Tag 120 – Sprachteufel

Mein Bauch ist übrigens nicht das einzige, das in letzter Zeit trotz gegenteiliger Bemühungen gewachsen ist. Auch die Digitalisierung führt zu ungeahnten Auswüchsen.

Schon mal die Beipackzettel von Medikamenten betrachtet? Oder Kassenbons? Mit den Einkäufen einer Woche könnte man mit denen locker ein dutzend recycelte Klopapierrollen herstellen.

Tja, Beipackzettel und Kassenbons sollen angeblich ja alles der Fortschritt sein, neudeutsch auch: Digitalisierung. Kann dieses Wort, dieses Digitalisierung, schon nicht mehr hören. Scheint alles der Versuch, von den wahren Problemen abzulenken und sich mit den drängenden Fragen der Zeit nicht mehr beschäftigen zu müssen. Digitalisierung ist wichtig, ja. Aber Digitalisierung ist auch ein Totschlagwort. Keine einzige Rede eines Politikers mehr, in dem dieses Wort nicht vorkommt. Für mich schon jetzt das Unwort des Jahrzehnts.

Ähnliche Unwörter von früher waren zum Beispiel „Peanuts“ (1994), „Rentnerschwemme“ (1996), „Entlassungsproduktivität“ (2005) oder auch „Gutmensch“ (2015). Schlimmstes Unwort aller Zeiten für mich: Alternativlos (2010). Geprägt von der deutschen Bundeskanzlerin, um bereits getroffene Entscheidungen oder Ankündigungen ohne erforderliche Diskussion, ohne Argumente und ohne Widerrede zu erzwingen. So ganz im Stile einer Monarchin. Die Abgeordneten? Lakaien. Die Bürger? Lästige Anhängsel. Ich bin sicher: Ein Großteil der Politikverdrossenheit geht auf die chronische Verwendung dieses Begriffes zurück.

Wenn ich mir eines wünschen dürfte: Fußballfans als Alternative zu Merkel nach Russland. Statt ihr sollten Norberto, Michel, Lew und ich, der Osvaldo, sich mit Putin auf der Ehrentribüne zeigen. Der würde Augen machen. Und wir könnten schon mal den Deal mit seinen Töchtern klar machen.

Na ja, weiter geht’s. Die meisten Politiker verstehen es ja ganz ausgezeichnet, die Menschen zu manipulieren. Allein die Sprache ist verräterisch. Nutzen sie zum Beispiel das Wort „grundsätzlich“, dann kann man getrost davon ausgehen, dass es genau andersrum kommen wird. Oder die Verwendung der Wortreihenfolge „nicht komplett“, bedeutet übersetzt: „Zwar nicht komplett, aber doch zum weit überwiegenden Teil“. Beste Redewendung zur Beschwichtigung: „Ein Stück weit“. Wenn man das hört, weiß man sofort: Achtung! Eigentlich meint der , der das sagt, das ganze Stück, traut sich aber nicht, es auch so auszudrücken. Letztlich ist jemand, der ständig „ein Stück weit“ in seinen Reden erwähnt, ein Feigling.

Mein absolutes Lieblingswort aber: „Wir“. Sobald ein Politiker dieses wohlklingende Wörtchen in den Mund nimmt, wird es ernst. Höchste Alarmstufe! Dann stelle ich sofort die Ohren auf. Auch außerhalb der Osterzeit. Meinen die dann etwa auch Lew, Michel, Norberto und mich? Immer, wenn Politiker nicht alleine zurande kommen, sagen sie „wir“. Nicht auszudenken, wir würden verdächtigt, mit denen unter einer Decke zu stecken und gemeinsame Sache zu machen! Nee, nee. Nachher werden wir noch für den Untergang Deutschlands mit verantwortlich gemacht. Wir wollen doch bloß Fußball gucken. Die sollen ihren Laden mal schön selbst in Ordnung halten. Ist ja deren Job. Ohne uns jedenfalls. Da machen wir nicht mit.

Pffft.

Nur am Rande: Das Wort „Russlandversteher“ war 2014 einer der Kandidaten zum Unwort des Jahres. Verstehe wer wolle, warum.

Ich mag dieses Land jedenfalls und freue mich genauso wie Lew, Norberto und Michel unglaublich darauf, die Menschen dort kennenzulernen.

 

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