„Schmutziges Geschäft“: was Russen von der Politik halten© russland.news

„Schmutziges Geschäft“: was Russen von der Politik halten

„Die Russen nehmen die Politik als einen begrenzten und abgeschlossenen „Ort“ wahr, eine Art „Machtzone“, in der Politiker nicht öffentlich und informell agieren, um persönliche oder enge Gruppenziele zu erreichen; zuallererst geht es um die Erlangung von Eigentumsvorteilen, während das bestehende Machtgefüge nicht mit rechtlichen und moralischen Imperativen verbunden ist“. Diese Schlussfolgerung zieht Dr. Sergej Patruschew, Dozent des Instituts für Soziologie der Akademie der Wissenschaften der Russischen Föderation in seiner Arbeit „Transformation des Politischen, Sozialen und Zivilen unter den Bedingungen der Herrschaft: russischer Fall“.

Der Aussage „Politik ist ein schmutziges Geschäft“ ist typisch für Russen. So zeigte eine Umfrage von 2020, dass 57 Prozent der Befragten die Politik in Russland als Machtausübung verstehen. 37 Prozent glauben, dass in der Politik persönliche Ziele verfolgt werden. Nur 24 Prozent denken, dass dies ein Bereich ist, in dem „wichtige Entscheidungen für die Gesellschaft getroffen werden“. Und nur 20 bzw. 12 Prozent sagen, dass in der Politik „gesellschaftliche Aufgaben gestellt“ und „Konflikte gelöst“ werden.

„Die Dynamik der Reaktionen in den letzten Jahren deutet darauf hin, dass Politik (oder was in Russland darunter verstanden wird) weniger öffentlich und vorhersehbar wird: Von 2018 bis 2020 ist der Anteil der Bürger, die die Regeln der Politik nicht kennen, um 20 Prozent gestiegen – von 23 auf 43 Prozent, und diejenigen, die von „Spielen ohne Regeln“ sprechen um 16 Prozentpunkte auf 45 Prozent der Befragten. Die Vorstellung einer modernen wettbewerbsorientierten öffentlichen Politik, in der die Bürger einander gleichgestellt sind und in der es einen Dialog gibt, eine Suche nach für alle akzeptablen Lösungen, bleibt den meisten Russen fremd“, so Patruschew.

Den Grund dafür sieht der Autor der Studie „in der unpolitischen, nicht-öffentlichen und nicht-repräsentativen Natur“ der jetzigen russischen Macht, die die „Züge der Herrschaft hat“. „Die Beherrschung moderner Praktiken ist eine Voraussetzung für die Schaffung nachhaltiger strategischer Entwicklungskoalitionen, die auf der Selbstorganisation der Bürger in Zusammenarbeit mit staatlichen Strukturen basieren und die Prinzipien der politischen und rechtlichen Gleichheit und der inklusiven Politik verkörpern. Institutionelle Restriktionen führen zur Verdrängung von Protesten außerhalb rechtlicher Verfahren und können sich auf den politischen und rechtlichen Raum Russlands insgesamt auswirken.“

Umfragen zeigen, dass junge Menschen in Russland einen höheren Anspruch auf Teilhabe am politischen Leben haben als die ältere Generation. Junge Menschen sind optimistischer in Bezug auf das Potenzial der Selbstorganisation russischer Bürger zur Lösung gemeinsamer Probleme, sie glauben häufiger, dass Proteste eine Manifestation bürgerlicher Verantwortung sind, und sie vertrauen Demonstranten in politischen Fragen mehr. Wenn es um den Einfluss der Bürger auf die Entscheidungen der Behörden geht, wählen Jugendliche häufiger die Optionen „Ausweitung der Freiheiten notwendig“ und „Dialogbereitschaft der Behörden“.

[hrsg/russland.NEWS]

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