Tag 146 – Von Schlecken und einem in rosa gekleideten Fußballkellner

Boah, was ist mir schummrig. Meine ja gerade, ich wäre schon in Russland. Dabei war bloß der Michel gestern Abend da. Nachdem er sich bei einem unseren letzten Treffen auf der Heimfahrt mit dem Fahrrad „überschlagen hatte wie eine Dreckschaufel“ (siehe Tag 12), ließ er sich gestern vorsichtshalber mit dem Auto bringen.

Tranken dann das erste russische Bier unseres Lebens! An den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, nur noch an den Geschmack: Wie süffiges Pils, aber versetzt mit einem Spritzer Likör und einem rauen Schwarzbier-Abgang. War gar nicht schlecht. Würde mal sagen: Pils als Kopf-Note, Likör als Herz-Note und Schwarzbier als Basis-Note.

Parfum-Experten würden jetzt sprechen von der pyramidenartigen Zusammensetzung des Arrangements, und vielleicht wie folgt formulieren:

„Die Kopf-Note wird von der Zunge immer zuerst wahrgenommen und verfliegt auch am schnellsten. Kippt man sich den Stoff frisch rein, nehmen Sie die Kopfnote wahr, die von intensiven, aber auch flüchtigen Essenzen bestimmt ist. Hier werden in der Regel Hopfennuancen oder sanfte Malzaromen verarbeitet.

Danach wird die langanhaltend Herz-Note wahrnehmbar, die die längste Verbindung mit Ihrem Schlund eingeht. Diese entfaltet sich circa zehn Sekunden nach dem Verflüchtigen der Kopfnote und bildet das Herz des Bierarrangements, das zu 48 bis 78 Prozent aus der Herznote besteht. Ihre Geschmacksessenzen sind von mittlerer Haltbarkeit und bilden fein-harmonische Abstufungen zwischen der Kopfnote und der Basisnote.

Die Basis-Note geht mit ihren Schwarzbiermolekülen eine ganz besondere Verbindung mit den Geschmackseigenschaften Ihres Gaumens ein. Diese entwickeln bei jedem Menschen einen anderen Anklang. Aufgrund dessen ist die Basisnote der individuellste Teil eines Bieres und durch das langanhaltende Dekorum über viele Stunden wahrnehmbar. Die Basisnote stabilisiert die gesamte Komposition und setzt sich häufig aus Holz- und Moschusaromen zusammen.“

Gut, bei dem Letzten bin ich mir nicht so sicher. Aber ansonsten war das so. Ganz sicher.

Viel beschäftigt haben uns die Bierdeckel. Nicht, dass die mit fortschreitender Zeit immer mehr geworden wären – das ist ja normal –, nein, wir wussten schlicht nicht, wie rum man die Deckel halten sollte, um lesen zu können, was drauf steht. Hieß das Bier da vor uns jetzt „9“? Oder doch „6“? Buchstaben standen ja auch dabei. Aber auch bei denen wussten wir nicht, wie rum die richtig sind. Sahen alle komisch aus. Nicht mit der Zeit, sondern schon von Anfang an. Egal. Am Schluss hatten wir jedenfalls das Gefühl, sogar mit dem Bierdeckel gesprochen zu haben. Auf Russisch natürlich.

Erst heute Morgen sah ich dann die Bescherung: Es handelte sich um russisches Starkbier. Schlappe 8 Prozent. Hätten das Bier ja auch „8“ statt „6“ oder „9“ nennen können, dann hätten wir nicht so lange rumüberlegen müssen. Oder besser gesagt, rumtrinken müssen. Aber immer noch besser als Rum trinken. Au Mann, mir schwirrt der Kopf. Wie war das nochmal mit der Kopfnote? Na, das kann ja was werden in Russland.

Muss mal den Michel anschreiben, wie es ihm geht. Hat mir gesagt, dass er ganz früh raus muss. Ob er das geschafft hat? Bestimmt, er ist ja unser Capitano.

Übrigens … um beim vorgenommenen Parfumvergleich zu bleiben … Die einzelnen Biervariationen unterscheiden sich durch ihre unterschiedlichen Konzentrationen der enthaltenen Essenzen und der Brauart. Bei dem verkonsumierten russischen Starkbier handelte es sich demnach mit Sicherheit nicht um „Eau de Bier“. „Eau de Toilette“ wäre auch unzutreffend. Und mit Bier-de-Cologne, also mit Kölsch, hatte das Ganze schon mal gar nix zu tun. Nein, es war Bier in seiner reinsten Form. Vergleichbar nur mit echtem Parfum. Wir sind jedenfalls voll auf den Geschmack gekommen. Und erleichtert, dass wir Bierverkoster sind und keine Parfumeure.

Ein Kumpel aus England, der seit ein paar Jahren hier in der Nähe wohnt, hat das mit „Millwall“ mitgekriegt. Hat sich prompt beschwert. „London Eastenders“, teilt er mir in einer SMS mit, „früher schlimme Hooligans. Stadion … The Den. Schreib‘ lieber über die Wolves!“

Aha. Na gut. The Wolves, oder genauer „Wolverhampton Wanderers“, haben – für alle Beteiligten völlig überraschend – einen Wolf im Vereinswappen. Haben vor einer Woche nach vielen Jahren in der Zweitklassigkeit endlich wieder den Aufstieg in die englische Premier League klargemacht. Herzlichen Glückwunsch! Vielleicht nimmt uns der Clive in der nächsten Saison mal mit dorthin.

Tsetse … dass es immer um Tiere geht, die auf Vereinswappen zu finden sind. Und dann immer die Gleichen. Löwe, Wolf, Bär. Letzterer vor allem wohl in Russland und Kanada. Aber auch Pferde, Adler, Krokodile, Delfine, Tiger, Hühner, Hunde, Helme, Schiffe und sogar Geißböcke findet man. Wespen, Kängurus, Kamele, Eisbären – alles dabei. Nur Schnecken nicht.

Das wird den armen Tieren aber nicht gerecht. Ein größeres Understatement könntest du gar nicht machen: Eine Nacktschnecke im Vereinswappen. Vielleicht nur noch zu toppen von einem an einem Ast nach unten baumelnden Faultier. In dem Verein würden wir uns mit unsrer Truppe bestimmt sau-wohl fühlen, der Michel, der Norberto, der Lew und ich.

Zu Nacktschnecken sagen wir im Saarland übrigens Schlecken. Dann weiß jeder sofort, was gemeint ist und muss nicht noch großartig erklärt werden, dass die kein Haus mit sich rumtragen.

Manche Vereine haben aber auch schlicht einen Ball im Vereinslogo. Damit niemand auf dumme Gedanken kommt. Ziemlich kuriose Dinge findet man auch: Einen Nikolaus (Finnland), einen langhaarigen Kopfballspieler (FC Bournemouth, England), eine fliegende Hexe (Beneventio Calcio, Italien), einen Wichtelmann (Luxemburg). Und einen rosa bekleideter Kellner mit einem Fußball auf dem Tablett (FC Show, Norwegen). Oh. Mein. Gott.

Das russische Tarussa, wo wir im Juni einen Abstecher hin machen hinwollen, hat übrigens eine blaue Schlange im Stadtwappen. Mmhhh … scheint nicht ganz ungefährlich dort in der Ecke zu sein. Wenn die schon mal sowas aufs Wappen aufmalen … scheint jedenfalls wichtig zu sein.

Da fällt mir ein: Die Schlange könnte aber auch die Oka sein, ein Nebenfluss der Wolga. Egal. Werden wir vor Ort klären müssen.

Ob wir in Russland gut durchkommen werden? Wir hoffen es. „Am Ende wird alles gut – und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende“, habe ich mal gelesen. Warum müssen die immer vom Ende her denken? Kann es nicht einfach mal von Anfang an Weltklasse sein? Einfach loslegen. Die Route starten. Neue Pfade entdecken. Also hopp! Und gut ist. Wir werden das in Russland so machen. Einfach Hopp! Einen Satz. Und los geht’s. Bin gespannt, wie weit wir kommen.

Hoffentlich springen uns keine Frauen übern Weg. Egal. Die Vorfreude wächst jedenfalls.

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