Seidenstraße: Wenn Verschwörung zur Realität wird…

Seidenstraße: Wenn Verschwörung zur Realität wird…

[von Dr. Gerhard Mersmann] Manchmal existieren Koinzidenzen, deren bloße Erwähnung sofort bei den hervorragend durch die hiesigen Qualitätsmedien Informierten den Vorwurf der Verschwörungstheorie laut werden lassen. Durch derartige Anwürfe sollte man sich in Zeiten des Krieges nicht einschüchtern lassen. Zu keinem Zeitpunkt wird mehr gelogen, und zwar auf allen Seiten. Un zu keinem Zeitpunkt gilt die alte, durch den rasenden Reporter geprägte Wahrheit: Nichts ist erregender als die Wahrheit.

Nicht, dass China immer der Igel und Europa und die USA jeweils die Hasen wären. Bereits im Jahr 1993 kam man zum Beispiel in der EU auf die Idee, auf dem Landweg die Handelswege nach Asien erschließen zu wollen. Das aufgesetzte und damals mit großem Tamtam verkündete Programm nannte sich Traceca und stand für Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia. Es beinhaltete nicht nur die Perspektive von Handelsbeziehungen, sondern eine Art Kompensationsgeschäft mit den Anrainerstaaten. Diese sollten nämlich die notwendigen Infrastrukturprojekte, die von der EU durchgeführt werden sollten, ihrerseits mit den in den Ländern strategisch wertvollen Rohstoffen wie Kupfer, Quecksilber, Uran und Gold bezahlen.

Daraus wurde genauso wenig wie aus dem 1999 von den USA aufgelegten Silk Road Strategic Act. Die Finanzierung stellten sich die USA so vor wie die EU und sie wussten bereits, wo sie damit anfangen wollten: nämlich in Afghanistan. So wundert es kaum, dass nach den zähen Weigerungen aus diesem Land wie durch Zufall kurze Zeit später der vermeintliche Unterschlupf terroristischer Privatpersonen wurde, die eine groß angelegte Allianz aus dem Westen militärisch heimsuchte, natürlich nicht, um den Silk Road Strategic Act weiterzutreiben, sondern den Terrorismus zu bekämpfen und die freiheitliche Demokratie zu retten.

Irgendwie hatten die Chinesen, und zwar 2013, ein glücklicheres Händchen. Ihr Projekt, das ebenfalls geostrategisch konzipiert war und auch an die Idee der alten Seidenstraße anknüpfte, wurde und sich OBOR, One Belt One Road nennt, machte in kurzer Zeit große Fortschritte. Vielleicht, aber das ist reine Spekulation, lag es an den von China unterbreiteten Kooperationsbedingungen:

  • Konfrontation vermeiden,
  • Gegenseitiger Respekt von unterschiedlichen Systemen und Denk- und Handlungsmustern,
  • Berücksichtigung gemeinsamer Interessen, aber auch Akzeptanz nationaler Kerninteressen,
  • Aufbau neuer globaler Institutionen.

Nun hat bekanntlich die militärische Intervention in Afghanistan einer westlichen Allianz nicht dazu geführt, dass in der Region nur irgend etwas von Traceca oder dem Silk Road Strategic Act umgesetzt werden konnte. Und es gehört zu den an Verschwörungstheorien wabernden Koinzidenzen, dass nach der Feststellung, in Afghanistan nichts mehr gewinnen zu können, eigenartigerweise im belorussischen Minsk im Jahr 2020 ein gigantischer Industriepark inklusive einem hoch modernen Güterbahnhof im Rahmen der chinesisch initiierten Neuen Seidenstraße fertiggestellt wurde. Von dort aus sollten die Warenstränge bis nach Duisburg gehen. Und, wie es so ist, wenn der Teufel im Spiel ist: Just zu diesem Zeitpunkt brechen in Minsk Unruhen aus und Tausende gehen für die liberale Demokratie auf die Straße. Und dann marschieren auch noch die Russen in die Ukraine ein. Somit, und das ist klar, ist das Projekt One Belt One Road zumindest im Korridor nach Zentral- und Westeuropa nachhaltig blockiert.

Es ist zum Verrücktwerden mit der Geschichte. Wohin man schaut, herrscht doch Verwirrung. Und trotzdem: Je weiter man blickt, desto klarer wird die Sicht. Das ist das Verhängnisvolle. Denn wenn Verschwörungstheorien zur Realität werden, dann gibt es wahrlich kein Halten mehr.

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