Tag 104 – Heiß wie Frittenfett

„Menjá sawoúd“ ist das erste, was Diane mir gestern beigebracht hat. „Mein Name ist …“ … Osvaldo. Hab‘ dann ganz stolz geguckt. Mein erster Satz auf Russisch.

Hab‘ mir das gut notiert. Wie das geschrieben wird, weiß ich nicht. Ist aber nicht wichtig. Muss ja kein Examen machen.

Das nächste, das mir Diane unter die Nase hält und ich unbedingt wissen müsse, weil das Wort ständig vorkomme, ist:

„Camobap“.

Aha. Camobap also. Alles klar.

„Merk‘ ich mir. Ähhh … was bedeutet es?“, frage ich Diane.

„Osvaldo, Du hast doch gerade einige russische Buchstaben gelernt. Jetzt lies mal, was da   steht. Da steht jedenfalls nicht Camobap!“ Sie bringt mich in Bredouille.

Komme mir dann wie ein Kind in der ersten Klasse vor, als ich Buchstabe für Buchstabe aneinanderreihe. Muss mich voll konzentrieren. Meine fast, ich rede mit meiner Frau. Das verläuft auch immer so ähnlich. Wenn ich da nicht nicht höllisch aufpasse, hänge ich direkt am Fliegenfänger. Dann hat sie mich. Also … höchste Kondensation! Konzentration, meine ich. Und allerhöchste Vorsicht!

Ich versuche, mich zu sammeln.

„Mmmhhh … ‚Camobap‘ … aus C wird S … a bleibt a … m bleibt m … o bleibt o ….“

Bis jetzt läuft es gut, denke ich. Russisch scheint bei manchen Wörtern gar nicht so schwer zu sein. Und weiter …

„B bleibt B … oder …?“

Diane schaut mich ganz streng an. Hätte ja genauso gut Russisch mit meiner Frau üben können, denke ich mir. Um ihr einen Gefallen zu tun – und ich merke ja, dass offensichtlich was nicht stimmt – sage ich selbstsicher: „Nee, nee, aus b wird ein anderer Buchstabe. Da bin ich mir jetzt sicher.“

Aber was? Um Himmels willen.

„Osvaldo, ich dachte, wir kommen heute locker bis Kapitel 9. Und jetzt hängen wir schon beim    zweiten Wort!“

Diane bringt mich in Verlegenheit, muss ich gestehen. Die scheint mir ja einiges zuzutrauen. Bis Kapitel 9. Wow! Hat sich scheinbar rumgesprochen, dass ich schon in Brasilien gut unterwegs war mit meinen Portugiesisch-Künsten.

Blicke sie stolz an. Und fragend gleichzeitig. So in etwa wie Bully Herbig es in seinen Filmen tut, wenn er mal wieder völlig überfordert ist.

Bevor ich irgendwas Falsches sage, versuche ich, schnell – und heimlich!, versteht sich – einen Blick in das mitgebrachte Lehrbuch zu werfen. Aber Diane fällt mein Vorhaben natürlich sofort auf.

„Osvaldo, das ist doch einfach. Aus b wird ein w!“

Sie lacht sich halb schlapp.

Ach ja, jetzt merke ich es auch. Aus b wird ein w. Liegt ja auf der Hand. Haha! Wie um Himmels Willen soll man sich so etwas merken können? Ich habe als Osvaldo ja ohnehin mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen.

Gut, was soll’s. Weiter geht’s. Wir sind ja schon fast am Ende des wohl zweitwichtigsten russischen Wortes überhaupt angekommen.

„A bleibt A. Da bin ich mir sicher. Das hatten wir schon mal.“

Trotzdem schaue ich Diane fragend an.

„Ja, a bleibt a, Osvaldo. Weiter. Nur noch ein Buchstabe, dann haben wir das Wort. Bist auf           einem ganz guten Weg.“

„Oh mein Gott“, denke ich. „Ich bin also auf einem guten Weg?“ Das sagten wir früher immer auf der Arbeit zu unserem Chef, wenn er etwas nachfragte, wie der Stand der Dinge zu einem bestimmten Projekt oder Thema sei. Wenn einer von uns dann sagte: „Das ist auf einem guten Weg“, dann wusste jeder der anwesenden Kollegen sofort, dass das Projekt zum Scheitern verurteilt war, dass es katastrophal um das Projekt stand, es aber nicht so offensichtlich gesagt werden konnte. Sonst wäre der Chef aus der Hose gehupst. Aus der Hose gesprungen, meine ich natürlich. Egal. Wenn „etwas auf einem guten Weg war“, dann war der Chef zufrieden. Das war die Hauptsache.

So, und „wenn etwas auf einem guten Weg ist“, dann ist das also gleichzusetzen mit einer Katastrophe. Und genau das hat mir Diane gerade jetzt gesagt. Verschlüsselt zwar, aber … ich habe es – im Gegensatz zu meinem Chef auf der Arbeit – sofort verstanden.

Was soll’s. Welcher Buchstabe steht noch aus? Ach ja, das p. Was wird aus p? Tja, das p. Was wird wohl aus ihm, dem armen Buchstaben? Vergleichbar vielleicht nur mit dem Ausruf Trappatonis:

„Struunz! Was wird aus Struuuunz?“

Auch der ehemalige Bayern-Trainer schien vor 20 Jahren ziemlich bis ausgesprochen verzweifelt. Darüber könnte ich jetzt ohne Weiteres stundenlang philosophieren. Zumindest eher als rauszubekommen, was tatsächlich aus p wird. „Was wird aus p?“. Um Himmels Willen. Das arme p. Weiß auch nicht warum, aber gerade geht mir Hamlet durch den Kopf. So wie Hamlet in Shakespeares großem Theaterstück.

„Es handelt sich um eine im Königreich Dänemark spielende Tragödie. Claudius, des Königs Bruder, ermordet den Herrscher, reißt die Krone an sich und heiratet Gertrude, die Witwe des Königs. Prinz Hamlet strebt danach, seinen Vater zu rächen, und stürzt dabei alle Beteiligten ins Unglück.“

So steht es in Wikipedia. Was hat das jetzt mit mir und Diane zu tun?

Nix. Aber es ist trotzdem auffällig, dass da als letztes steht: „ … und stürzt alle Beteiligten ins Unglück.“ Das ist kein Zufall. Nee, nee. Die Gedanken, die mir durch den Kopf schießen, sind Zeichen.

„Osvaldo, jetzt komm schon, hör auf, aus dem Fenster zu starren, und sag was!“

Diane reißt mich aus den Träumen. Am liebsten hätte ich gesagt: „Weißt Du, Gertrude, Du stürzt mich ins Unglück!“

Hilft alles nix. Ich weiß einfach nicht, was aus p wird.

„P wird in der Aussprache zu R, Osvaldo.“

Zack, das hat gesessen! Diane scheint verzweifelt. Ich auch.

Aus „Camobap“ wird also im Deutschen ausgesprochen „Samowar“.

Ich muss gestehen – und ich sage es nicht freiwillig –, aber was ist ein oder eine „Samowar“? Wieder blicke ich aus dem Fenster. Die Vöglein hüpfen von einem Ast zum andern und piepsen frühlingshaft fröhlich. Ach, wär‘ ich doch nur ein Vöglein!

Aber nein, ich muss ja Russisch lernen. Samowar …

„Samurai“ kenne ich … aber Samowar?

„Hat das was mit Krieg zu tun?“, presche ich mutig hervor und schaue Diane fragend an.

Diane senkt ihren Kopf, hebt ihren linken Arm und legt die Stirn aufgestützt in die nach oben geöffnete Handfläche. Ich weiß – das bedeutet nichts Gutes. So macht meine Frau auch öfters.

„Ein Samowar ist ein russischer Teekocher“, klärt Diane mich auf.

Aha. Ein Teekocher also. Aber was soll ich mit einem Teekocher anfangen?

„Bierkasten“ hätte ich bestimmt verstanden, aber Teekocher?

„Osvaldo, komm, wir machen für heute Schluss. Wir sind zwar nicht in Kapitel 9   angekommen, aber wir sind auf einem guten Weg.“

Diane gibt alles.

Ich will aber nicht aufgeben und animiere sie dazu, noch etwas weiter zu machen. Sie ist überraschend bereitwillig einverstanden. Wir lernen also noch ein paar Vokabeln. Ich habe den Eindruck, es läuft gut. „Ich mache wirklich hervorragende Fortschritte“, denke ich mir.

Nach ein paar Augenblicken aber kann ich mich nicht mehr zurückhalten, ich muss es einfach loswerden. Es beschäftigt meinen Kopf und lässt meine Gedanken immer wieder abschweifen. Nach Russland. Zu meinen Kumpels. Zu Lew, Michel und Norberto.

„Diane“, sage ich etwas zögernd und leicht verlegen, „mit meinen Freunden habe ich ausgemacht, dass es für uns enorm wichtig ist, das Wichtigste eigentlich überhaupt, dass wir in Russland jedem erklären möchten, auf Russisch natürlich, dass wir „heiß wie Frittenfett“ sind. Was heißt bitteschön auf Russisch „heiß wie Frittenfett“? Bitte, bringe mir das bei und dann machen wir für heute Schluss. Versprochen!“

Diane hatte mittlerweile ihren Kopf wieder erhoben. Glücklich schaut sie trotzdem nicht aus. Weiß sie etwa nicht, was „heiß wie Frittenfett“ auf Russisch heißt? Hat das vielleicht irgendwas mit Samowar zu tun? Tee muss ja immerhin auch heiß gemacht werden. Und: Was würde Hamlet an dieser Stelle sagen? Vielleicht: „Durch diese hohle Gasse muss er kommen?“ Gedanken über Gedanken schießen mir durch den Kopf.

Egal. Erwartungsvoll, ja regelrecht mit verliebtem Blick, betrachte ich Diane. Was heißt nun „heiß wie Frittenfett“ auf Russisch? Bitte, bitte, sage es!

„Osvaldo, … sei mir nicht böse, aber …“

„Ja …? Nun sag‘ schon! Ich bin total ungeduldig! Was bedeutet „heiß wie Frittenfett“? Nun sag schon!“

„Osvaldo, Du willst sagen ‚Ich bin heiß wie Frittenfett‘ – und schaffst nicht einmal ‚Guten   Abend‘!“

Diane lässt mich auf den Boden der Tatsachen zurückfallen.

Nachdem sie sich verabschiedet hatte (sie hat irgendwas auf Russisch gesagt, was ich nicht verstanden habe, vielleicht „Du bist heiß wie Frittenfett“), kümmerte ich mich wieder um die Fußballtickets.

Um es kurz zu machen:

Ich konnte zwei Tickets für das Viertelfinalspiel am 7. Juli in Samara ergattern. Egal, wer dann da spielt. Zu diesem Zeitpunkt werden Lew und Michel bereits wieder aus Russland abgereist sein, nur noch Norberto und ich werden dann noch für ein paar Tage unterwegs sein. Die Tickets waren richtig teuer.

Und wenn wir Pech haben, dann scheidet unsere Mannschaft bereits vorher aus dem Turnier aus und wir müssen uns dann in Samara ein anderes Match ansehen. Deutschland kann dort jedenfalls nur spielen, wenn wir Gruppenerster werden und das Achtelfinale überstehen. Ob das klappt …? Wenn nicht, käme als Alternative – also rein theoretisch – zum Beispiel auch die Partie in Frage …

… Tunesien gegen Japan.

Au Mann. So dicke wird es ja wohl nicht kommen.

Müsste mir dann noch einen Kimono für’s Stadion zulegen. Ob mir sowas steht?

Wär zumindest mal was anderes.

 

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