Putzfrau wird Bürgermeisterin: „Keine Ahnung, was zu meinen Verpflichtungen gehört“Foto © russland.NEWS

Putzfrau wird Bürgermeisterin: „Keine Ahnung, was zu meinen Verpflichtungen gehört“

„Jede Köchin muss in der Lage sein, die Staatsmacht auszuüben“, meinte einst der Revolutionsführer Wladimir Lenin. Ungefähr 100 Jahre später ist es soweit.

Die 35-jährige Putzfrau Marina Udgodskaya gewann die am 13. September in der Region Kostroma abgehaltenen Kommunalwahlen und wurde Leiterin der kleinen ländlichen Siedlung Powalichinskoje. Dabei erhielt sie 61,7% der Stimmen – fast doppelt so viel wie der derzeitige Bürgermeister Nikolai Loktew. Interessant, dass Marina zuvor fast fünf Jahre lang die Räumlichkeiten der Siedlungsverwaltung geputzt hatte.

Marina erzählte den Journalisten, dass sie nur ein „Strohfrau“ war, um eine „alternative“ Wahl für den amtierenden Bürgermeister zu ermöglichen. Loktew hat sie selbst darum gebeten, weil es sonst niemanden mehr gab. „Ich habe nicht gedacht, dass Menschen für mich stimmen werden. Ich habe gar nichts gemacht, aber Leute kamen und stimmten ab. Ich habe keine Ahnung, was zu meinen Verpflichtungen gehört. Ich habe noch nie mit Dokumenten zu tun gehabt“, gestand Udgodskaja.  Somit ist klar, dass dies eine Protestabstimmung gegen die Dominanz von Kandidaten aus der Partei Einiges Russland war. Marina ist Mitglied der „Russischen Partei der Rentner für soziale Gerechtigkeit“. Die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, Ella Pamfilowa, bestätigte, dass Udgodskaya eine „technische Kandidatin“ sei, bei den Wahlen wurde jedoch kein Betrug verzeichnet.

„Das Wahlverfahren ist seinem Wesen nach unzerstörbar. Solange Sie mindestens zwei Nachnamen haben, zwei Punkte im Wahlzettel, haben Sie immer die Möglichkeit eines unerwarteten Szenarios. Um diese Ungewissheit zu besiegen, müssen Sie nur wie die sowjetischen Behörden handeln: ein Punkt, ein Kandidat, eine Partei. Dann haben Sie Zuverlässigkeit. Die „Unzerstörbarkeit“ der Wahl ist eines der Dilemmata, die hybride Regime – die zwar nicht demokratisch sind, aber aus verschiedenen Gründen gezwungen sind, demokratische Institutionen zu imitieren – nicht lösen können: Sie wollen die äußeren Zeichen der Demokratie und die Stabilität, die die Wahlverfahren tatsächlich bieten, <…> aber sie wollen keine Wahlüberraschung riskieren. Hier kämpfen sie in dem Schraubstock, der von den klugen Erfindern des Wahlsystems für sie geschaffen wurde. Diese Mechanismen sind älter als die Buchstaben, aus denen unser Alphabet besteht, daher ist es schwierig, sie auszutricksen“, kommentierte den Sieg Udgodskajas die bekannte Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulmann im Radiosender Echo Moskwy

Mehrere Tage lang konnten die Anwohner von Powalichinskoje Marina Udgodskaja nicht finden. Dann gestand sie, dass sie sich vor der Presse versteckte. Aber heute hat die junge Politikerin ihr Amt angetreten, berichtet die Nachrichtenagentur Tass. „Marina Wiktorowna hat heute ihr Amt angetreten, wir werden bei dieser Gelegenheit keine feierlichen Ereignisse im Dorfrat haben, dies ist ein ganz gewöhnlicher Moment“, teilte die Siedlungsverwaltung mit. Am ersten Arbeitstag der neuen Bürgermeisterin sind mehrere Treffen geplant, unter anderem mit dem Leiter des Bezirks Chukhlomsky, sowie eine Aufführung mit einer Glückwunschrede bei einem Konzert zum Seniorentag. Zu den vorrangigen Plänen der Politikerin gehört der Bau eines Stausees in der Nähe des Dorfes, in dem Kinder schwimmen können. Es wird angemerkt, dass Udgodskaja anfangs einen Kurator von der Bezirksverwaltung bekommt, der ihr beratend zur Seite stehen wird.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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