Russische Haushalte flüchten in den Konsum

Der schwächelnde Rubel und der Preisanstieg haben die Bürger gezwungen, ihre Spareinlagen zu verringern und die Nachfrage zu steigern. Diese „Veränderungen im Konsummodell der Haushalte“ stellt das Wirtschaftsministerium im sozial-ökonomischen Monitoring für den Zeitraum Januar – Februar 2014 fest.

Diese fast schon panische Reaktion der Verbraucher erinnert die Analysten an den Krisenbeginn im Jahre 2008, mittelfristig sehen sie allerdings ein Abbremsen des Konsums wegen der Verschlechterung der Wirtschaftsperspektiven. Und der zu erwartende Anstieg der Arbeitslosigkeit wird ihn nahezu zum Erliegen bringen. Im Unterschied zur damaligen Krise hat die Regierung nicht die Absicht, die Beschäftigung mit allen Mittel hoch zu halten.

Das Wirtschaftsministerium gibt eine eindeutige Erklärung für den bemerkenswerten Anstieg des  Einzelhandelsumsatzes von 2,4 % im Januar auf 4,1 % im Februar 2014. „Vor dem Hintergrund der beginnenden Abwertung des Rubels erhöhte die Bevölkerung die Nachfrage. Das Konsummodell verschiebt sich vom Sparen zum Konsum“, heißt es im aktuellen makrowirtschaftlichen Monitoring des Ressorts.

Bei steigenden Geldeinnahmen im Januar von 5 % gegenüber dem Vorjahr stiegen die Ausgaben der Bevölkerung für den Kauf von Waren und die Bezahlung von Dienstleistungen um 8,5 % und die Sparguthaben – in Rubeln wie auch in Valuta – gingen um 57 Mrd. Rubel zurück. Im Januar 2013 waren sie um 183 Mrd. Rbl. gewachsen, erläuterte man im Ministerium.

Im Februar nahm, laut Rosstat, angeheizt vom beschleunigten Wachstum der Realeinkommen, auf 6 % von 5,2 % im Januar „die Verschiebung des Konsummodells“ Fahrt auf. „Die ersten beiden Monate (2014) zeigten uns ein Wachstum der Realeinkommen der Bevölkerung und die Einkommen sind höher, als zu Beginn des vorigen Jahres. Aber das fast vollständig nur im staatlichen Sektor. Das Wachstum der Realeinkommen im privaten Sektor lag praktisch bei Null“, erklärte Wirtschaftsminister Aleksej Uljukajew.

Michail Chromow vom Jegor-Gaidar-Institut für Wirtschaftspolitik merkte an, dass im Februar das Verhältnis des Einzelhandelsumsatzes zu den Einkünften der Bürger 51,9 % betrug, das sind 0,6 % mehr als vor einem Jahr. Und auf ihre  Bankkonten zahlten die Bürger allein im Februar, ausgehend von einer stabilen Sparrate, 170 Mrd. Rbl. „zu wenig“ ein. In Februar 2014 kamen 3,3 % der Einkommen als Einlagen auf die Bank, vor einem Jahr waren es noch 8,1 %.

Die Rosstat-Daten zeigen einen drastischen Umsatzanstieg beim Verkauf von Industriewaren – von 3,4 % im Januar auf 6,4 % im Februar 2014. Sowohl das Wirtschaftsministerium, wie auch die Analysten stellen fest, dass der Preisanstieg bei den Non-Food-Waren die Abwertung beschleunigt hat. Im März stieg die Inflation, nach Einschätzung von ING Russia, auf 6,9 %, übrigens hauptsächlich wegen der Lebensmittel. „Die Nachfrage nach Devisendeposita und Devisen-Bargeld ging zurück. Alle, die Valuta kaufen wollten, haben schon gekauft, und 37 Rubel für einen US-Dollar will niemand zahlen.“

Die Situation ist, so die Experten, ähnlich den Krisenjahren 2008-2009. Was gerade geschieht, sind die ersten Vorboten einer Krise. Auch damals floh die Bevölkerung in den Konsum und „verfraß“ die Spareinlagen, tätigte zuvor aufgeschobene Einkäufe. „Aber das hält nicht lange an“, glaubt die Leiterin des Institutes für makrowirtschaftliche Studien der Sberbank, Julia Zepljajewa.

„Die Beibehaltung der fast doppelt so hohen Dynamik des Handels gegenüber den Realeinkommen der Bevölkerung zeugt von einer nachlassenden Neigung der Bevölkerung zum Sparen“, hatte das Wirtschaftsministerium damals das vierte Quartal 2008 an der Schwelle zur akuten Phase der Krise beschrieben.

Auch andere Analysten denken ähnlich wie Zepljajewa. Im Unterschied zu 2008 ist die Bevölkerung der Russischen Föderation viel mehr verschuldet, was es nicht erlauben dürfte, bei der nachlassenden Dynamik der Einkommen den Konsum auf Pump zu steigern: Im Januar-Februar 2014 gingen die Konsumkredite bereits um 0,3 % zurück, gegenüber einer Zunahme um 3,6 % im selben Zeitraum 2013.

Bereits im März deutete sich eine leichte Änderung der Tendenz an. „Wenn im Februar die Konsumnachfrage von der Flucht in die Waren und dem warmen Wetter unterstützt wurde, so wirkte die Beschleunigung der Inflation im März, wahrscheinlich, in die Gegenrichtung. Auch die Dynamik der Einkommen sollte vor dem Hintergrund weiterer Entlassungen und der Kostenoptimierung der Aufwände schwächer werden“, sagt Dmitrij Polewoj von der ING Russia.

Die weiteren Aussichten der Wirtschaft der Russischen Föderation hängen komplett von der Fähigkeit der Regierung ab, ein Wachstum der Investitionen auf den Weg zu bringen. Und obwohl in absehbarer Zeit die Ökonomen keinen rapiden Konsumrückgang erwarten, „kann man, wenn nichts dazwischen kommt, eine Zunahme der Spareinlagen und eine Abschwächung des Konsums erwarten“, ist Julia Zepljajewa überzeugt. Bereits 2011 haben die Ökonomen der Weltbank in der Russischen Föderation nachgewiesen, dass am wichtigsten für die Aufrechterhaltung eines stabilen Konsumniveaus in der Russischen Föderation das Niveau der Beschäftigung ist, und nicht die Höhe des Einkommens oder der staatlichen Unterstützung.

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit um ein Prozent führt, so rechneten sie vor, zur Verringerung des Konsums um zwei Prozent, während ein Prozent BIP-Wachstum den Konsum um 0,8 % anhebt, ein Prozent des Preisanstieges für Erdöl aber nur ein Konsumplus von 0,07 % bringt, während „der Effekt der Wirtschaftspolitik als schwach und verhältnismäßig unbedeutend“ bewertet wird. Kurzfristige Schwankungen der Ertragslage führen nicht zu bedeutenden Veränderungen beim Konsum, was durch die Besonderheit des Arbeitsmarktes in der Russischen Föderation erklärt werden könnte, wo die Anpassung an Negativschocks durch Lohnkürzungen und nicht Personalabbau geschieht.

„Die Situation auf dem Arbeitsmarkt bleibt günstig. Das Niveau der Arbeitslosigkeit lag im Februar den dritten Monat nacheinander bei 6,5%“, so das Wirtschaftsministerium. Aber die Daten über die Dunkelziffer der Arbeitslosigkeit werden von Rosstat seit Mitte 2010 nicht mehr veröffentlicht, als sie auf dem Höhepunkt der vorherigen Welle der Krise 1,4 Millionen bei 9,6 Millionen offiziell gemeldeten Arbeitslosen betrug. Aber im Unterschied zu 2008 betonte die Regierung, dass sie diesmal die Beschäftigung künstlich hoch halten will. Das muss sich zwar nicht unbedingt auf die Statistik auswirken,weil viele arbeitslose Russen auf den Gang zum Arbeitsamt verzichten,  aber die nach wie vor geringe Wettbewerbsfähigkeit russischer Industrie- und Konsumgüter könnte die Auswirkungen der damaligen Krise noch übertreffen.

Das Gezerre um die Ukraine wird hier ein Übriges tun, so das auch Russland an einer baldigen und dauerhaften Entspannung der Situation interessiert sein sollte, will man die Krise einigermaßen in den Griff bekommen.

Hartmut Hübner-russland.RU

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