Narrenfreiheit für Duma-Abgeordnete?

Erst jüngst schaffte es der Duma-Abgeordnete Leonid Sluzki mit sexistischen Übergriffen auf Journalistinnen in die Schlagzeilen. Zwar folgte eine schwammige Entschuldigung, jedoch zieht der Skandal nun seine Kreise. Wie viel Narrenfreiheit genießen Parlamentarier?

Er wolle alle um Vergebung bitten, denen er bewusst oder unbewusst Unannehmlichkeiten bereitet hätte, erklärte der Abgeordnete Leonid Sluzkij am 8. März, pünktlich zum, in Russland hoch geehrten, Frauentag im sozialen Netzwerk. Abgekauft hat ihm diese Entschuldigung niemand, am allerwenigsten die betroffenen Reporterinnen. „Glaubt mir, es war nicht mit böser Absicht“, fügte er noch hinzu, das jedoch verlor sich bereits in den übrigen allgemeinen Floskeln.

Anstatt auf Gehör zu stoßen, als die von ihm belästigten Frauen seine Übergriffe nicht weiter hinnehmen wollten und mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit gingen, ernteten sie Hohn und Spott von den Politkollegen Sluzkis. „Ich bin bereit, dir ein paar Journalistinnen abzunehmen“, glaubte beispielsweise Anton Morosow, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses in der Staatsduma, auf Facebook einen besonders guten Witz gemacht zu haben. Man könne darüber reden, so Sluzkis Antwort daraufhin.

Geschmacklose Witze statt Empörung

Dass er auch drei nehme, brachte sich ein weiterer Parlamentarier in Stellung, der mit viel Gelächter bedacht wurde. Der Applaus jedoch galt schließlich der Antwort Sluzkis, die er auf Facebook gab: „Nun mal langsam, Kollegen! Woher soll ich so viele Journalistinnen nehmen?“ Bereits 2016 begannen Frauen im russischen Internet unter dem Hashtag „Ich habe keine Angst, an die Öffentlichkeit zu gehen“ anzuprangern, dass Männer ihre Machtpositionen ausnutzten, um sexuelle Gefügigkeit von ihnen zu erzwingen.

Ins Leben gerufen wurde die Aktion von einer ukrainischen Journalistin, der sich, trotz aller Dissonanzen zwischen den beiden Staaten, mehr und mehr Russinnen anschlossen und solidarisch zeigten. Leonid Sluzki indes bestreitet die Vorwürfe gegen ihn. Eine vom Ausland initiierte Kampagne gegen ihn als Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses sei das ganze Theater, behauptet er. „Wenn man an meiner Arbeit nichts aussetzen kann, dann tauchen solche Provokationen auf“, wähnt sich der Politiker im Recht.

Als die Journalistinnen Sluzkis schlüpfrige Avancen publik machten, forderte seine Partei LDPR dazu auf, ihnen die Akkreditierung für ihre Arbeit zu entziehen. Dass sie das Thema erst jetzt, so kurz vor der Präsidentschaftswahl, auftischten, obwohl sie so lange geschwiegen hätten, beweise doch eindeutig, dass nicht Sluzkij das Ziel sei, sondern „unser Staat als Ganzes“, poltert Igor Lebedew, der stellvertretende Duma-Vorsitzende. Rein zufällig ist Lebedew der Sohn des Rechtspopulisten Wladimir Schirinowski, der 2014 einen Mitarbeiter dazu aufrief, eine Korrespondentin der Nachrichtenagentur Interfax zu vergewaltigen.

Wie viel Immunität verträgt ein Rechtsstaat?

Die LDPR erklärte den Fehtritt ihres Vorsitzenden später mit den Nebenwirkungen eines Medikaments und nahm Schirinowski somit schnell wieder aus der Schusslinie. Am kommenden Sonntag steht er zum sechsten Mal in Folge als Kandidat zum künftigen Staatsoberhaupt bei der Präsidentschaftswahl auf der Liste. Wie könne man nun von Sluzki glauben, er habe versucht die Journalistinnen zu küssen oder ihnen gar die Hand zwischen die Schenkel schieben zu wollen. Dummerweise existieren jedoch Tonaufnahmen einer BBC-Reporterin, die an der makellosen Fassade kratzen.

Nachdem dadurch die letzten Zweifel an den Vorwürfen beseitigt sein dürften, fragt man sich, wie weit die Immunität als Abgeordneter eigentlich noch gehen darf. Ausgerechnet der unnachgiebigste Kreml-Kritiker aller Zeiten, Alexej Nawalni, macht dazu das Fass auf. Er präsentierte 835 diverse Verkehrsdelikte, die laut dem Polizeiregister innerhalb von sechs Monaten mit Autos begangen wurden, die auf Sluzkij zugelassen sind. Darunter auch schwere Eingriffe in den fließenden Verkehr, wie fahren auf der Gegenfahrbahn.

In den staatlichen Medien haben die Übergriffen von Leonid Sluzki noch keine große Beachtung gefunden. Aber immerhin bezog Maria Sacharowa, die Sprecherin des Außenministeriums, im Kremltreuen Fernsehkanal NTW Stellung zum, wie sie es ausdrückte, „unangebrachtem Verhalten“ des Duma-Abgeordneten Sluzkis. Das ist insofern schon bemerkenswert, weil es normalerweise an ihr ist, Kritik am eigenen Hause abzuwiegeln. Um allerdings wirklich etwas abzustellen, da hätte es schlichtweg mehr Schärfe bedurft. So jedoch wird wieder alles nach kurzer Zeit seinen gewohnten Trott gehen.

[mb/russland.NEWS]

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