„Risikobetriebe“ sollen Arbeit zur WM aussetzen

Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 sollen Betriebe, die mit gesundheitsschädigenden Materialien arbeiten, ihre Arbeit in den WM-Städten und deren Umgebung einstellen oder auslagern. Die Anweisung des FSB soll verhindern, dass WM-Gäste oder Akteure im Falle eines Unfalls einer akuten Gefahr ausgesetzt sind. Unternehmer und Arbeiter fürchten den Verdienstausfall.

Bei den Unternehmen herrsche große Unsicherheit, wie man mit der Anweisung des Inlands-Geheimdienstes FSB umzugehen habe. Angedacht war zunächst, dass Unternehmen, die mit „gefährlichen chemischen und biologischen Stoffen, radioaktiven, giftigen und explosiven Substanzen“ arbeiten und in unmittelbarer Nähe zu einem WM-Stadion angesiedelt sind, ihre Betriebstätigkeit ganz einstellen müssten. Gemeinsam wird nun nach Kompromissen gesucht, die den Schaden in Grenzen halten können.

Das Schreiben des FSB, das bereits im Januar an die Unternehmen versandt wurde, sorgte zunächst für große Verunsicherung. Vor allem bei den Arbeitnehmern, die zu Recht befürchteten, dass sie unbezahlt freigestellt würden. Die Betriebe wiederum verwiesen auf nicht unbeträchtliche Verdienstausfälle. Betroffen wären demnach von Kernkraftwerken über Raffinerien bis hin zu Mischfutter-Herstellern sämtliche Produktionsstätten, von denen im Ernstfall potentielle Gefahr ausginge. Vorgesehen war eine „Bannmeile“ von 200 bis 400 Kilometern im Umkreis der Stadien. Wie sich in diesem Zusammenhang herausstellte, sei der Gedanke nicht einzigartig, würde jedoch nur sehr selten in die Praxis umgesetzt.

Alles für das Wohlergehen der Besucher

Vor den Olympischen Sommerspielen in Peking im Jahr 2008 wurden über 200 Anlagen von der chinesischen Regierung geschlossen, um den Smog über der Stadt einzudämmen. 2012 war der letzte Hochofen im örtlichen Hüttenwerk für die Fußball-Europameisterschaft im ostukrainischen Donezk erloschen. In Russland sind solcherlei Maßnahmen durch einen Erlass des Präsidenten vom 9. Mai 2017 und dem Regierungsdekret vom darauf folgenden 9. Juni gesetzlich geregelt. Dies betrifft „gefährliche Industrieanlagen und Organisationen, die Quellen für ionisierender Strahlung, gefährliche chemische und biologische Substanzen, radioaktive, toxische und explosive Substanzen darstellen. Allerdings sind die Standards für diese Gefahren nicht im Detail geklärt.

Bereits im November 2017 beschwerte sich der Vorstand des Verbandes der Industriellen und Unternehmer, Alexander Schochin, über die Risiken der Auslegung des Gesetzes, beim ersten stellvertretenden Ministerpräsidenten Igor Schuwalow. Die Zeitung Kommersant veröffentlichte daraufhin ein Schreiben, das einem chemischen Unternehmen der Region Nischni Nowgorod vom regionalen FSB zugestellt wurde. Darin hieß es, dass der Betrieb eingestellt werden solle. Man verwies auf eine Liste von Unternehmen, die unter die Beschränkung fallen, die mittels eines regionalen Gutachten erstellt wurde.

Wenn eine Schließung nicht möglich sei, solle die Firmenleitung eine Erklärung mit einem Hinweis auf die Konsequenzen im Ernstfall abgeben. Inklusive des wirtschaftlichen Schadens, der dadurch entstehe. Das betroffene Werk teilte dem Kommersant mit, dass die Suspension vor dem Spiel Schweden gegen Südkorea am 18. Juni erwartet wird. Ab 14. Mai müssten die Mitarbeiter in, vermutlich unbezahlten, Urlaub gehen und das Unternehmen rechnet mit Verlusten von mehreren Millionen US-Dollar.

Drohende Verluste in Milliardenhöhe

Den Brief mit dem gleichen Wortlaut ging an fast alle wichtigen Werke der WM-Regionen, darunter die Kstowski Raffinerie, die Firma SIBUR RusVinil, Emery, eine Tochter von Rosatom, die Swerdlow Munitionsfabrik, Synthesis und auch die, 200 Kilometer entfernte, landwirtschaftliche Zuchtanlage Puschkinskaja ist wegen der Freisetzung von Staub durch Tierfutter zu stoppen. Insgesamt betreffe es geschätzte 135 Unternehmen. Die Betriebe einiger Regionen gingen schon bald dagegen vor, die Unternehmen in St. Petersburg weigerten sich kurzerhand zu schließen und verwiesen auf die Erfahrung mit dem ConFed-Cup 2017.

Eine Fabrik in Mordowien, die Farben und Lacke herstellt, antwortete mit der Begründung, dass sie mehr als tausend Menschen beschäftige und das in einer sich verschlechternden wirtschaftlichen Lage. Den Betrieb zu stoppen schade der Gesellschaft sowie der Region. Andere Saransker Werke argumentieren, dass es besser sei, wenn die Menschen mit Arbeit beschäftigt sind, statt in der Stadt mit Nichtstun abzuhängen. Unglücklich darüber, dass sie ohne Geld in Urlaub geschickt wurden.

Und siehe da: In einigen Fällen haben sich durch den Protest einige Unternehmen mit Rostechnadsor inzwischen auf Kompromisse einigen können. SIBUR in Nischni Nowgorod werde die Produktion nicht einstellen und begründete die Haltung mit technologischen und wirtschaftlichen Gründen. Man habe sich, so heißt es, jedoch darauf geeinigt, zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen zu beachten. Eine Anzahl von Stahlherstellern erklärte sich bereit, vorübergehend einige Produktionsschritte auszusetzen sowie ebenfalls die Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen. Definitiv geschlossen wird das Werk Roter Oktober in Wolgograd, da es direkt neben dem WM-Stadion liegt.

Andere Unternehmen, denen keine Ausweichmöglichkeit bliebe, würden ihren Betrieb weiterlaufen lassen, wie gehabt. Jedoch habe sich bei diesen die Firmenleitung verpflichtet, in vollem Umfang eigene Verantwortung für etwaige Unfälle zu tragen und auch zu haften. In den meisten Regionen jedoch sei die Situation noch völlig offen und sowohl die Betriebe als auch die Behörden stünden vor einem großen Fragezeichen. In einzelnen Fällen versprechen bereits die Gouverneure zwischen Staat und Firmen zu vermitteln, um „eine Lösung herzustellen, die sowohl die Sicherheit gewährleistet als auch einen Stopp des Betriebs verhindern kann“, wie es Jewgenj Kuywaschew, zuständig für die Region Jekaterinburg, formuliert.

Die beiden Kernkraftwerke im Leningrader Gebiet und bei Nischni Nowgorod, die ebenfalls von der Stilllegung betroffen gewesen wären, wurden ohnehin schon im Vorfeld stillschweigend ausgeklammert.

[mb/russland.NEWS]

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