Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Russisches Leben – 14. Der russische Volksgeist und die russische Politik in Bezug auf jene Weissagung

Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Russisches Leben – 14. Der russische Volksgeist und die russische Politik in Bezug auf jene Weissagung

Aus: Russisches Leben in geschichtlicher, kirchlicher, gesellschaftlicher und staatlicher Beziehung. Nebst Reisebildern aus Russland während des ersten Erscheinens der Cholera.

Autor: Simon, Johann Philipp (?-?),

Erscheinungsjahr: 1855

Unter seines Vaters Regierung (1453) eroberten die Osmanen Konstantinopel. In dieser Zeit soll ein frommer russischer Mönch geweissagt haben, dass ein (russischer) Constantin nach Verlauf von 400 Jahren diese alte oströmische Residenz wieder erobern und das ehrene Kreuz auf der Kirche zur heil. Sophie wieder aufpflanzen werde. Wir erinnern hier an das, was wir bereits darüber gesagt haben.

Dass der Sohn des Kaisers Nikolaus, Groß-Admiral der russischen Flotte, ein kühner entschlossener und mit allen Eigenschaften eines militärischen Oberbefehlshabers von der Natur ausgestatteter junger Mann, in der heil. Taufe den Namen Constantin erhalten hat, mag wohl mehr in der Berechnung jener Weissagung, als in einem bloßen Zufalle gegründet sein; denn am 29. Mai 1853 waren die 400 Jahre verstrichen, und der Kaiser, wollte er sein ganzes Volk nicht im Glauben an die Verheißung wankelmütig machen, musste mit der hohen Pforte in Konflikt geraten! Durch die Montenegriner, die Glaubensgenossen der Russen, scheint der Anfang hierzu gemacht worden zu sein; denn viele russischen Patrioten aus allen Klassen der Gesellschaft, besonders aber die Geistlichkeit, murrten im Stillen, und mehrere derselben hatten sogar die Kühnheit, ihren Unwillen öffentlich darüber auszulassen, dass der Zar nicht sofort den Glaubensbrüdern zu Hilfe eilte.

Der junge Wladika, Fürst Danijlo, verweigerte bekanntlich dem Sultan den Tribut und die Folge davon war der Krieg. Selbst das gemeine russische Volk, welches von diesem Kriege hörte, glaubte mit Zuversicht, dass der Zar die treuen von dem mächtigen Erzfeinde so hart bedrohten Glaubensbrüder nicht im Stiche lassen würde, und die täglichen Gebete, welche in allen Kirchen Russlands zur Rettung der rechtgläubigen Brüder abgehalten wurden, ließen diese Hoffnung nicht zu Schanden werden. Dass aber der Kaiser so lange mit der tätlichen Hilfe zauderte, erregte eine außerordentliche Unzufriedenheit in vielen gebildeten Klassen der russischen Gesellschaft, obgleich man recht gut wusste, dass die andern Großmächte über eine solche Hilfsleistung auch etwas zu sagen haben und gewiss sagen würden, im Fall der Zar Anstalt träfe, den sehnlichen Wunsch seines Volkes zu erfüllen. Die grässlichen Taten aber, welche an das Wüten der Tataren in Russland während zweier Jahrhunderte hindurch erinnerten, nämlich die Enthauptung eines montenegrin’schen Bischofs zu Podgoriza durch die Türken und das Morden der unschuldigen Kinder hatten in Russland, namentlich unter der Geistlichkeit, eine unbeschreiblich reizbare Stimmung hervorgebracht, also, dass man mit Gewissheit schließen konnte, der Kaiser würde einen Handel mit der Türkei anfangen. Der Zar musste handeln im Geiste jener Weissagung wollte er sein Volk nicht um jenen Glauben bringen, der so große Früchte für die Politik und Macht Russlands trägt. Während dieses Streites der Türken mit den Montenegrinern, befand sich eines Tages, wie erzählt wurde, der um allgemeine Geschichte hochverdiente Archimandrit B… beim Civil-Gubernator Sch. zu Tafel. Ein hochangesehener evangelisch-lutherischer Geistlicher saß in seiner Nähe. Es war in den großen Fasten, die auch vom russischen hohen Adel in der Regel sehr strenge gehalten werden. Daher lässt es sich erklären, warum der russische Abt die Einladung zur Tafel beim Gubernator angenommen hatte. Diese beiden Personen sind indes sehr aufgeklärte Leute, und überdies war der Archierei, dieses Gouvernements, ein strenger Mönch, auf der Reise nach St. Petersburg, sonst hätte der Abt es vielleicht nicht gewagt, bei Tische der weltlichen Personen zu erscheinen. Man sprach bei Tafel mit großer Entrüstung von der schmählichen Ermordung jenes montenegrin’schen Bischofs und so vieler unschuldigen Kinder. Ist denn kein Gerontij da? fragte der gelehrte Abt seinen Nachbarn und sah dabei den Goubernator mit bedeutungsvoller Miene an. Dieser erschrak und mit ihm alle Gäste, welche die Bedeutung dieses Ausspruches fühlten.

Deutsche Leser, welche die Bedeutung dieses Satzes vielleicht weniger, als russische Zuhörer kennen, wird es interessieren, Näheres darüber zu vernehmen. Der gelehrte Abt hatte wohl jenen in der deutschen Geschichte so berühmten Ausspruch der neugekrönten deutschen Kaiser „Ist kein Dalberg da?“ in Erinnerung: nur mit dem Unterschiede, dass er dabei die Feigheit der russischen Kirchenoberhirten geißelte und an die Pflicht, und Kühnheit des Metropoliten Gerontij mahnte.

Derselbe war Kirchenoberhirt von Moskau und stand bei dem Fürsten Johann III. in hohem Ansehen. Er ließ diesem Herrscher, der da noch immer aus Furcht, zögerte, die Tataren mit Krieg zu überziehen, obgleich sich ihm eine günstige Gelegenheit darbot, ein Sendschreiben, das er nebst noch zwei andern Mönchen abfasste, zustellen, aus welchem wir dem Leser folgendes hier mitteilen:

„Uns liegt es ob, den Fürsten die Wahrheit zu sagen: was früher mein Mund sprach zu Dir, dem glorreichen irdischen Herrscher, darüber schreibe ich jetzt mit dem eifrigen Wunsche, deine Seele und den Staat zur Kraft zu entflammen. Als Du den weisen Rat des Metropoliten, Deiner Mutter, der rechtgläubigen Fürsten und Bojaren vernommen, als Du darauf gebetet und aus Moskau zu Deinem Heere in der Absicht zoget, den Feind des Christentums anzugreifen, da sanken wir, Deine aufrichtigen Fürbitter Tag und Nacht vor den Altären des Allerhöchsten nieder, auf dass der Herr Dich mit Sieg krönen möge. Allein was müssen wir hören? Achmat (der Tataren-Chan) rückt heran, würgt die Christenheit, droht Dir, wie dem ganzen Vaterlande, und Du lässt ihn gewähren, bittet ihn um Frieden und sendet ihm Gesandte; der Ungläubige aber schäumt vor Zorn und verachtet Dein Flehen! . . . Herrscher, welchen Ratschlägen folgst Du! Männern, die des christlichen Namens unwürdig sind! Und was raten sie Dir? Die Waffen weg zu werfen und die Flucht zu ergreifen! Bedenkst Du aber auch, von welchem Ruhme und zu welcher Erniedrigung sie Deine Größe herabziehen wollen? Das heilige Vaterland preis zu geben dem Feuer und dem Schwerte, die Kirche der Zerstörung, unzählige Menschen dem Untergange. Wessen steinernes Herz sollte nicht schon bei diesem Gedanken erweicht, welches Auge nicht in Tränen zerfließen? O, Herrscher! das Blut der Herde schreit zum Himmel, den irdischen Fürsten anklagend. Und wohin fliehen? wo wirst Du herrschen, wenn Du die von Gott Dir verliehene Herde vergeudest? Und machtest Du Dein Nest hoch wie die Adler, so will ich Dich denn noch von dannen herunter stürzen, spricht der Herr . . .

Quelle: http://www.lexikus.de/bibliothek/Russisches-Leben–14-Der-russische-Volksgeist-und-die-russische-Politik-in-Bezug-auf-jene-Weissagung

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