Russland ringt um einen Anti-Krisen-Plan

[von Bernd Hones] Russland streitet über die richtige Strategie gegen die Krise. Die Regierung will 18 Mrd. Euro in die Hand nehmen und damit angeschlagene Banken retten, Staatsgarantien gewähren, einzelnen Branchen unter die Arme greifen und die Außenwirtschaftsbank VEB stärken. Mit Staatsaufträgen sollen russische Firmen gestützt werden. Das Ziel: weniger Importe. Kleine Firmen dürfen sich über Erleichterungen freuen. Dafür soll es kaum soziale Geschenke geben.

Für Präsident Putin stehen die Ursachen der Wirtschaftskrise fest: Diese liegen außerhalb Russlands – auf den internationalen Rohstoffmärkten und bei den Ländern, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Diese Auffassung vertritt der russische Präsident in jedem Interview. So wird er auch aus der Sitzung mit Kabinettsmitgliedern und Wirtschaftsexperten zitiert, mit denen er am 21.1.2015 über einen Antikrisenplan beriet. Russlands mächtigster Mann steht diesem Plan im Großen und Ganzen wohlwollend gegenüber. Doch die wichtigste Frage bleibt: Wie soll der Kraftakt finanziert werden?

Antikrisenplan der russischen Regierung
Am Dienstag, 27.1.2015, will die Regierung einen Antikrisenplan verabschieden. Auch wenn die Öffentlichkeit erst wenige Details dieses Plans kennt, so gibt es bereits klare Aussagen hinsichtlich des Volumens. Das staatliche Hilfsprogramm soll 1,375 Billionen Rubel (über 18 Mrd. Euro; EZB-Wechselkurs vom 21.1.2015: 1 Euro = 76,12 Rubel) schwer sein, so Vizepremier Igor Schuwalow.

Informationen der Wirtschaftszeitung „Kommersant“ zufolge gibt es 62 Einzelmaßnahmen, die in den kommenden Wochen und Monaten umgesetzt werden sollen. Manche sogar sofort. Die teuersten davon sind staatliche Stützungsaktionen für den Bankensektor. Die Vneschekonombank (VEB) soll 300 Mrd. Rubel aus dem staatlichen Wohlstandsfonds erhalten. Mit diesem Geld soll die VEB systemrelevante Unternehmen sanieren. Doch wer genau gerettet wird – das bleibt unklar. Eine Liste der antragsberechtigten Unternehmen, wie in der Krise 2008/09, gibt es bislang nicht. Fest steht dagegen: Jeden Antragsteller vor dem Bankrott retten, das kann die VEB nicht. Dazu reichen selbst 300 Mrd. Rubel nicht aus. Die Regierung wird ihre Entscheidungen vielmehr von Fall zu Fall treffen.

Weitere 250 Mrd. Rubel dienen der Kapitalerhöhung ausgewählter Banken. Während bis vor kurzem vor allem die Rede von der Gazprombank und der Außenhandelsbank VTB war, fehlt in der neuesten Fassung des Antikrisenplans der Hinweis auf diese beiden Banken. Damit können sich womöglich auch etwa 30 andere staatliche und private Banken Hoffnung auf eine Eigenkapitalspritze machen. Des Weiteren sollen die russischen Regionen Transferleistungen in Höhe von 160 Mrd. Rubel erhalten, die diese wegen ihrer teils prekären finanziellen Lage auch dringend benötigen.

Der Katalog soll eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung kleiner Unternehmen enthalten, meldet die Wirtschaftszeitung „Kommersant“. Doch bekannt geworden sind nur die Vorschläge von Wirtschaftsminister Uljukajew, die aus dem Maßnahmenkatalog gestrichen wurden. Beispielsweise die Idee, Kleinstfirmen und Einzelunternehmer zwei Jahre lang von Steuern zu befreien. Oder das feinmaschige Netz von staatlichen Kontrollen und Prüfungen etwas aufzuschnüren. Doch genau diese Punkte werden nicht umgesetzt.

Dafür dürfte es Zugeständnisse an Russlands Agrarfirmen geben. Auch die verarbeitende Industrie soll unterstützt werden. Wie genau die Hilfen aussehen, wie hoch sie ausfallen und was sich die russische Regierung davon verspricht, bleibt bislang offen.

Kaum Geld für soziale Wohltaten
Russlands Bürgerinnen und Bürger müssen sich auf harte Jahre gefasst machen. Die meisten Vorschläge im Sozialbereich fielen dem Rotstift zum Opfer. Dazu zählt auch eine außerplanmäßige Aufstockung der Rente um die rund 11% Inflation des Jahres 2014. Diese Idee hat sich nicht durchgesetzt. Wohltaten im Sozialsektor gibt es nur wenige. Beispielsweise will die russische Regierung die Preise für Arzneimittel stabilisieren. Außerdem sollen Russlands Subventionsempfänger anstelle von Geld- wieder Sachleistungen erhalten.

Finanzierung wird zur Gratwanderung
Es gibt auch eine grobe Linie, wie das 18 Mrd. Euro schwere Rettungsprogramm finanziert werden kann. Vor allem der Fonds für Nationalen Wohlstand wird geplündert. Aus diesem Fonds sollen 550 Mrd. Rubel entnommen werden. Zum 1.12.2014 lagerten darin 3.944,12 Mrd. Rubel (79,97 Mrd. US$); das entspricht 5,1% des Bruttoinlandsprodukts. Auch der Reservefonds muss bluten. Allerdings fließen diesem Fonds, der zum 1.12.2014 rund 4.386,91 Mrd. Rubel (88,94 Mrd. US$; 6,1% des BIPs) umfasste, wegen der geringeren Erdöleinnahmen aktuell wesentlich weniger Mittel zu als geplant. Deshalb soll der Abfluss der Gelder aus dem Reservefonds auf zwei bis drei Jahre gestreckt werden. Weitere 160 Mrd. Rubel werden als Haushaltskredite herausgelegt, neue Staatsanleihen sollen 157,5 Mrd. Rubel einbringen, die Staatsausgaben werden um 257 Mrd. Rubel erhöht und föderale Staatsgarantien sollen 232,5 Mrd. Rubel absichern.

Natürlich muss an anderer Stelle gespart werden. Ganz oben auf der Streichliste stehen Ausgaben für die Staatsprogramme (föderale Zielprogramme zur Entwicklung von Industriebranchen). Damit könnten die bislang geplanten Ausgaben um 10 bis 15% gesenkt werden, sagte Vizepremier Arkadi Dworkowitsch gegenüber dem Nachrichtendienst Interfax.

Der Plan der Regierung könnte aufgehen, sagen russische Volkswirte, sofern der Preis pro Barrel Erdöl der Sorte Urals im Jahresdurchschnitt 2015 bei 60 $ liegen wird – oder darüber. Bleibt der Ölpreis aber unter diesem Niveau, dann lässt sich der Antikrisenplan unmöglich finanzieren. Deshalb wartet Russland gespannt auf die nächste Prognose des Wirtschaftsministeriums mit dem Basis-Ölpreis, der für den Staatshaushalt zugrunde gelegt wird. Erwartet wird diese Prognose für den 1. Februar 2015. Die Energy Information Administration der USA geht jedenfalls für 2015 von einem durchschnittlichen Ölpreis von 58 $ aus, die Economist Intelligence Unit von 54 US$.

Finanzministerium und Zentralbank äußern große Bedenken
Unklar bleibt auch, ob sich Wirtschafts- und Finanzministerium sowie die russische Zentralbank auf die Gründung einer Bad Bank verständigen können. Bis zum 30.1.2015 sollen diese drei Behörden ihre jeweiligen Positionen darlegen. Doch auch hier stellt sich die Frage: Woher will die Bad Bank das Geld nehmen? Eventuell aus den Resten des Wohlstandsfonds, vermutet die Wirtschaftszeitung „Kommersant“. Darum reißen sich jedoch auch die Unternehmen Rosneft und Novatek.

Das russische Finanzministerium kritisiert am Antikrisenplan, dass es bislang überhaupt keine Projektionen zu den möglichen Effekten des Programmes gibt. Auch fehle eine Risikoanalyse, schreiben die Beamten von Finanzminister Siluanow in einem Brief, welcher der Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ vorliegt. Außerdem halten die russischen Finanzexperten das Timing für die Verabschiedung des Antikrisenplans für extrem schlecht – wenige Tage bevor das Wirtschaftsministerium seine makroökonomische Prognose mit dem für Russland zentralen Ausblick auf den Ölpreis bekannt gibt. Die Befürchtungen der Finanzbeamten sind klar: Sie haben Angst, der Antikrisenplan könnte das Budget sprengen. Und diese Gefahr besteht. Denn das Finanzministerium erarbeitet gerade einen neuen Staatshaushalt, der bei einem Erdölpreis von 70 $ pro Barrel ohne neue Schulden auskommen soll. Doch von diesem Niveau ist der tatsächliche Ölpreis zurzeit weit entfernt.

Jewsej Gurwitsch, Leiter der russischen Economic Expert Group, beschreibt das Dilemma wie folgt: Den Wohlstandsfonds dürfe man nur dann (fast) halbieren, wenn man mit Sicherheit annehmen könne, dass der Erdölpreis bald wieder ein Niveau von 100 $ pro Fass erreichen werde. Doch selbst wenn der Ölpreis auf Jahressicht 70 $ betragen würde, rechnen Experten mit einem Haushaltsdefizit von 3%.
(H.B.)

Erstveröffentlichung in Germany Trade & Invest

Germany Trade & Invest ist die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing. Die Gesellschaft vermarktet den Wirtschafts- und Technologiestandort Deutschland im Ausland, informiert deutsche Unternehmen über Auslandsmärkte und begleitet ausländische Unternehmen bei der Ansiedlung in Deutschland.

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