Tag 126 – Entscheidung in Kasan

Unser Capitano, der Michel, meldet sich. Schreibt in die Whats-App-Gruppe, dass er eine Spielersitzung für nächste Woche Dienstag einberufen möchte. Wird dieses Mal bei mir zu Hause stattfinden. Werde am Montag groß einkaufen gehen müssen. Wir beraten ja nicht nur, wir schmausen und schnapsulieren dabei. „Snack“ wäre sicherlich der falsche Begriff. Gedacht ist eher an eine Tafel mit vollen Krügen und allerlei Zerstreuung. Der Partyraum ist ja wieder frei, nachdem Moritz die Aufnahmen beendet hat.

So langsam wird es Zeit, sich auf Russland einzutrinken. Werde mal vier Kasten Bier kaufen. Sind ja zu viert. Um die Freude zu mehren, halte ich auch Körner bereit. Nicht für Vegetarier. Davon ist bei uns keiner dabei. Nein, für nach dem Mahl. Körner ist doch Mehrzahl für Korn? Oder wie würdet ihr das ausdrücken, wenn man Völlegefühl auf Teufel komm raus vorbeugen möchte? Egal. Wir überlassen eben nix dem Zufall.

Blöd trotzdem, dass das Treffen während der Woche stattfindet. Da haben wir am Mittwoch-Morgen ganz schön zu kämpfen. Das ist keine Prophezeiung. Das ist Zukunftsdeutung in Vollendung. Kein Schnickschnack. Quasi eine unabwendbare Voraussagung. Wenn ich dran denke, wird mir jetzt schon schlecht. Aber wir ziehen das durch. So eine WM ist ja kein Ponyreiten.

Die letzte Spielersitzung ist schon etwa zwei Monate her. Kein Wunder, dass inzwischen Planungsfehler unterlaufen sind, wie ich gerade bei der Vorbereitung festgestellt habe. Vielleicht stand das Schmausen beim letzten Mal auch zu intensiv im Vordergrund. Jedenfalls kann ich mich an keine Beschlüsse erinnern. Manchmal frage ich mich im Nachhinein, wie wir es seinerzeit überhaupt bis nach Brasilien geschafft hatten. Aber wir haben ja den Michel. Der ist immer noch so zuverlässig wie damals. Hoffentlich jedenfalls.

So, Planungsfehler … Der Norberto und ich, wir haben zwar Tickets für ein mögliches Viertelfinale am 7. Juli in Samara (falls wir Gruppenerster werden und das Achtelfinale überstehen), aber keine für ein Viertelfinale tags zuvor in Kasan. Ist aber nicht schlimm. Können ja nicht für alle Eventualitäten vorplanen. Ein Plan ist ohnehin die Ersetzung des Zufalls durch den Irrtum. Wir setzen also voll auf Gruppensieg unseres deutschen Teams. Wird schon gut gehen.

Was, wenn wir nur Gruppenzweiter werden? Der Michel hat als Kapitän festgelegt, dass wir nach der Vorrunde unser Quartier nach einem kurzen Moskau-Abstecher für das Achtelfinalspiel am 3. Juli in Sankt Petersburg aufschlagen. Mit allem Pipapo.

Wie das Pipapo bei uns aussehen wird, ist noch nicht ganz klar. Ein Schwenker gehört auf alle Fälle ins Gepäck. Und ein Deutschland-Trikot. Der Rest ist Beiwerk. Kann man alles vernachlässigen.

Oh je. Zurück zu Sankt Petersburg. Könnte dort höchst peinlich werden, falls wir in der Vorrunde nur Gruppenzweiter werden oder gar ausscheiden. Denn unsere Mannschaft wird dann ja nicht in Sankt Petersburg zu sehen sein. Wir dagegen schon. Kreuzen dann zu viert in voller Deutschland-Montur in Sankt Petersburg auf. Wie Falschgeld. Werden vermutlich dem Hohn und Spott der Fans der beiden anderen Mannschaften ausgesetzt sein, die dort ihr Achtelfinalspiel austragen. Vielleicht laufen dann dort die Schweden und die Schweizer auf. Eieiei. Das könnte weh tun.

Rege bei Michel an, das mit Sankt Petersburg noch einmal zu überdenken. Michel ist einverstanden und schreibt: „Wir müssen mal schauen. Denke, die Entscheidung fällt in Kasan.“ In Kasan findet das letzte Vorrundenspiel statt. Gegen Südkorea. Danach sind wir schlauer.

Irgendwann vor der WM müssen wir uns um die Beantragung der Fan-ID’s kümmern. Die Fan-ID können Ticketinhaber bekommen. Sie dient dann als direktes Einreisevisum. Ohne viel Brimborium. Sehr gut. Ist ja nicht ganz unwichtig, das mit dem Reinkommen. Müssen dazu aber ein aktuelles Foto beifügen. Mmhhh … ob ich eines extra aufnehmen soll, auf dem ich meine Kopfbedeckung anhabe? Sonst erkennen die mich womöglich nicht in Russland. Ohne den glücksbringenden Guinness-Hut läuft bei einer Weltmeisterschaft nix. Den lass‘ ich, wenn’s sein muss, 48 Stunden am Tag auf. Und nachts obendrein.

Dmitri, mein russischer Freund, der seit zig Jahren im Saarland wohnt, hat sich ebenfalls gemeldet. Die Unterkunft in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, geht klar. Werden dort voraussichtlich zwei Nächte bleiben. Kurz vor der Heimreise.

Ach, was wäre ich froh, ich könnte nur ein Hundertstel so gut Russisch wie Dmitri Deutsch. Und umgekehrt wäre er vermutlich glücklich, sein russisches Team würde bei der WM nur annähernd so gut abschneiden wie die DFB-Elf in Brasilien. Man kann eben nicht alles haben. Im Zweifel möchte ich es aber nicht geändert haben, alles gut so, wie es ist.

Zu meiner Hörbuch-Musterdatei, die ich gestern meinem angedachten Distributor Feiyr zur Prüfung zugeschickt habe, habe ich heute schon eine Rückmeldung erhalten: Die Aufnahme sei qualitativ in Ordnung („Hört sich sehr gut an!“). Damit hätte ich nach der turbulenten Aufnahmewoche im Dezember nicht gerechnet. Aber um so besser. Kann mich jetzt nach und nach an die Arbeit machen und die anderen Rohdateien entsprechend bearbeiten. Meine Frau wird Ohren machen!

Letztlich kommt alles, wie es kommt. In Russland wie im Leben. Und es ist genau so gut und richtig, wie es kommt. Fehler macht jeder, Irrtümer passieren. Bei mir zwar öfter wie bei anderen. Aber das ist nicht tragisch. Alles richtig ist nie. Wenn alles immer richtig wäre, wäre auch nicht schön. Schön langweilig vielleicht.

Fehler sind deshalb nicht schlimm – die lassen Luft für Improvisationen. Und das mag ich eigentlich am liebsten.

Gucken, was kommt. Und dann das Beste draus machen.

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