haben wir am Jahresanfang fast immer zehn Tage frei. Der 1.1. bis zum 5.1. sind Neujahrsfeiertage. Der 6.1. wäre Arbeitstag und der 7.1. ist wieder Feiertag, weil orthodoxe Weihnachten.

Da in den sechs Feiertagen mindestens ein Samstag oder Sonntag ist, ist also der 6. ein nachgeholter Feiertag, und wenn alles günstig liegt, hat man zehn Tage frei.“

Oha. Jeder Feiertag, der auf ein Wochenende fällt, wird nachgeholt? Eine sehr sympathische Regelung. Und da regen wir uns in Deutschland auf, wenn über einen zusätzlichen Feiertag (Reformationstag) überhaupt nur diskutiert wird?

Guntar ergänzt:

„Das gilt aber nur für Behörden etc.“

Aha! Da haben wir’s! Das ist der Haken an der Sache. Dabei schlafen Beamte vermeintlich eh schon genug. Kurios ohnehin, dass ausgerechnet am „Tag der Arbeit“ immer frei ist. Selbst für Nicht-Beamte.

Ich glaube, mit den Feiertagen, da kann man was machen. Da ist Innovationsspielraum vorhanden, wenn ich das richtig einschätze. Also … wenn ich, der Osvaldo, mal Ministerpräsident im Saarland werden sollte (z.B. durch eine falsch formulierte Abstimmungsfrage im Landtag mit versehentlich durchgeführten Hammelsprüngen), dann würde es vermutlich so geregelt werden:

„Das Saarland startet umgehend eine Bundesratsinitiative zur künftigen Feiertagsregelung in Deutschland mit folgenden Zielen:

An allen Brückentagen werden alle Beschäftigten automatisch freigestellt, ohne dass ein Urlaubstag in Anspruch genommen werden muss.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird unter einer Einführung einer sogenannten Fiktion so modernisiert, dass auf ein Wochenende fallende gesetzliche und kirchliche Feiertage aller staatlich anerkannten und auch nicht-anerkannten Konfessionen als bewegliche Feiertage zu behandeln sind.

Diese beweglichen Feiertage sind von den Beschäftigten ohne Vorankündigung und ohne jegliche Anzeigeverpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber frei verfügbar während des betreffenden Kalenderjahres in Anspruch zu nehmen; Spontanreaktionen auf Grund plötzlich auftretender morgendlicher Unpässlichkeit – egal welcher Art  – sind vom Dienstherrn ebenso widerspruchslos zu dulden wie irrtümlich doppelt oder dreifach in Anspruch genommene Urlaubstage dieser Art.

Die Bundesrepublik Deutschland wird gegenüber der Europäischen Union – und natürlich auch gegenüber der gesamten Russischen Föderation – für eine Rechtsvereinheitlichung dergestalt eintreten, dass Feiertage eines EU-Landes auch für alle Beschäftigten eines anderen EU-Landes Geltung haben und als Urlaubstage beansprucht werden können.

Das Saarland – anerkanntermaßen als europäischstes aller Bundesländer – erkennt im Vorgriff auf die vermutlich im Jahr 2347 in Kraft tretende EU-Richtlinie die bislang 85 vorhandenen verschiedenen Feiertage der EU-Länder aus grundsätzlichen Subsidiaritätsgesichtspunkten bereits jetzt vorbehaltlos an und fordert seine Einwohner auf, diese Feiertage möglichst gebündelt und außerhalb der Ferienzeit in Anspruch zu nehmen.

Im Idealfall schließen sich diese Urlaubstage den Osterferien an, so dass bis zu den Sommerferien eine urlaubsfreie Zeit vermieden werden kann. Man spricht in diesem Fall nicht von Brückentagen, sondern von Brückenmonaten; dieser Begriff ist bundesgesetzlich im sogenannten „Brückenmonatsgesetz“ zu normieren.

Mit der Umsetzung werden die Jungs von Osvaldo betraut. Sie sind so lange an ihre Ämter gebunden, bis die vorgenannten Vorgaben vollumfänglich umgesetzt worden sind.

Eventuell zwischenzeitlich eintretende politische Wechsel sind unbeachtlich. Sollte dieser Beschluss von einem politischen Konkurrenten gleichwohl in irgendeiner Form gerügt oder sonstwie in Zweifel gezogen werden, ist Osvaldos Truppe zu einer Verfassungsänderung befugt. Hierzu genügt ein kurzer Hinweis im elektronischen Bundesanzeiger mit einer eingescannten Unterschrift von Osvaldo (sogenannte „Handstreichverfügung“); die sonst übliche und notwendige Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung entfällt für diesen außergewöhnlichen Fall.

Als Leiter der neuen Stabsstelle für Feiertagsangelegenheiten wird unser Capitano, der Michel, bestimmt, der künftig auch berechtigt und verpflichtet ist, in Ausführung seiner Tätigkeit den Titel „Feiertagsbeauftragter“ zu tragen. In Ausübung seiner Funktion hat er als äußeres Erkennungszeichen seine Wangen stets in den Deutschlandfarben Schwarz-Rot-Gold zu kennzeichnen. Das Personal für diese Stabsstelle ist nach Gutdünken zu akquirieren. Anbieten würden sich Fußballfans aus aller Herren (und Frauen) Länder.

Um den Initiatoren für alle Zeiten und für alle künftigen Generationen zum Gedenken auf ewig zu danken, ist als Reliquie ein weithin sichtbares rotes Licht auf dem Brandenburger Tor zu entzünden. Das Gleiche gilt – sozusagen als Pendant für die Länder außerhalb der EU – für den Roten Platz in Moskau. Der soll seinen Namen ja nicht zu Unrecht tragen.

Die Besetzung der Stelle der „Allgemeinen Rotlichtbeauftragten“ ist noch vakant. Bewerbungen können der Truppe in Russland persönlich schmackhaft gemacht werden.“

So könnte es kommen, so stelle ich mir das in etwa vor.

Von den insgesamt 85 unterschiedlichen Feiertagen in den Ländern der Europäischen Union verdienen übrigens folgende eine besondere Erwähnung:

  • Februar: Schiffbruch des Heiligen Paulus (Malta)
  • Februar: Aschermontag (Griechenland)
  • April: Königinnentag (Niederlande); Anmerkung (nicht ganz ohne Sachzusammenhang): anderswo feiert man an diesem Tag den Tag der Hexen
  • Mai: Muttertag (Lettland)
  • Juni: Erster Montag im Juni (Irland); Anmerkung: Hier scheint die Willkür Einzug gehalten zu haben.
  • bzw. 24. Juni: Midsommer (Finnland, Lettland, Schweden, Estland)
  • Juli: Tag des Staates (Litauen); Anmerkung: Coole Regelung, dass am Tag des Staates jeder frei hat.
  • September: Tag des Nationalheiligen St. Wenzel (Tschechien); Anmerkung: Jeder, der schon einmal in Prag auf dem Wenzelsplatz war und sich das Treiben dort angesehen hat, weiß, woher der Name wirklich kommt)
  • Oktober: Arbeitsfreier Tag (Irland); Anmerkung: Hier wird ein Feiertag geschaffen so nach dem Motto „Wenn Du nicht mehr weiter weißt, bildest Du einen Arbeitskreis“

Boah. Bin jetzt total abgeschweift, nur weil der Guntar mir das mit den Feiertagen in Russland erklärte. Er weist sogar noch darauf hin, dass – ausgerechnet im ehemals kommunistisch dominierten Russland – viele Geschäfte 24 Stunden an 7 Tagen der Woche, selbst an höchsten Feiertagen, geöffnet hätten. Haben die in Russland etwa keine Gewerkschaften? Kapitalistisch gesehen hat Russland nun Deutschland jedenfalls ziemlich überholt.

Man darf auch gespannt sein, wie es in Deutschland in bestimmten Bereichen weitergeht. Die Meinungsfreiheit ist ja schon mal eingeschränkt, durch das „Netzwerkdurchsuchungsgesetz“ mit teils  willkürlich vorgenommenen Zensuren. Ob es alle gut finden, dieses schrittweise Zurückfallen in die „DDR 2.0“?

Und dann schreibt Guntar einen Satz, der mich abschließend ziemlich erleichtert:

„Aber gefeiert wird sowieso.

Gott sei Dank!

Wobei … das mit dem Feiern könnte uns in Russland durchaus zum Verhängnis werden. Und das sogar fast wortwörtlich. So ist es zum Beispiel in Sankt Petersburg so, dass zum allgemeinen Stadtbild auch Touristen gehören würden, die nachts nicht mehr nach Hause ins Hotel kommen. Würden übelst versacken.

Nicht, weil sie zu viel Wodka geschnubbelt haben oder Bier oder sonst was. Nein, das hat einen ganz anderen Grund, für den die meist entgeistert dreinschauenden Touristen im Fall der Fälle nichts können. Es hat schlichtweg mit den vielen, vielen Brücken in Sankt Petersburg zu tun, die des nachts kurzerhand hochgeklappt werden, damit sich die großen Schiffe einen Weg ins Landesinnere bahnen können. Zudem macht die Metro Pause zwischen etwa Mitternacht und 6 Uhr morgens. Oha. Da müssen wir jetzt aber wirklich richtig gut planen. Nicht, dass wir auf dem Heimweg irgendwann verdutzt vor senkrecht stehenden Brücken zum Erliegen kommen. Taxi kommt wegen den dadurch für mehrere Stunden gesperrten Straßen ja auch nicht in Frage.

In Anlehnung an die zahlreichen Brücken über die Saar wäre es durchaus überlegenswert, Sankt Petersburg umzubenennen in Sankt Petersbrücken.

Sogar extra Öffnungszeiten für die Brücken haben die. Die können sogar nachgelesen werden. Aber bei den komischen Buchstaben, die die in Russland haben, sind die Brücken schneller wieder runtergeklappt als dass wir die Öffnungszeiten übersetzt bekommen. Egal, Hauptsache, die Schänken sind durchgehend geöffnet.

Da ist das Nach-Hause-Kommen Nebensache.

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