Tag 145 – „Fuck you – I’m Millwall“ versus „’Love you – I’m Osvaldo“

„Will schreiben von der Schönheit, und finde einfach keine Worte für das Leuchten deiner Augen, wenn du lachst.“ So – oder zumindest so ähnlich, ich weiß es eben nicht mehr genau – klingt ein Gedicht von Isabella Echter. Mir gefällt es jedenfalls sehr. Und ich brauche es heute für verschiedene Anlässe:

Gestern hatte ich großspurig angekündigt, mich heute den Russland-Deutschen widmen zu wollen. Hab es aber den ganzen Tag nicht hingekriegt, irgendetwas dazu zu recherchieren. Na, das kann ja noch was werden, so nach dem Motto …

„ … wollte schreiben von den Russland-Deutschen, aber finde keine Worte für den prüfenden Blick meines Redakteurs, wenn der Blog nicht kommt.“ Oder so ähnlich.

Muss jetzt doch mal eine Lanze für mich selbst brechen. Jeden Abend nehme ich mir vor, am nächsten Tag ein bestimmtes Thema im Blog zu behandeln – und dann kommt es mit schöner Regelmäßigkeit total anders. Wenn das in Russland genauso läuft – wir also zum Beispiel nach Sankt Petersburg wollen und stattdessen in Nischni Nowgorod landen –, dann kann das durchaus heiter werden.

Aber wir haben ja den Michel dabei. Unseren Capitano, zum Glück. Er ist der Zuverlässigste von uns. Fällt er mal aus … oh weh, oh weh, sag ich da nur.

Nun gut. Es ist 22.58 Uhr Ortszeit, und gerade hat der FC Liverpool den AS Rom mit 5:2 im Champions-League-Halbfinale abgefertigt. Unglaublich, was der Kloppo in Liverpool liefert. Hat sogar ein neues Gebiss erhalten, damit er noch schöner jubeln kann. Steht ihm.

Der AS Rom hat ja vor zwei Wochen ein Spiel gegen den FC Barcelona sensationell rumgebogen, aus einem 1:4 ein 3:0 gemacht, und sind damit weitergekommen. Aber ich glaube, dieses Mal schaffen die das nicht mehr, das Finale ist ganz weit weg, kurz: „Das ist rom!“ … Oder Rom … Oder rum … Oder Rum … Jedenfalls ein tolles Wort.

Zwei Tore hat der Mohamed Salah geschossen. Der ist der Spieler der Saison 2017/2018 in England. Und doch tatsächlich Ägypter. Manche Spieler kosten 222 Mio. Euro – und manche sind eben so viel wert. Ägypten ist bei der WM in Russland auch dabei. Bin gespannt, was die abliefern werden. Spielen gegen Russland, Saudi-Arabien und Uruguay.

Mmhhh … für Russland eine vermeintlich leichte Gruppe. Aber ich glaube, die hat es in sich. Die Araber werden zwar wohl nix reißen, aber den Ägyptern traue ich durchaus eine Überraschung zu. Sollten nicht unterschätzt werden. Die alten Pyramidenbauer haben immerhin den Gegner unseres deutschen Teams auf dem Weg zum Titelgewinn 2014, Ghana, deutlich hinter sich lassen können. Und unsere Uru-Freunde sind eh immer Geheimfavorit.

Mmhhh …. Ägypten … wenn man das Wort bei Scrabble legt, kriegt man immerhin mindestens 25 Punkte. Eins der wenigen Fußballworte mit einem „y“. Nur so als Tipp.

Liverpool … dorthin würde ich ja auch gerne mal ein Spiel angucken gehen. Das liegt nicht irgendwo – wie die meisten anderen englischen Clubs – in irgendeinem Arbeiterviertel in London, nein. Liverpool ist eine eigene Stadt. Und erst das Stadion! „Da kannst du den Rasen riechen“, meint Michel, der heute Abend kurzfristig zu Besuch kam.

Ist eben nicht so wie in den meisten Arenen in Deutschland, wo wie im Mittelalter ein Graben zwischen Pöbel und Elite gezogen wird. Pöbel die Fans, Elite die Spieler. Hab ich kürzlich erst erlebt. Sag jetzt aber nicht, in welchem Stadion. Ist jedenfalls erst knapp eine Woche her.

Mmhhh … der Michel, der ist ein echter Fußballfan, der fährt sogar ab und zu extra nach England, um sich live Spiele anzusehen. Hat schon einiges miterlebt. „Das Beste war Queen Park Rangers“, meint er, es hätte nur immerzu von den Rängen geklungen: „Rangers! … Rangers! … Rangers!“

Ob das mit der Zeit nicht langweilig wird? Hätten die nicht zwischendurch mal  „Eintracht! … Eintracht!“ rufen können? „Eintracht“ einmal weniger rufen als „Rangers!“, damit der Schwerpunkt der Sympathiebekundungen noch erkennbar gewesen sei? Wie auch immer, Michel war dabei.

Michel war auch dabei, als er im Englischen Biergarten in München mit ein paar englischen Fußballfans in Kontakt kam und sie ihm anerkennend auf die Schulter klopften, weil er ein paar Mal in Millwall bei einem Spiel dabei war.

Millwall? Hä? Nun … Das muss ich erklären. Der FC Millwall spielt seit dieser Saison mehr oder weniger erfolgreich in der zweithöchsten englischen Liga. Ist ein Club aus … London natürlich. Aber darum geht es nicht. Millwall ist nicht zu verwechseln mit Millhaus, einer Figur aus der Zeichentrickserie „Die Simpsons“.

Dort wird er, der Millhaus, beschrieben als „Barts bester Freund. … Milhouse gehört nicht gerade zu den beliebtesten Kindern in der Schule und so genießt er in Barts Gegenwart wenigstens bei einigen Mitschülern ein wenig Anerkennung. … Milhouse ist von sehr schmächtiger Statur, weinerlich und hat eine starke Sehschwäche. Homer kann ihn nicht leiden und vergisst immer wieder seinen Namen oder nennt ihn Milton.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Figuren_aus_Die_Simpsons#Milhouse_van_Houten)

Das kann Millwall nicht passieren! Warum wurde dem Michel anerkennend auf die Schulter geklopft, als die anderen mitbekamen, dass er Millwall-Fan ist? Nun, die englischen Fans erklärten es ihm. Die Antwort lautet: „Roy Larner“. Dieser bullige Typ sorgte vor etwa einem Jahr „zumindest für einen kurzzeitigen Imagewechsel der sonst so gefürchteten Fans. Nachdem wahllos auf mehrere Passanten eingestochen wurde, stellte Larner sich Berichten zufolge unbewaffnet den drei mit Stichwaffen ausgerüsteten Terroristen entgegen. Ihre fanatischen Rufe (Anmerkung: Es handelte sich nicht um Fußballfans) beantwortete er mit:

„Fuck you, I’m Millwall!“

Er trug diverse Stichverletzungen davon und landete im Krankenhaus, konnte aber Schlimmeres verhindern. Er wird seither auf der Insel als Held gefeiert. Und sein Team ebenfalls. Damit nicht genug: Ihm zu Ehren kreierte ein schwedisches Brauhaus eigens ein neues Bier mit dem Namen Fuck you I’m Millwall (https://www.express.de/sport/fussball/millwall-fan-londoner-terror-held-kriegt-sein-eigenes-bier-27823120).

Boah. Einmal ein Bier nach deinem Namen gebraut und dann sterben. Stelle mir das so schön vor … ein Pils namens …

„Osvaldos Truppe“. Da könnte der Jogi mit seinen Jungs glatt einpacken.

Meine Frau wäre bestimmt stolz auf mich. Das hätte was. Da wär ich jeden Abend Stammgast. Also in dem Brauhaus. Die könnten sich zwar nicht allein durch mich sanieren. Aber … wenn der Michel … und der Norberto … und der Lew auch immer dabei wären, dann … vielleicht schon.

Der Michel überlegt unterdessen, ob wir nicht ein T-Shirt machen lassen für die WM: Vorne einen Löwen (das Erkennungssymbol des FC Millwall), hinten drauf der Spruch „Fuck you I’m Millwall“.

Wie das auf Russisch heißt? Weiß nicht. Ist ja auch egal. Im Gegensatz zu den Holländern sind die Engländer bei der WM ja dabei. Die können selbst lesen. Was ist … eigentlich mit den Italienern …?

So, der zweite Punkt, warum ich die schönen Zeilen zu Beginn des heutigen Blogs bringe: Tarussa, 130 Kilometer südlich von Moskau, wo wir einen Tag lang hinwollen, wird beschrieben als liebenswerte Künstlerstadt. Hab schon viel darüber gelesen. Wollen dort für ein paar Stunden ein Boot mieten. Und vor allem: Freunde besuchen. Und weil es der einzige kleinere Ort auf unserer Russland-Route ist, freuen wir uns wie Bolle darauf!

Könnte mir vorstellen, in Tarussa selbst mal ein Gedicht zu schreiben. Ein echtes Poem. A la Goet … nein, lassen wir das … Werde mich aber auf jeden Fall inspirieren lassen.

Falls das mit dem Dichten nicht klappt, … dicht sind wir ja meistens ohnehin nicht … mmhhh … nicht so schlimm. Auch für Maler war Tarussa seit jeher ein beliebter Rückzugsort. Malen können wir zwar auch nicht. Zumindest nicht so gut. Aber wir würden was hinkriegen. In zweihundert Jahren dürften die alle staunen. Schon von Beethoven wurde überliefert, dass er so taub war, dass er ein Leben lang dachte, er malt.

Der eine malt, der andere nuckelt. Jeder eben, was er kann.

Der Michel sagte mir: „Tarussa ist für mich genau das Richtige. Moskau ist mir zu groß, so wie Sao Paulo. In Moskau haben wir nur den Gremlin – aber in Tarussa ist das Leben!“

Pflichte ihm bei. Michel kann unglaublich gut Leute begeistern.

So, und ob ihr es glaubt oder nicht – jetzt kommt der dritte Grund, warum ich heute dieses Gedicht zu Anfang gewählt habe: Meine Frau. Nach wie vor bin ich überrascht, dass sie es mit mir aushält. … es ist nun mal so …

„’Love you – I’m Osvaldo“!

 

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