Pro-russische Sympathien bei Russlands Nachbarn

[von Dr. Christian Wipperfürth] Die Nachbarländer betrachten Russland oft mehr oder minder als Bedrohung. Meinungsumfragen aber zeigen ein bemerkenswert differenziertes Bild.

Das amerikanische „Pew“-Institut ist das womöglich weltweit bedeutendste Meinungsforschungsinstitut. Es führt jährlich hunderte Umfragen durch, in den USA und weltweit. Die vorliegende Befragung wurde 2015/16 in 18 Ländern Ostmittel- und Osteuropas durchgeführt und im Mai 2017 veröffentlicht. (S. auch hier)

Die rot unterlegten Länder sind mehrheitlich orthodox, die hellblauen katholisch, die hellgrauen religiös gemischt und die Menschen im dunkelgrau unterlegten Tschechien sind mehrheitlich religiös nicht gebunden.

In den überwiegend orthodoxen Ländern ist eine teils überwältigende Mehrheit der Befragten der Ansicht, ein starkes Russland sei notwendig, um westlichen Einfluss auszugleichen. Dies gilt auch für die drei EU- und NATO-Mitglieder Griechenland, Bulgarien und Rumänien.

In der Ukraine allerdings sind lediglich – oder immerhin? – 22% der Befragten dieser Ansicht.

Selbst in den nicht-orthodoxen Ländern Ostmitteleuropas vertreten zwischen 34% und 55% der Bevölkerung die Ansicht, Russland sei notwendig, um westlichen Einfluss auszugleichen.

Der Wunsch nach einem starken Russland als Gegengewicht zum Westen ist aber nicht grundsätzlich anti-westlich motiviert.

Selbst in Russland und Weißrussland plädiert eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung für eine enge Zusammenarbeit mit Ländern des Westens. Bulgarien ist das einzige Land, in dem weniger als die Hälfte der Bevölkerung eine enge Zusammenarbeit mit westlichen Ländern wünscht.

Russland wird von bemerkenswert vielen Menschen in Ostmittel- und Osteuropa für ein notwendiges Korrektiv zum Westen gehalten. Warum?

  1. Eine wichtige Erklärung ist die Teilung zwischen der Ost- und den Westkirchen.

1054 spaltete sich die Kirche zwischen der West- (also der katholischen) und der Ostkirche (der orthodoxen) auf. Zudem muss z.B. die Schlacht auf dem Peipussee von 1242 und die Eroberung Konstantinopels 1453 genannt werden. Sie machte Russland für über 400 Jahre – und nunmehr wieder – zur „Schutzmacht der orthodoxen Christenheit“. Die genannten Jahreszahlen sind außerhalb des orthodoxen Kulturraums im Grunde nur Historikern wirklich geläufig, im orthodoxen Kulturraum sind sie hingegen identitätsstiftend. Dort gibt es seit Jahrhunderten ein latentes Misstrauen gegen die Länder des Westens, von dem man sich seit langem übervorteilt sieht. Man betrachtet sich als einen weiteren und unverzichtbaren Teil der abendländischen Kultur, die im Westen nicht hinreichend gewürdigt oder auch nur wahrgenommen wird. Dies trägt zu einem Gefühl der Verbundenheit zwischen den mehrheitlich orthodox geprägten Völkern bei, mit Russland als weithin akzeptierter Vormacht.

  1. Die Menschen in den Ländern Ostmittel- und Osteuropas sind konservativer als in den Ländern Westeuropas. Viele fürchten eine Aushöhlung der Nation und traditioneller Werte. Da liegt es nahe, gewisse Hoffnungen mit Russland zu verbinden. Russland kehrt somit zu der Rolle zurück, die es zeitweise im 19.Jahrhundert hatte: Schutz- und Vormacht der Konservativen auf dem europäischen Kontinent zu sein.

Der gegenwärtige westlich-russische Konflikt ist zwar ideologisch weniger aufgeladen als der westlich-sowjetische. Die weltanschaulichen Unterschiede sind aber ausgeprägter als vor zehn oder 20 Jahren. Sie verstärken bei vielen Menschen westlich der Grenzen Russlands die Vorbehalte gegenüber Moskau, andere hingegen verbinden Hoffnungen mit diesem großen Land.

 

Quellenangaben für die Abbildungen:

www.pewforum.org/2017/05/10/religious-belief-and-national-belonging-in-central-and-eastern-europe/

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