Tag 134 – Zwischen Hospiz und einer Weltumsegelung

Hab‘ ein neues Lieblingsgeschäft. Dass mir das nicht schon früher aufgefallen ist. Tsetse. Ist aber auch ausgesprochen gut versteckt. Meine Frau entdeckte es nur durch Zufall. Sie hatte sich verfahren. Der Laden heißt jedenfalls AIDA-Markt und bietet russische Produkte an.

Was die alles da hatten! Alle erdenkliche Lebensmittel (am besten gefielen mir die einzeln verpackten und auswählbaren Schokoladenbonbons mit etwa 30 unterschiedlichen Sorten), eine Theke mit extravaganten Fischarten (Wo kamen die her? Bei uns ist weit und breit kein russisches Meer in Sicht!), Meter-Tischdecken mit Blümchenmuster auf großen Rollen, Regale voller Konserven und und und. Ich wusste gar nicht, was ich mir alles kaufen sollte. Nach reiflicher Überlegung entschied ich mich am Ende für Wodka.

Und Bier natürlich. Nahm mal diverse Proben mit à la „Quer durch den Garten“. Werde die Jungs mal zu einer Verkostung einladen. Und endlich habe ich auch was für Norberto gefunden, der vor kurzem Geburtstag hatte: Eine Pistole! Lag mitten im Regal.

Dass Schnaps drin war, konnte ja keiner ahnen. Hatte mich schon gewundert, dass die Waffen so günstig waren: 6,99 Euro für die Pistole und knapp 20 Euro für das Maschinengewehr. Mmhhh …

Beim Bierkauf orientierte ich mich an objektiv-grundsoliden Kriterien, den Qualitätsmerkmalen und den Mengenangaben. Herausgekommen ist folgende Güteklassenauswahl:

Der Bergmann: ein heimatverbundenes Qualitätsmotiv.

Das Wikingerschiff: Island wird Weltmeister. Mein Wunschmotiv.

Die Zahl 9: Dieses Motiv kann ich mir nicht mehr erklären. Ich glaube, die Verkäuferin sagte etwas auf Russisch und wedelte freundlich mit den Händen Richtung Regal. Ich machte so, als ob ich alles verstanden hätte und ergriff die Flasche, auf die sie zeigte.

So, und nun zu den nicht minder wichtigen Quantitätsmerkmalen. In Deutschland gibt’s ja bloß das Faxe-Bier in der 1-Liter-Dose. In Russland? Die machen keine Sperenzchen. Da werden Nägel mit Köpfen gemacht. Da lockt der Frohsinn. Hier das Ergebnis:

Die 2-Liter-Extraklassen-Bombe. Wenn meine Frau mich nach einer wüsten Nacht mal wieder fragen sollte, wieviel ich denn getrunken hätte, dann … Ihr könnt euch denken, was dann kommt.

Meine Frau kann übrigens die russische Zeitung, die ich ebenfalls mitgenommen habe, nicht lesen. Mit den Buchstaben, die ich mittlerweile schon etwas besser kenne, kann sie nix anfangen. Vielleicht wär das ja was für mich. Alles auf Russisch schreiben, vor allem sämtliche Notizen, dann kriegt meine Frau weniger mit. Und sie selbst hätte auch was davon, nämlich deutlich weniger Kummer, wenn sie nicht alles mitbekommt, was ich so mache.

Ja, ja. Der AIDA-Markt. Der hat schon so einen tollen Namen. Sollte ich mal als dahindämmernder, unbeweglicher Greis auf ein Seniorenheim angewiesen sein, dann … würde ich einen Aufenthalt auf der AIDA, dem Luxusschiff, vorziehen. Von den Kosten her ist das ja in etwa gleich. Schlappe 4000 Euro pro Monat. Und eine Krankenstation gibt es auf der AIDA auch. Also, AIDA statt Seniorenheim. Und vielleicht legt das Schiff in 40 Jahren an einem Spieltag genau im Hafen eines WM-Spielortes an. Wer weiß. Dann mach‘ ich mich aber aus dem Staub, dann hält mich nix mehr! Dann trippele ich in den Anstoßkreis zum Sterben.

Apropos: Sollte ich bis dahin auch meinen letzten Cent für Unnötiges und Überflüssiges ausgegeben haben – nun, dann möchte ich eher ins Hospiz als in ein Seniorenheim. Im Hospiz ist die Betreuung viel besser, viel mehr Personal vorhanden, das sich um einen kümmert. Überleben tue ich das ohnehin auf Dauer hier auf der Erde nicht. Aber noch ist es nicht so weit. Werde derzeit ja noch überall gebraucht.

Im AIDA-Markt sprachen alle Kunden russisch. Sehr sympathisch. Konnte zwar noch nicht sonderlich glänzen und verstanden habe ich auch noch nix. Aber immerhin habe ich mich getraut, am Schluss „Do svidaniya“ zu sagen.

Auf Wiedersehen … und bis morgen!

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