Sputnik!

Sputnik!

[von Gerhard Mersmann ] Kann sich noch jemand an den Sputnik-Schock erinnern? Wohl kaum. Das war mitten im Kalten Krieg und die Sowjets hatten es sich erlaubt, eine bemannte Rakete in die Erdumlaufbahn zu schießen, während die amerikanischen Versuche reihenweise noch am Boden scheiterten. Der Wettlauf zwischen Ost und West war in seiner Blütezeit und die mächtige Nasenspitze, mit der die sich sozialistisch nennende Union vor der selbst ernannten freien Welt lag, tat richtig weh. Die Gesellschaft, man mag es kaum glauben, erlaubte sich noch Scherze. Da wurden Kanapees für die Feiern am Wochenende kreiert, die den Namen Sputnik trugen. Angst vorm Russen hatten viele, vor allem die, denen am russischen Boden die Glieder abgefroren waren. Wenn der Iwan kommt, so erzählten die vom glorreichen Russlandfeldzug zurückgehumpelten, dann ist kein Zuckerschlecken. Der Iwan kam aber nicht. Und die Geschichte ging weiter und die Amerikaner waren die Ersten auf dem Mond und die Welt schien wieder in Ordnung.

1990, als die Sowjetunion aus vielen Gründen implodierte, sprach man in den USA vom Ende der Geschichte. Was sie damit meinten, war der Anfang der absoluten Weltherrschaft ihrerseits. Die währte, rechnet man genau, bis 2008. Dann kam eine Weltwirtschaftskrise, die den Giganten in die Knie zwang. Nicht, dass die Herrschaft der USA zu Ende wäre, aber sie sind nicht mehr allein und haben mit China einen neuen, ernst zu nehmenden Kontrahenten. Und wieder ist es, glaubt man den medialen Auguren auf ihren Podesten, der Kampf zwischen dem freien, demokratischen Westen und dem diktatorischen, sozialistischen Übel. Das argumentative Rezept ist das gleiche geblieben, auch wenn der freie Westen die ganze Welt mit unzähligen Kriegen überzogen hat. Es ist wie im Kalten Krieg, mit messianischer Inbrunst kämpft das moralisch Gute gegen das teuflisch Schlechte. Was in solchen Zeiten stets leidet, ist der klare Verstand.

Wladimir Putin ist ein kluger Kopf. Man lese seine Rede zum 75. Jahrestag des Kriegsendes und zweifle das an. So leid es mir tut, vergleichbare Qualität hat hierzulande niemand zustande gebracht. Leider, leider kam ausgerechnet aus dem Land, von dem aus der Brand entfacht wurde, der Tagespolitik opportunes Kampfgeschrei. Und zwar aus allen Parteien. Was Putin anbetrifft, so hat er jetzt das rhetorische Reizgas ausgepackt, und, ein kontinentales Hoch im Rücken, die reine Satire Richtung Westen gesprüht. Im Kampf gegen Covid-19, so verkündete er, habe man in Russland einen viel versprechenden Impfstoff gefunden. Und Putin gab auch gleich den Namen der Wunderwaffe bekannt: Sputnik! Besser hätte es kein Dramaturg inszenieren können. Es war wieder einmal ein Augenblick, von dem man sagt, hätte man es künstlerisch verarbeitet, wäre umgehend der Vorwurf der drastischen Übertreibung eingegangen.

Wenn es so wäre, wie von Putin verkündet, nämlich dass ein Impfstoff gefunden worden wäre, dann käme das einem Segen für die Menschheit gleich. So sollte man meinen. Unabhängig von der Validität der russischen Aussage, die ich als Laie nicht beurteilen kann, fällt nur eines auf: Wäre es so, käme es, den Reaktionen aus Medien und Politik entsprechend, einer Katastrophe gleich. Kollektiv wird aufgeheult und alles aus der Kammer geholt, was man dem Ganovenregime da drüben im Osten alles vorwerfen kann. Es ist zu empfehlen, sich das in aller Ruhe anzusehen, wie die Meute losgelassen wird zum emotionalen Krieg gegen das Böse. Es ist zum Verzweifeln, aber es bleibt dabei: Mit dem Iwan ist kein Zuckerschlecken!

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