Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Russisches Leben – 12. Über die heidnischen Russen. Nach Dr. Frähn, weiland Akademiker zu St. Petersburg

Neues Altes vom Lexikus-Verlag – Russisches Leben – 12. Über die heidnischen Russen. Nach Dr. Frähn, weiland Akademiker zu St. Petersburg

Aus: Russisches Leben in geschichtlicher, kirchlicher, gesellschaftlicher und staatlicher Beziehung. Nebst Reisebildern aus Russland während des ersten Erscheinens der Cholera.

Autor: Simon, Johann Philipp (?-?),

Erscheinungsjahr: 1855 Themenbereiche Mittelalter  Politik, Gesellschaft, Wirtschaft  Russland Enthaltene Themen: Russland, Russen, Reisebericht, Russische Geschichte, Religion, Christentum, Cholera, Nowgorod, Hansezeit, Slawen

Über die Sitten und Gebräuchen der alten heidnischen Russen wusste man bis in die neuere Zeit äußerst wenig Zuverlässiges, und man weiß auch heut zu Tage nur wenig davon. Nestor, der Mönch im Kloster zu Kiew, war der erste, der über russische Geschichte schrieb. Er lebte im 11. Jahrhundert, und beleuchtete jenen Punkt nur schwach, sei es, weil es ihm an glaubwürdigen Nachrichten fehlte, oder weil ihm die Sache nicht wichtig genug schien. Das berühmte russische Geschichtswerk Karamsins war schon bereits gedruckt, als der Orientalist, Akademiker Dr. Frähn zu St. Petersburg, in Jarkuts geographischem Lexikon, Etwas, das den oben genannten Punkt näher beleuchtet, zu Tage förderte. Karamsin war darüber voll der äußersten Freude. Es ist nämlich die Erzählung des arabischen Schriftstellers, Ibn-Foszlan, der sich zur Zeit der Regierung Igors als Gesandter eines Kalifen in Russland befand. Wir teilen, nach der Übersetzung des berühmten Akademikers Frähn, einiges im Auszuge hier mit. Der arabische Gesandte erzählt also: „Russ, aus Rs geschrieben, ist ein Volk, dessen Land an das der Slawen *) und Türken grenzt. Sie haben ihre eigene Sprache, und eine Religion und ein göttliches Gesetz, worin sie mit keinem andern Volke etwas gemein haben. Ihre Kopfzahl schätzt man gegen 100.000. – Wird einem von ihnen ein Sohn geboren, so wirft ihm der Vater ein Schwert, hin und spricht: „Dein ist nur das, was Du mit deinem Schwerte erwirbst.“ Wenn ihr König (melik) zwischen zwei Widersachern einen richterlichen Ausspruch tut und diese damit nicht zufrieden find, spricht er zu ihnen: „Richtet unter euch selbst mit euren Schwertern.“ – Wessen Schwert dann das schärfste ist, dessen ist der Sieg. –

*) Damals waren viele Slawen von dem Fürsten von Nowgorod und Kiew noch nicht unterworfen; die unterworfenen aber hatten sich mit den Skandinaviern vermischt und hießen daher, nach Ruriks Namen, Russen.

Ich sah die Russen, wie sie mit ihren Waren angekommen waren und sich am Fluss Itil (Wolga) gelagert hatten. Nie sah ich Leute von so großem Körperbaue; sie sind hoch wie Palmbäume, fleischfarbig und rot. Sie tragen keine Kamisöler, auch keine Kaftane. Bei ihnen trägt der Mann ein grobes Gewand, das er um eine Seite herum wirft also, dass ihm ein Arm frei bleibt. Jeder führt eine Art, ein Messer und ein Schwert bei sich. Ohne diese Waffen sieht man sie niemals. Ihre Schwerter sind von europäischer Arbeit (efrandschije). Die Weiber haben auf der Brust eine kleine Büchse angebunden, sie besteht aus Eisen, Kupfer, Silber oder Gold. An diesem Büchschen ist ein Ring und an dem ein Messer ebenfalls auf der Brust befestigt. Um den Hals tragen sie silberne und goldene Ketten. Wenn der Mann nämlich 10.000 Dirhem (Silberstücke) besitzt, lässt er seiner Frau eine Kette machen; hat er 20.000, so bekommt sie zwei Ketten; und so erhält sie, so oft er 10.000 Dirhem reicher wird, eine Kette mehr. Daher befinden sich oft eine ganze Menge Ketten an dem Halle einer russischen Frau. – –

Die Russen sind die unsaubersten Menschen, die Gott erschaffen hat. Sie reinigen sich nicht – – wie wenn sie wild herum laufende Esel wären. – – Sie waschen sich (zwar) regelmäßig mit dem schmutzigsten Wasser, das es geben kann, Gesicht und Kopf. Morgens nämlich kommt das Mädchen und bringt eine große Schale mit Wasser, die es vor seinen Herrn hinstellt. Der wäscht sich darin Gesicht und Hände, alle seine Haare wäscht er und kämmt sie mit dem Kamme in die Schüssel aus. Darauf schnäuzt er sich und spuckt in dasselbe Gefäß, und lässt keinen Schmutz zurück, sondern tut ihn in dieses Wasser ab. Wenn er, was nötig war, verrichtet, trägt, das Mädchen die Schüssel mit demselben Wasser zu dem, der ihm zunächst ist. Der macht’s wie jener. Sie aber fährt fort, die Schüssel von dem einen weg und zu dem andern hinzutragen, bis sie bei allen, die im Hause sind, herum gewesen ist, von denen jeder sich schnäuzt und in die Schüssel spuckt und Gesicht und Haare in derselben wäscht. – –

Sobald der Russen Schiffe an einem Ankerplatz gelangt sind, geht jeder von ihnen ans Land, hat Brot, Fleisch, Zwiebeln, Milch und berauschendes Getränke bei sich und begibt sich zu einem aufgerichteten hohen Holze, das ein menschliches Gesicht hat und von kleinen Statuen derselben Art umgeben ist, hinter welchen sich noch andere hohe Hölzer aufgerichtet befinden. Er tritt zu der hohen hölzernen Figur, wirft sich vor ihr zur Erde nieder und spricht: „O, mein Herr! ich bin aus fernem Lande gekommen, führe so und so viele Mädchen (Sklavinnen zum verkaufen) mit mir und von Zobelfellen (semmur) so und so viel Felle“; und wenn er so alle seine Handelsware aufgezählt, fährt er fort: „Dir habe ich diese Geschenke gebracht!“ legt dann, was er gebracht, vor die hölzerne Statue und sagt: „ich wünsche nun, du beschertest mir einen Käufer, der brav Gold und Silberstücke hat, der mir abkauft Alles, was ich möchte, und der mir in keiner meiner Forderungen zu wider ist.“ – Dieses gesagt, geht er weg. Wenn nun sein Handel schlecht geht, und sein Aufenthalt sich sehr in die Länge zieht, so kommt er wieder und bringt ein zweites und abermals ein drittes Geschenk. Und hat er noch immer Schwierigkeiten in allem, was er wünscht und treibt, so bringt er einer von den kleineren Statuen ein Geschenk dar und bittet sie um Fürsprache, indem er sagt: „Dies sind ja unsere Herren, Frauen und Töchter.“ Und so fährt er fort, jede Statue, eine nach der andern anzusehen, sie um Fürsprache anzuflehen und sich vor ihr in Demut zu verbeugen. Oft geht dann sein Handel leicht und gut und er verkauft alle seine mitgebrachten Waren. Dann sagt er: „Mein Herr hat mein Begehr erfüllt. Jetzt ist meine Pflicht, ihm zu vergelten.“ Darauf nimmt er eine Anzahl Rinder und Schafe, schlachtet sie, gibt einen Teil des Fleisches den Armen, trägt den Rest vor jene große Statue und vor die um sie herum stehenden kleinen, und hängt Köpfe der Rinder und Schafe an das Holz auf, das in der Erde aufgerichtet steht. In der Nacht aber kommen die Hunde und fressen Alles auf. Dann ruft der, der es hingelegt, aus: „Mein Herr hat an mir sein Wohlgefallen, er hat alles aufgespeist!“ – –

Wird einer von den Russen krank, so schlagen sie ihm, entfernt von sich, ein Zelt auf; in dasselbe legen fiel ihn, und lassen neben ihm Wasser und Brot zurück. Nahe zu ihm treten sie dann nie, sprechen auch nicht mit ihm, ja, was noch mehr ist, sie besuchen ihn nicht einmal in all der Zeit seiner Krankheit, besonders, wenn es ein Armer oder Sklave ist. Wenn er genesen und von seinem Krankenlager aufsteht, so begibt er sich zu den seinigen zurück. Stirbt er aber, so verbrennen sie ihn; ist es jedoch ein Sklave, lassen sie ihn, wie er ist, bis er endlich eine Beute der Hunde oder Raubvögel wird. – –

Ertappen sie einen Dieb oder Räuber, so führen sie ihn zu einem hohen dicken Baume, schlingen ihm einen dauerhaften Strick um den Hals, knüpfen ihn damit an den Baum auf und lassen ihn hängen, bis er durch Wind und Regen aufgelöst, in Stücke zerfällt.“ – –

Der gemütliche Araber fährt fort, indem er von der Totenfeier eines heidnischen russischen Fürsten erzählt, die er mit angesehen; da uns aber das Bild hiervon noch weit unliebenswürdiger vorkommt, als jene altrussische Methode, sich zu waschen, so wagen wir es nicht, es hier nach zu erzählen. Karamsin war über diesen Beitrag zur russischen Geschichte so hoch erfreut, dass er ihn, da sein Werk schon über die Hälfte gedruckt war, dem achten Bande desselben beifügte, obgleich der Beitrag in den ersten Band gehört hätte.

Quelle: http://www.lexikus.de/bibliothek/Russisches-Leben–12-Ueber-die-heidnischen-Russen-Nach-Dr-Fraehn-weiland-Akademiker-zu-St-Petersburg

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