Tag 141 – Hitzewallungen

Gott lenkt, der Dichter denkt, der Saarländer schwenkt. Getreu diesem Motto hat der gewöhnliche saarländische Mann sein Grilltalent als Urinstinkt quasi schon mit der Muttermilch eingesogen. Dabei spielen Frauen beim Schwenken im Saarland gar keine Rolle. Alles Gene des Mannes, die beim Zeugungsakt da reingelegt worden sind. Auf Details möchte ich an dieser Stelle aber nicht eingehen.

Es ist ja so, dass … Also, außer Fleisch kaufen gehen, das Fleisch ein paar Tage vorher schön würzen und einlegen, ein paar Beilagensalate zusammenstellen und anrichten (Nachtisch kann weggelassen werden), das Fleisch dann auf einem Serviertablett zusammen mit allen anderen notwenigen Grillwerkzeugen nach draußen tragen, anschließend diverse Routinehandlungen wie die Teller und das Besteck auf dem Esstisch anordnen, die vorbereiteten Salate, die geschnittenen Baguettes und die zusammengemixten Grillsoßen präsentieren – ja, außer diesen paar Kleinigkeiten hat die Frau mit Schwenkvorbereitungen im Saarland nix zu tun. Alle Verantwortung, die ganze Last des „Die-Familie- Ernähren-Müssens“ liegt beim Mann.

Frauen können sich im Saarland entspannt zurücklehnen, während ihre Männer beim Grillen schuften. Ist harte Arbeit am Schwenker. Wenn man nicht einen Kumpel dabei hat, muss man sogar selbst gucken, wo man jemanden findet, der einem Bier nachholen geht. Den Schwenker zu verlassen, während die Glut lodert, wäre so, als wenn der Kapitän von Bord geht, wo das Schiff noch gar nicht am Untergehen ist. Unverzeihlich. Und dann muss man noch genau erklären, an welcher Stelle des bis zum Bersten voll bestückten Kühlschranks genau die kältesten Flaschen gelagert sind. Man muss demjenigen quasi das Procedere des Kühlschrank-Einräumens anschaulich vor Augen führen. Damit er die kälteste Flasche findet. Sonst bringt er (oder sie, das ist zum Beispiel bei mir meistens so) womöglich eine weniger gut gekühlte mit zum Grillplatz.

Einen Grillplatz hat jeder Saarländer hinterm Haus. Oder auf’m Balkon. Wenn nötig, kann man auch in der Garage schwenken. Ist ja wichtig. Angeschwenkt wird in der Regel am 1. Januar, das Datum des Abschwenkens ist dagegen flexibel, aber nicht vor Ende Oktober.

Öfters schon kam es vor, dass sich Flugzeugpassagiere ziemlich wunderten. Quer durchs Land an allen Ecken und Enden aufsteigende Rauchschwaden. Im Sommer sieht das Saarland von oben aus wie Kriegsgebiet.

Mmhhh … Wie komm‘ ich drauf? Ah ja, der Dirk. Bei dem waren wir gestern Abend kurzfristig gelandet, um dort unsere Russland-Planungen voranzutreiben. Aber außer der Feststellung von Norberto, dass ja alles geregelt sei, und wir jetzt doch bitte schön zum Essen übergehen sollten, haben wir nix besprochen gekriegt.

Lieber Norberto: Nix ist klar! Gar nix!

Norberto ist der Hammer. Ginge es nach ihm, ich glaube, er würde im Juni zur WM gar nicht merken, dass wir gar nicht nach Russland gereist sind. Ihm reichen (je nach Grillsaison) ein paar Schwenker im Beisein ein paar kühlen Bieren, um glücklich zu sein.Veggie-Gedöns lässt er immer weg. „Verdirbt den Charakter“, meinte er mal voller Überzeugung. Eigentlich braucht Norberto gar nicht nach Russland. Aber der Einfachheit macht er immer alles mit, was die anderen so festlegen.

Meistens macht bei uns der Michel, unser Capitano, die Festlegungen. Er ist absolut zuverlässig und hat fast immer einen Plan. Das Blöde: Immer, wenn er bei einer Besprechung fehlt, so wie gestern Abend, springt nix dabei raus.

Kaum hatte gestern Abend mal jemand angesetzt zu einer ernsthaften Frage, wie wir das und das angehen sollten, dann hat auch schon irgendjemand dazwischengerufen: „Osvaldo, soll ich dir ein Bier mitbringen?“. Und Gastgeber Dirk ergänzte in der Regel: „Hinten rechts im Kühlschrank stehen die kältesten Flaschen. Also immer schön von rechts nach links abräumen!“

Boah. So ging das gestern die ganze Zeit.

Die Frage, wenn jemand zum Kühlschrank ging „In welcher Richtung war das, wo ich im Kühlschrank abräumen muss?“ kam übrigens jedes Mal von Neuem. Konnte sich keiner merken. Außer der Dirk. Der hatte ja vorher eingeräumt. Wichtig, dass immer zumindest einer da ist, der klaren Kopf behält.

So, und jetzt mal zu den Problemen, mit denen wir uns sonst noch so konfrontiert sehen (also alle außer Norberto):

Wir haben jetzt – womit von uns niemand mehr gerechnet hatte – mehr Tickets als wir brauchen. Wieder mal. Wie schon in Brasilien. Nur dieses Mal ist es noch schlimmer. In Brasilien konnten wir mit der Zeit immerhin akzeptable Lösungen finden. Aber ob wir dieses Glück noch einmal haben?

Wir wurden gestern jedenfalls erneut angeschrieben und uns wurde mitgeteilt, dass wir ganz aktuell weitere Tickets für das Achtelfinale, das Viertelfinale und das Finale bei deutscher Beteiligung zugeteilt bekommen hätten. Wie beantragt eben.

Aber das ist schon mehrere Monate her! Das hatten wir gar nicht mehr auf dem Schirm. Hatten das schon abgeschrieben, weil wir doch schon vor etwa sieben Wochen darüber informiert wurden, dass wir Tickets für die Vorrundenspiele erhalten würden. Und jetzt das.

Hatte noch nie in meinem Leben einen Optionsschein auf ein Ticket für ein WM-Finale. Ist ja schon schön, aber … Das Problem: Zu diesem Zeitpunkt sind wir laut unseren gebuchten Flügen längst wieder zu Hause. Rückflug ist am 8. Juli, Finale in Moskau steigt aber 15. Juli, also eine Woche später.

Und: Alle Tickets müssen jeweils vor Ort abgeholt werden, also am jeweiligen Spieltag im jeweiligen Spielort. Kannst keinen anderen hinschicken, der sich für dich ausgibt, nein, nein. Da musst du selbst hin. Eine grande Katastrophe.

Au Mann. Ich stelle mir das nur mal vor, das würde tatsächlich so kommen. Unsere deutsche Elf würde es durchs Halbfinale tatsächlich wieder bis ins Endspiel schaffen. Das würde höchste, wirklich allerhöchste Verwicklungen mit sich bringen, diplomatische Verstimmungen mit meiner Frau, denen gegenüber diejenigen zwischen Großbritannien und Russland ein Kindergartengemopsel sind.

Wahrscheinlich müsste ich mich zwischen Titelgewinn (Live im Stadion in Russland) und Titelverlust (Entzug des Eherings) entscheiden. Mmhhh … ich glaube, das muss ich kurzfristig entscheiden. Ich warte mal den Verlauf der K.O.-Runde ab. Spätestens nach einem gewonnenen Halbfinale müsste ich mich aber endgültig entscheiden. Könnte aber auch würfeln. Mal sehen. Oh Gott, das macht mir echt Kummer.

Aber, aber … erstmal Entwarnung, alles locker, alles cool, keine Panik, alles schön easy, no Problemo. Und kein Wort zu meiner Frau, dass wir schon Karten für’s Finale in der Tasche haben. Meiner Frau würde glatt das Messer in der Hose aufgehen, wenn sie Wind davon kriegt. Da bin ich absolut sicher. Muss alles erstmal geheim halten. Reicht ja, wenn ich nach dem Halbfinale erste Andeutungen mache. Bis zum Aufbruch nach Moskau hätte ich dann ja noch drei weitere Tage Zeit, um alles häppchenweise zu beichten. Au Mann. Manchmal wünschte ich mir, Deutschland würde schon in der Vorrunde rausfliegen.

Der Michel sieht das übrigens anders. Er scheint da gechillter zu sein. Er hat ja auch nicht dieselbe Frau wie ich. Der hat gut planen! Hat schon vorgeschlagen, samstags hin und montags wieder zurück. Der Norberto will einfach nur hin und mit dem Pokal wieder zurück.

Gut, könnte wirklich klappen, wenn ich mir das so überlege. Könnte ja samstags morgens meiner Frau sagen, ich ziehe mit den Kumpels mal um die Häuser. Moskau hat ja auch Häuser. Das wäre nicht einmal gelogen. Und wenn man so mit seinen Freunden herumvagabundiert, dann ist es ja ohnehin keine Seltenheit, dass es schon mal etwas später wird. Drei Tage am Stück können da durchaus schon mal ins Land gehen. Mmhhh … das könnte eine Lösung sein. Mal sehen, wie’s kommt.

Für ein Achtelfinale mit deutscher Beteiligung hätten wir jetzt ebenfalls Tickets. Und auch für’s Viertelfinale. Aber da gehen schon wieder neue Probleme los.

Achtelfinale: Wir haben unsere Reiseplanungen seit letzter Woche so ausgerichtet, dass wir auf jeden Fall Sankt Petersburg machen. Das heißt: Werden wir Gruppenerster, dann passt alles schön zusammen, dann können wir uns das Match dort live anschauen.

Werden wir aber nur Gruppenzweiter, findet das Achtelfinalspiel (womöglich gegen Brasilien) in Samara statt. Da sind wir aber nicht. Wir hätten also Karten, die sogar schon bezahlt sind (der Betrag ist auf der Kreditkarte seit gestern schon abgebucht), die wir aber nicht nutzen könnten. Weiterverkaufen geht auch nicht, da es sich um sogenannte Voucher, also Gutscheine, handelt. Und die müssen persönlich vor Ort in Samara eingetauscht werden.

Au Mann. Wir müssen also darauf hoffen, dass wir Gruppenerster werden, sonst ist der Karren verfahren.

Viertelfinale: Michel und Lew werden zu diesem Zeitpunkt schon wieder zurück in der Heimat sein, Norberto und ich hängen noch einen kleinen Schwanz dran. Wollen das Viertelfinale noch mitnehmen. Da wir mit den jetzt zusätzlichen Tickets nicht mehr gerechnet hatten, haben wir unsere Planungen so abgestimmt, dass wir nach dem Aufenthalt in Sankt Petersburg am 4. Juli direkt nach Wolgograd fliegen. Wollen uns das ehemalige Stalingrad ansehen. Wir hatten vor, nach zwei Tagen mit einem Mietauto weiter nach Saratow zu fahren, eine befreundete Familie von Norberto besuchen. Von da an hätte es nach Samara zum Viertelfinalspiel am 7. Juli gehen sollen. Für dieses Viertelfinale hatten wir über die FIFA vor ein paar Wochen ja schon Karten ergattern können. Egal, wer dann dort spielt. Und jetzt haben wir zusätzlich die Karten für ein mögliches Viertelfinale, falls wir Gruppenerster werden. Wir hätten also zwei Tickets zu viel. Au Mann.

Und falls wir nur als Gruppenzweiter das Viertelfinale erreichen, gibt es das gleiche Problem wie beim Achtelfinale: An dem Ort, an dem das Spiel stattfindet, nämlich am 6. Juli in Kasan, sind wir nicht. Die Karten würden ebenso sinnlos verfallen wie wir immer sinnlos Bier trinken. Ist sogar in etwa gleich teuer.

Wir MÜSSEN also Gruppenerster werden. Wir setzen voll auf Sieg! Alles andere wäre ein Desaster.

Alles nicht einfach. Schnubbele zwischendurch mal schnell ein Ur-Pils, das saarländische Nationalgetränk. Muss mich und meine Hitzewallungen abkühlen. Kriege das heute eh nicht mehr auf die Reihe, dazu eine Lösung zu finden.

Beim Bier trinken kann ich jedenfalls nix falsch machen, das läuft immer von allein.

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