Russlands Einzelhandel kämpft mit Absatzproblemen

Von Ullrich Umann Moskau (gtai) – Russlands Einzelhandel befindet sich in einer Absatzkrise. Sinkende Realeinkommen, Sparzwänge der Privathaushalte und Unternehmen, teure Konsumentenkredite und Wechselkursschwankungen stellen die Händler vor Probleme. Als Gewinner könnten am Ende die großen Einzelhandelsketten dastehen. Diese erschließen derzeit das flache Land und setzen kleine und mittlere Händler einem Verdrängungswettbewerb aus. Im Fernen Osten haben die ersten Baumarktketten eigene Verkaufsniederlassungen eröffnet.

Deutsche Exporteure von kurz- und langlebigen Konsumgütern müssen 2015 in Russland mit einem weiteren Rückgang der Nachfrage rechnen. Eine der wenigen Ausnahmen bilden Premiumautomobile aus Deutschland, die der verbliebenen kaufkräftigen Bevölkerungsoberschicht neben ihren erstklassigen Gebrauchseigenschaften sowohl als Statussymbol als auch als Wertanlage gute Dienste leisten.

Etwa die Hälfte der russischen Einzelhandelsunternehmen wies im 1. Quartal 2015 Umsatzrückgänge aus. Für die gesamte Branche stellte der Föderale Statistikdienst (Rosstat) im Vorjahresvergleich einen Einbruch des Umsatzes um 6,7% und gegenüber dem 4. Quartal 2014 sogar um 23,6% fest. Ursache war ein Nachfragerückgang seitens privater Haushalte, aber auch seitens der Wirtschaft. Um gegenzusteuern, erhöhten die Händler die Preise und dünnten ihr Sortiment aus. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie zum „Geschäftsklima im Einzelhandel“ des Konjunkturforschungsinstituts der Moskauer Hochschule für Ökonomie.

Geschäftsklima im Einzelhandel am Boden

Generell ist das Geschäftsklima im Einzelhandel im Frühjahr 2015 so schlecht wie seit der internationalen Finanzmarktkrise in den Jahren 2008 bis 2010 nicht mehr. Wirtschaftliche Stagnation und die gesunkene Nachfrage drücken die Stimmung in der Branche. Das Konjunkturforschungsinstitut bei der Moskauer Hochschule für Ökonomie hat dazu eigens 3.000 Einzelhändler befragt. Rund 35% der Antwortenden gaben an, dass die Bestellungen bei ihnen im Vergleich zum 4. Quartal 2014 spürbar eingebrochen seien. Rund 66% verwiesen auf die sinkende Kaufkraft der Kundschaft.

Am verheerendsten waren die Einbrüche im Einzelhandel bei Wohnmöbeln, Fußbodenbelägen und Haushaltsartikeln, so die Studie. Schlecht entwickelten sich auch die Absätze im Handel mit Elektrohausgeräten, Straßenfahrzeugen und Ersatzteilen dafür. Schlechte Ergebnisse verzeichneten ebenfalls Handelsfirmen für industrielle Ausgangsmaterialien, Rohstoffe und fertige Industrieerzeugnisse (B2B), darunter Anbieter von Erzen und Metallen, Holz, Baumaterialien, Maschinen jeder Art und Ausrüstungen.

Einzelhandel mit Waren des täglichen Bedarfs relativ krisenfest

Am besten ging es im 1. Quartal 2015 immer noch Handelsunternehmen für Pharmazeutika, Nahrungsmittel, Kosmetika, Hygieneartikel, Parfüms und Haushaltschemie. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Waren des täglichen Bedarfs, an denen die Bevölkerung kaum sparen kann, ohne spürbar an Lebensqualität zu verlieren.

Noch im 4. Quartal 2014 verzeichnete der Einzelhandel eine Sonderkonjunktur, als im Zuge der drastischen Rubelabwertung die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern stark angestiegen war. Teilweise kamen Verkäufer kaum nach, die Regale neu zu bestücken. Fotos und Filmaufnahmen von langen Warteschlangen an den Kassen und leer gefegten Verkaufsflächen, insbesondere bei Heimelektronik, machten die Runde in den Massenmedien. Autohändler gingen sogar dazu über, Beratungsmuster zu verkaufen, da alle anderen Wagen schon vergeben waren. Im 1. Quartal 2015 war es mit dieser kurzfristigen Hausse aber wieder vorbei. Der Rubel machte die Verluste im Außenwert teilweise wieder wett und die Importpreise begannen zu sinken. Der breiten Bevölkerung ist durch den Massenansturm vom Dezember inzwischen schlicht und ergreifend das Geld für zusätzliche Anschaffungen ausgegangen. Teilweise wurde im Januar versucht, die im Dezember hastig gekauften Waren den Händlern wieder zurück zu geben.

Kaufkraft und Ersparnisse sinken

Neue Konsumentenkredite sind 2015 entweder nicht erhältlich oder durch die Leitzinsanhebung (auch wenn das Zinsniveau zwischenzeitlich wieder etwas gesenkt wurde) sündhaft teuer geworden. Seither bleiben den Geschäftsinhabern sprichwörtlich die Kunden weg. Ladenschließungen auf Moskaus prächtigster Einkaufsmeile, Twerskaja uliza, führten dazu, dass dort inzwischen von „klaffenden Zahnlücken“ gesprochen wird. Das pompös renovierte Kinderkaufhaus „Detskij Mir“ war zur Neueinweihung längst nicht voll vermietet. Anderen Malls und Kaufhäusern geht es nicht besser. Die Überkapazitäten bei Verkaufsflächen sind offensichtlich, insbesondere in den Großstädten.

Mittelgroße und kleine Städte müssen von den Einzelhandelsketten dagegen erst noch erschlossen werden. Der Zuzug der Handelsketten dorthin bewegt sich unaufhörlich vorwärts. Die Folge ist eine massenhafte Verdrängung kleiner Einzelhändler und Kioskbetreiber.

Baumärkte sind Pioniere bei der Erschließung der russischen Regionen

Große Handelsketten münzen ihre wachsenden Marktanteile in Zusatzgewinne um, die sofort wieder in die Erschließung weiterer Regionen fließen. Am Ende dieser noch Jahre dauernden Entwicklung winkt der logistisch erst schlecht erschlossene Ferne Osten, in denen sich Einzelhandelsketten bislang nur vereinzelt vorgewagt haben.

Zu den Vorreitern im Fernen Osten gehören eindeutig die Do-it-yourself-Märkte. Die französische Kette Leroy Merlin kündigte an, spätestens bis 2017 mit eigenen Baumärkten in die Region Chabarowsk vorstoßen zu wollen.

Handelsketten unterbieten Preisniveau

Dabei setzt sich Leroy Merlin das Ziel, in allen Warengruppen die Preise der Konkurrenz stets um 5% zu unterbieten. Dafür geht der Konzern unter anderem Kooperationen mit lokalen Herstellern ein, um nicht das gesamte Sortiment aus dem europäischen Teil Russlands oder gar aus der Europäischen Union einführen zu müssen. Im Jahr 2014 eröffnete Leroy Merlin Baumärkte in Zelenograd, im Gebiet Moskau, Nowosibirsk, Ufa, Samara und im sibirischen Krasnojarsk. Nach Zahlen aus dem Jahr 2013 kontrollierte der französische Konzern 11% des russischen Marktes für Waren des Baubedarfs. Damit ließ er damit die deutsche Kette Obi hinter sich. Zur Abrundung seines Angebots betreibt Leroy Merlin einen regen Online-Handel. Etwa 5% des Umsatzes sollen auf Bestellungen aus dem Internet zurückgehen.

OBI hält mit eigenen Expansionsplänen dagegen. Die zur Tengelmann-Gruppe gehörende Baumarktkette will bis Ende 2017 weitere 18 Filialen in Russland eröffnen. Nach den Worten von Ian Strickland, Managing Director von OBI Russia, sollen davon zwölf Filialen in angemieteten und sechs Filialen in neu errichteten Gebäuden entstehen. Das Investitionsvolumen wird mit rund 250 Mio. Euro angegeben. Bislang ist OBI in Russland mit 24 Märkten vertreten, wovon sich mehr als die Hälfte in Moskau (8) und Sankt Petersburg (5) befindet.

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