Streit um Munition zwischen Prigoschin und Schoigu: „Eine Spaltung spielt nur dem Feind in die Hände“

Streit um Munition zwischen Prigoschin und Schoigu: „Eine Spaltung spielt nur dem Feind in die Hände“

Am 10. Januar dieses Jahres behauptete Jewgeni Prigoschin, Mitbegründer der privaten Söldnerarmee Wagner Gruppe, dass das russische Verteidigungsministerium versuche, der Private Military Company (PMC) den Sieg zu stehlen“.

Am 16. Februar tauchte auf Telegram-Kanälen der PMC ein Video auf, in dem vier bewaffnete Männer erklärten, ihre Einheit sei „völlig von der Munitionsversorgung abgeschnitten“. Die Männer gaben sich als Wagner-Artilleristen zu erkennen und forderten das russische Verteidigungsministerium auf, die Munitionsversorgung sicherzustellen. Dass es sich um Kämpfer der in Russland gesetzlich verboten Söldnertruppe Wagner handelte, bestätigte Prigoschin später. Zu den Kämpfen bei Bachmut sagte er, die Stadt wäre noch vor dem Jahreswechsel eingenommen worden, „wenn es nicht die Bürokratie und die Knüppel zwischen den Rädern gäbe, die jeden Tag dazwischenfunken“.

Am 18. Februar bestritt Prigoschin jede Verbindung von PMC zur russischen Armee, nachdem der französischen Präsident Emmanuel Macron gesagt hatte, sie sei Teil der russischen Armee. „PMS hatte und hat nichts mit der russischen Armee zu tun. PMC Wagner ist eine Privatarmee, die auf der ganzen Welt operiert hat, operiert und operieren wird“, sagte Prigoschin vor der Presse.

Am 20. Februar legte Prigoschin nach und sagte, dass die Frage der Lieferung der erforderlichen Menge an Munition „trotz all meiner Bekanntschaften und Verbindungen“ noch völlig ungeklärt sei. Alles versickere und verzettele sich. Er selbst wisse genau, „wo sich die Munitionslager befinden“. Man habe ihm empfohlen, hinzugehen und sich zu entschuldigen „dann bekommen deine Soldaten Munition“, sagte er. Gleichzeitig wisse er aber nicht, bei wem er sich entschuldigen solle. Als General Sergej Surowikin das Kommando über die Truppen in der Ukraine hatte, habe es keine Probleme mit der Munition gegeben. „Diejenigen, die uns daran hindern, diesen Krieg zu gewinnen, arbeiten direkt für den Feind“, so Prigoschin.

Das russische Verteidigungsministerium reagierte umgehend auf die Behauptung von Prigoschin, die Wagner PMC litten unter einem „völligen Mangel an Granaten“ mit einer Presserklärung. Das Kommando in der Ostukraine, so das Verteidigungsministerium, kümmere sich vorrangig um die Versorgung der „Freiwilligen und Soldaten der Frontkräfte“ mit allem Notwendigen.“ Alle Munitionswünsche der Sturmtruppen werden so schnell wie möglich erfüllt. Das war bisher so und wird auch weiterhin so sein.“ In Kürze, so die Erklärung, würden alle Munitionsanforderungen für Februar erfüllt und die Lieferungen für die Anforderungen im März beginnen. Allein im Zeitraum von zwei Tagen, vom 18. Februar bis zum 20. Februar, erhielten die Freiwilligen der Sturmtruppen: 1.660 Raketen für Mehrfachraketenwerfer; 10.171 Munition für großkalibrige Geschosse für Artillerie und Mörser sowie Panzermunition für 980 Schüsse.

„Daher sind alle Aussagen, die angeblich im Namen der Angriffseinheiten über Munitionsmangel gemacht wurden, absolut falsch. Versuche, die enge Zusammenarbeit und den Unterstützungsmechanismus zwischen den Einheiten der russischen Truppen zu stören, sind kontraproduktiv und nützen nur dem Feind“, heißt es in der Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums. Der Name von Jewgeni Prigoschin und des von ihm gegründeten PMC Wagner wird in der Erklärung des Verteidigungsministeriums nicht erwähnt.

Prigoschin bezeichnete die Erklärung des Verteidigungsministeriums postwendend als Versuch „auf die private Militärfirma Wagner spucken“. Die Männer um Schoigu würden versuchen, „ihre Verbrechen vor den Kämpfern zu verbergen, die in der Nähe von Bachmut Erfolge auf dem Schlachtfeld erzielen“. Der Wagner-Chef warf dem Verteidigungsministerium vor, bei der Versorgung aller unkonventionellen Einheiten mit der angeforderten Artilleriemunition gelogen zu haben, und behauptete stattdessen, dass die Wagner-Streitkräfte nur 20 Prozent der ihnen versprochenen Artilleriemunition erhalten.

Der Kreml äußert sich nicht zur Kritik von Prigoschin an der Militärführung. Auf Bitte von Journalisten, die relevanten Äußerungen von Prigoschin zu kommentieren, sagte Präsidentensprecher Dmitri Peskow: „Ja, in der Tat wird in den Medien ein Austausch verschiedener Äußerungen veröffentlicht, aber dies ist ein Thema, das sich auf die Durchführung einer militärischen Verteidigung bezieht, daher überlasse ich es dem Verteidigungsministerium und empfehle Ihnen, sich dort zu melden.“

Wohl nicht zur Freude des Kremls hat Prigoschin mittlerweile seine Landsleute aufgerufen, ihn in seinen Forderungen nach Munition zu unterstützen und Druck auf die Armee auszuüben. Die Situation sei kritisch, Wagnerianer sterben, weil sie keine Munition mehr haben. Auf die Frage, wie die Bürger helfen könnten, antwortete Prigoschin, dass er nicht vorhabe, irgendwelche Demonstrationen zu organisieren, aber es sei möglich zu helfen.

Wenn jeder Einwohner Russlands an seinem Ort einfach sagen würde: „Gebt den Wagners ein paar Patronen“, wäre das schon wichtig. Wenn der Fahrer eines hohen Beamten zu ihm kommt und sagt: „Gebt Wagner Granaten“, wenn eine Stewardess am Eingang des Flugzeugs zu allen sagt: „Gebt Wagner Granaten “ und jeder in den sozialen Medien postet: „Gebt Wagner Granaten „… Wenn ein Fernsehmoderator plötzlich während einer Live-Sendung sagt: „Gebt Wagner Granaten“ – ich denke, wir werden sie brechen und sie zwingen, die Gesetzlosigkeit zu beenden“, sagte Prigoschin. Zudem tauchten im Internet eine Reihe von Videos auf, in denen PMC-Söldner demonstrativ mit einem Maschinengewehr auf Porträts hochrangiger Militärs, darunter Generalstabschef Waleri Gerassimow, schossen.

Inzwischen scheint eine weitere Eskalation eher unwahrscheinlich, denn Prigoschin erklärte heute per Telegram: „Heute um 6 Uhr morgens wurde bekannt gegeben, dass die Lieferung von Munition begonnen hat Wahrscheinlich ist der Ball jetzt im Rollen. Bisher steht alles nur auf dem Papier, aber wie uns gesagt wurde, sind die wichtigsten Dokumente bereits unterzeichnet worden.“ Von wem, sagte er nicht. Prigoschin veröffentlichte ein Dossier, in dem der Artilleriemunitionsverbrauch der Wagner-Streitkräfte mit dem verglichen wurde, was das Verteidigungsministerium an die Wagner-Streitkräfte verteilt.

Für Alexander Chodakowski, Kommandeur des Wostok-Bataillons, besteht das Hauptproblem nicht darin, dass die PMCs keine Munition mehr bekommen, sondern dass sie jetzt nur soviel bekommen, wie alle anderen Truppenteile auch. „Zugegeben, wir haben die Wagners beneidet, als sie ihre eigene Frontluftwaffe hatten, als sie täglich zwei Iskander und eine Kalibr bekamen, als sie zweieinhalbtausend Panzerabwehrraketen zum Üben bestellt bekamen (!), als sie Gefangene aus dem ganzen Land zu sich holten …“, schreibt Chodakowski. Nun seien die PMC-Leute „wie alle anderen“ geworden.

Pawel Luzin zufolge, Politologe und Gastwissenschaftler an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University, sei Prigoschin keine unabhängige Person, sondern unterstehe direkt einem der Sonderdienste und werde aus dem russischen Haushalt finanziert.

Juri Fjodorow, Militär- und Politikexperte in Prag, betrachtet die Geschichte mit Prigoschin und seinen PMCs als eine Art Experiment des Kremls. Ihm zufolge bestand das Experiment darin, eine Art Armeekorps aus Gefangenen und Söldnern zu schaffen, um es im Krieg in der Ukraine zu testen und zu sehen, was dabei herauskommt. Doch die Wagnerianer konnten in der Ukraine keine ernsthaften militärischen Erfolge erzielen. Offenbar habe die Führung des Verteidigungsministeriums das Thema auf die Tagesordnung gesetzt und gefordert, Prigoschin von der politischen Bühne zu entfernen, meint der Experte. Seiner Meinung nach wollen die Militärs nun die Reste der Wagner-Gruppe in ihre Strukturen integrieren und die PMC fast vollständig dem Generalstab und dem Kommando der so genannten „SVO“ unterstellen.

Der in Berlin lebende russische Journalist und Autor Mikhail Zygar schrieb in der New York Times, dass Prigoschin in den Augen Putins ein bisschen zu populär sein könnte. Daher stärkte er Prigoschins wichtigste Gegner – die Generäle Lapin und Waleri Gerassimow – und ernannte Letzteren zum Oberbefehlshaber der Operation in der Ukraine. Mit diesen Ernennungen übernimmt Putin die Verantwortung für alle nachfolgenden Niederlagen. Und Prigoschin, der diese Ernennung nicht kritisiert hat, wird dadurch nicht geschwächt. So könnte Prigoschin dem Präsidenten in naher Zukunft den Rang streitig machen. Putin ist dann möglicherweise nicht mehr in der Lage, sich gegen seinen ehemaligen Koch durchzusetzen, so Zygar.

Im RuNet sprudeln diverse Kommentare. Neben Verständnis für die Wagnerianer stoßen Prigoschin Äußerungen auch auf Unmut: „Und was hat das russische Verteidigungsministerium damit zu tun? PMC ist ein privates Unternehmen. Privat bedeutet privat.“  Jemand anders fragt: „Sollte ein privater militärischer Auftragnehmer nicht seine eigene Ausrüstung, seine eigenen Versorgungslinien usw. haben? Ist das nicht der Sinn des „privaten“ Militärs?“ Prigoschin solle als Inhaber einer Privatorganisation doch ins nächste Waffengeschäft gehen und seine Munition dort einkaufen.

Bei der Verkündung der Botschaft von Wladimir Putin an die Bundesversammlung nahmen weder Prigoschin, Kadyrow, Gerassimow noch Surowikin teil.

[hrsg/russland.NEWS]

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