Russland: Das deutsche Sanktionsgegner-Ritual

[Kommentar von Roland Bathon] Es ist schon zu einem festen Ritual der deutschen Politik geworden. Ein prominenter Politiker macht den Vorschlag, die Sanktionen gegen Russland abzubauen oder fallen zu lassen und damit die internationale Lage zu deeskalieren. Umgehend ertönt ein gemischtes Protestkonzert, als Solisten entrüstete Journalisten großer Medien, dann politische Gegner des Betroffenen, die meinen „das darf ja wohl nicht wahr sein“ und abschließend Parteifreunde, die in Mikrofone der entrüsteten Journalisten diktieren „das war mit uns nicht abgesprochen und wir denken da ganz anders“.

Viel Aufregung für nichts

Das große Fragezeichen bei all dem Zirkus besteht darin, warum die Sanktionsgegner, für deren Meinung es gute Gründe gibt, sich nicht zusammenschließen, sondern jeweils einzeln vorpreschen, um sich dann von allen Seiten anschnauzen zu lassen, woraufhin sie das Thema wieder in die Versenkung entlassen – heißen sie nun Gabriel, und waren bis vor kurzem immerhin Außenminister, oder Lindner oder Kubicki.

Denn so werden sie für das, was sie als richtig empfinden, nichts erreichen. Wacker und dauerhaft äußert sich von den Sanktionsgegnern dagegen nur der frühere SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck, der das aber als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums fast schon muss. Er wagte sogar den noch größeren Affront: Den Vorschlag, dass die Krim-Bewohner unter internationaler Aufsicht selbst über ihre staatliche Zugehörigkeit entscheiden sollen. Das geht nach Meinung vor allem der entrüsteten Journalisten überhaupt nicht – Demokratie in Russland, wo kämen wir da hin!

Mainstream-Abweichler kommen von SPD und FDP

Es sind in Richtung zur politischen Mitte nicht zufällig gerade Politiker von SPD und FDP, die zu den Sanktionsgegnern zählen. Denn die Sanktionen schaden besonders der deutschen Wirtschaft, viel mehr als den radikalisierten Engländern oder Amerikanern ohne starke Wirtschaftsbeziehungen mit Moskau – und Wirtschaftsinteressen sind für die FDP natürlicher Inbegriff ihres Eigeninteresses. Eine kleine Rolle mag auch die frühere Außenpolitik der Marke Hans-Dietrich Genscher spielen, der zur Zeit der sozialliberalen Koalition gegenüber den damals ebenfalls „bösen Kommunisten“ nicht auf eine Verhärtung von Fronten setzte – anders als die damalige (und heutige) CDU.

Bei der SPD kommen noch politisch wesentlich höher gesteckte Ziele ins Spiel. Denn die traditionelle Ostpolitik der Partei setzt auf „Wandel durch Annäherung“, lehnt eine moralisierende Außenpolitik ohne Anerkennung tatsächlicher strategischer Interessen der Länder ab. Bei diesen beiden Prämissen kann man die aktuelle Russlandpolitik von Deutschland, der EU und dem Westen insgesamt nicht gutheißen. Denn diese setzt ausschließlich auf Konfrontation und begründet dies eben moralisierend – man selbst ist die Kraft des Guten, die Bösen sind die anderen.

Selbst in der SPD gibt es immer wieder Menschen, die sich an ihre früheren Grundsätze noch erinnern. Sie sind dabei zwar in der Defensive, aber intern in allerbester Gesellschaft ihrer eigenen Ikonen – Ex-Kanzler Helmut Schmidt war bis zu seinem Tod ein vehementer Russland-Sanktionsgegner und warnte in zahlreichen Reden vor der Konfrontation mit der Russischen Föderation (was die entrüsteten Journalisten in seinen Nachrufen voll des Lobes beflissentlich ausließen). Egon Bahr, der Autor der SPD-Ostpolitik stieß bis zu seinem Ableben ins gleiche Horn. Bei beiden Politikern sind wohl viele Freunde einer deutsch-russischen Verständigung traurig, dass sie nicht ein bisschen älter geworden sind, um den jetzigen Scharfmachern gegenüber Russland die staatsmännischen Leviten lesen zu können. Ohne die Chance, sie als unfähige Nichtswisser oder romantisierte Russlandversteher hinzustellen. Oder als billigen Büttel Putins wie unisono bei Gerhard Schröder, der sich diesen Ruf jedoch unzweifelhaft selbst erworben hat.

Völlig fehlende Koordination der Sanktionsgegner

Warum koordinieren sich die noch lebenden Sanktionsgegner nicht – schließen sich nicht in einer parlamentarischen Initiative zusammen? Die Gründe dürften taktischer Natur sein – denn weitaus mehr Politiker, die den Konfrontationskurs gegenüber Russland ablehnen, finden sich in den Reihen der Linkspartei oder gar der AfD. Und mit denen will man als Vertreter einer der Mainstream-Parteien, wie SPD, FDP, CDU oder Grüne, nichts zu tun haben. Kaum hat man seine Initiative vorgeschlagen, applaudieren als einzige ausgerechnet die politischen Randparteien.

Natürlich bereitet es Schwierigkeiten, wenn man in einem Punkt ein politisches Ziel vertritt, für das auch Leute mit dem rechten Weltbild der AfD stehen. Diese Probleme darf man aber nicht so interpretieren, dass man stets deswegen falsch liegt, weil es auch Linke oder gar AfDler gibt, die zu diesem Punkt die gleiche Meinung vertreten. Wer zu seinen Überzeugungen steht, muss auch für sie eintreten, wenn der Applaus einmal aus der falschen Ecke kommt.

Wie viele der Sanktionsgegner aus Parteien der deutschen politischen Mitte wirklich zu ihren Überzeugungen stehen, wird man in den nächsten Monaten sehen. Wer nur einmal aufbegehrt, dann über den Mund gefahren den Schwanz einzieht und als Konsequenz daraus dieses Thema zukünftig lieber beschweigt, steht nicht zu seinen Überzeugungen.

Foto: Collage aus Gabriel Public Domain, Kubicki Landtag Schleswig-Holstein, Creative Commons 3.0, Moskau: Julia Dudnik, russland.NEWS

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